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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 14.08.2006
Aktenzeichen: 1 BvQ 25/06
Rechtsgebiete: BVerfGG, StGB


Vorschriften:

BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 93 d Abs. 2
StGB § 130 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvQ 25/06 -

In dem Verfahren

über

den Antrag,

im Wege der einstweiligen Anordnung

unter Aufhebung der Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. August 2006 - 24 CS 06.1965 - und des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. Juli 2006 - B 1 S 06.634 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen das Verbot des Landratsamtes Wunsiedel vom 6. Juli 2006 - 3/30 - 1341 - wiederherzustellen,

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 14. August 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft den versammlungsbehördlich angeordneten Sofortvollzug eines Bescheids, mit dem eine für den 19. August 2006 in Wunsiedel angemeldete Versammlung unter dem Thema "Gedenken an Rudolf Heß" verboten worden ist. Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs unter eingehender Darstellung des Sachverhalts durch den angegriffenen Beschluss, auf den Bezug genommen wird, abgelehnt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr).

1. Eine Verfassungsbeschwerde wäre im vorliegenden Fall nicht unzulässig. Auch wäre sie nicht offensichtlich unbegründet.

Der Ausgangskonflikt und die dem versammlungsbehördlichen Verbot zu Grunde liegende Strafrechtsnorm werfen eine Reihe schwieriger verfassungsrechtlicher Fragen auf, die hinreichend nur in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden können. Die 1. Kammer des Ersten Senats hat in ihrem Beschluss vom 16. August 2005 - 1 BvQ 25/05 - zu der im Jahr 2005 geplanten Demonstration einige der insoweit klärungsbedürftigen Fragen zu einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Auslegung und Anwendung des § 130 Abs. 4 StGB auf eine Versammlung des vorliegend zu beurteilenden Zuschnitts aufgeführt. Zwischenzeitlich hat das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth in einem Beschluss vom 9. Mai 2006 - B 1 K 05.768 - im Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit des für das Jahr 2005 ausgesprochenen Versammlungsverbots entschieden und die Klage des hiesigen Antragstellers mit eingehender Begründung abgewiesen. Der Kläger und hiesige Antragsteller hat die Zulassung der Berufung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof beantragt. Darüber ist noch nicht entschieden.

2. Bei einem - wie hier - offenen Ausgang eines möglichen Verfassungsbeschwerdeverfahrens sind gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweiligen Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr).

Bliebe die sofortige Vollziehbarkeit des Verbots der Kundgebung bestehen, hätte eine Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so könnte der Antragsteller die geplante Versammlung nicht durchführen und würde dadurch um die Möglichkeit gebracht, von dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der gewünschten Weise Gebrauch zu machen. Könnte die Versammlung wie geplant stattfinden, erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, so wäre die Versammlung durchgeführt worden, obwohl die Voraussetzungen für ein Verbot vorliegen. In diesem Fall hätte die Versammlung stattgefunden, obwohl die Gefahr eines Verstoßes gegen § 130 Abs. 4 StGB unmittelbar bestanden hat, also die einer Störung des öffentlichen Friedens in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch, dass die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt wird.

Im vergangenen Jahr hat die Kammer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in dem schon erwähnten Beschluss mit Rücksicht auf diese Folge und insbesondere unter Verweis auf die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachte Einschätzung des Gesetzgebers zur Gewichtung des Schutzguts von § 130 Abs. 4 StGB abgelehnt. In ihre Abwägung hat die Kammer dabei eingestellt, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sich auf eine in jährlichen Abständen immer wieder am Todestag von Rudolf Heß geplante Veranstaltung bezieht; der Nachteil für den Antragsteller sei insoweit geringer, als wenn es um eine Demonstration aus einem besonderen aktuellen und insofern unwiederbringlichen Anlass ginge. Im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren bleibe es dem Antragsteller unbenommen, zukünftig wieder derartige Gedenkveranstaltungen zu planen und gegebenenfalls unter Beachtung des Versammlungsgesetzes durchzuführen.

Wird der Erlass einer einstweiligen Anordnung auch in diesem Jahr abgelehnt, ist der Antragsteller allerdings für zwei nacheinander folgende Jahre an der Durchführung der Versammlung gehindert. Der ihn treffende Nachteil gewinnt bei mehrmaliger Verweigerung einer einstweiligen Anordnung an Gewicht.

Mit Rücksicht darauf, dass das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth schon eine Entscheidung in einem vergleichbaren Hauptsacheverfahren getroffen hat, kann davon ausgegangen werden, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof über das vom Antragsteller in jenem Verfahren eingelegte Rechtsmittel so frühzeitig entscheiden wird, dass eine endgültige Entscheidung vor der schon jetzt für den 18. August 2007 angemeldeten Versammlung ergeht und gegebenenfalls einer verfassungsgerichtlichen Prüfung zugeführt werden kann. Auch in Anbetracht dieses Umstandes führt eine Folgenabwägung vorliegend zum Ergebnis, dass eine einstweilige Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile für den Antragsteller geboten ist.

Hinsichtlich des diesjährigen Versammlungsverbots bleibt es dem Antragsteller unbenommen, dessen Rechtsmäßigkeit im Rahmen verwaltungsgerichtlichen Hauptsacherechtsschutzes überprüfen zu lassen.

Ende der Entscheidung

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