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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Urteil verkündet am 17.07.2003
Aktenzeichen: 1 BvQ 26/03
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 93 d Abs. 2
GG Art. 12 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvQ 26/03 -

In dem Verfahren

über den Antrag

im Wege der einstweiligen Anordnung,

dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz zu untersagen, die im Sächsischen Justizministerialblatt vom 27. Februar 2002 ausgeschriebene Notarstelle in Torgau bis zur Entscheidung über die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. Juli 2003 anderweitig zu besetzen,

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 17. Juli 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz wird untersagt, die im Sächsischen Justizministerialblatt vom 27. Februar 2002 ausgeschriebene Notarstelle in Torgau bis zur Entscheidung über die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, zu besetzen und die Bestallungsurkunde an den ausgewählten Bewerber auszuhändigen.

2. Das Land Sachsen hat dem Antragsteller die notwendigen Auslagen für das Verfahren über die einstweilige Anordnung zu erstatten.

Gründe:

I.

Der isolierte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Bevorzugung eines heimischen Notarassessors bei einer Bewerbung um eine in Sachsen ausgeschriebene Notarstelle.

1. Der Antragsteller ist seit Februar 1994 Notar in Sachsen. Anfang 2002 wurde für die Kleinstadt T. eine Notarstelle ausgeschrieben, auf die sich der Antragsteller sowie mehrere sächsische Notarassessoren bewarben. Mit Schreiben vom 2. Juli 2002 wurde die Bewerbung des Antragstellers abgelehnt und angekündigt, dass die Notarstelle in Ausübung der der Landesjustizverwaltung zustehenden Organisationsgewalt und ihrer Personalhoheit mit einem Notarassessor besetzt werden solle, um diesem die Chance eines beruflichen Einstiegs zu eröffnen.

Der Antragsteller stellte einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den er damit begründete, dass allein die Übertragung der Notarstelle an ihn ermessensfehlerfrei sei. Zum einen verfüge er über eine höhere berufliche Qualifikation und zum anderen entspreche die Entscheidung für die Neubestellung eines Assessors zum Notar angesichts der landesweit bestehenden Überbesetzung nicht den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege. Das Oberlandesgericht wies den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit der Begründung zurück, die Auswahl der Landesjustizverwaltung zwischen der Bewerbergruppe der Notare und derjenigen der Notarassessoren sei in Ausübung ihrer Organisationsgewalt und ihrer Personalhoheit nach Maßgabe der Belange einer geordneten Rechtspflege getroffen und nicht zu beanstanden.

Nach Angaben des Antragstellers hat der Bundesgerichtshof über die Beschwerde am 14. Juli 2003 verhandelt und sie durch mündlich verkündeten Beschluss zurückgewiesen.

2. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung macht der Antragsteller geltend, die Aushändigung der Ernennungsurkunde an den Mitbewerber und damit die endgültige Besetzung der Notarstelle stehe unmittelbar bevor. Eine noch einzulegende Verfassungsbeschwerde habe Erfolg. Hierfür beruft er sich insbesondere auf seine höhere berufliche Qualifikation, das fehlende Bedürfnis für die Nachbesetzung von Notarstellen mit Notarassessoren und die bisherige Praxis der Justizverwaltung, die dahin ging, bereits bestellten Notaren den Vorzug zu geben.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über den wegen Eilbedürftigkeit ohne Anhörung der Gegenseite entschieden werden kann, hat Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 169 <172>; 91, 328 <332>; stRspr).

a) Der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass die Entscheidung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz (noch) nicht Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens ist (vgl. BVerfGE 7, 367 <371>; 71, 350 <352>; stRspr).

b) Die - noch nicht anhängige - Verfassungsbeschwerde wäre jedenfalls in Bezug auf die Rüge der Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG nicht offensichtlich unbegründet. Es bleibt dem Hauptverfahren vorbehalten zu klären, ob das Sächsische Staatsministerium der Justiz sich bei der Ausübung seines Organisationsermessens im Rahmen der Auswahlentscheidung an den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege orientiert und es vermieden hat, die Berufsausübungsfreiheit des Antragstellers in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise einzuschränken.

2. Die danach gebotene Folgenabwägung führt vorliegend zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen; dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz ist vorläufig zu untersagen, die ausgeschriebene Notarstelle in T. anderweitig zu besetzen.

Unterbliebe die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg, so könnte der Antragsteller den konkreten Amtssitz nicht mehr erhalten. Es bestünde zudem die Gefahr, dass auf absehbare Zeit keine freie Notarstelle mit dem Antragsteller besetzt werden könnte. Überdies wäre der Antragsteller dann auf ein neues Bewerbungsverfahren angewiesen, dem insofern ein neuer Lebenssachverhalt zugrunde läge, als er mit anderen Bewerbern konkurrierte.

Wird die einstweilige Anordnung erlassen, hat die Verfassungsbeschwerde aber später keinen Erfolg, muss die vorübergehende Vakanz einer Notarstelle in Kauf genommen werden. Das Organisationsermessen der Landesregierung kann vorläufig nicht betätigt werden. Angesichts der offensichtlichen Überversorgung des Landes Sachsen mit Notaren bestehen indessen keine Bedenken dahingehend, dass die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege durch die Vakanz der Notarstelle beeinträchtigt werden könnte.

Ende der Entscheidung

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