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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 16.09.2008
Aktenzeichen: 1 BvQ 37/08
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 93d Abs. 2
GG Art. 1 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvQ 37/08 -

In dem Verfahren

über den Antrag,

im Wege der einstweiligen Anordnung

die durch die Beschlüsse des Amtsgerichts Hannover vom 13. November 2007 - 660 XVII E 918 -, des Landgerichts Hannover vom 31. März 2008 - 54 T 196/07 - und des Oberlandesgerichts Celle vom 25. August 2008 - 17 W 42/08 - gewährte Akteneinsicht in die Betreuungsakten der am 13. Mai 2007 verstorbenen Frau E. bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers auszusetzen,

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Hohmann-Dennhardt und die Richter Gaier, Kirchhof gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 16. September 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Wirksamkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts Hannover vom 13. November 2007 - 660 XVII E 918 -, des Landgerichts Hannover vom 31. März 2008 - 54 T 196/07 - und des Oberlandesgerichts Celle vom 25. August 2008 - 17 W 42/08 - wird einstweilen ausgesetzt.

Gründe:

Der Antrag des Antragstellers hat Erfolg und führt zur einstweiligen Aussetzung der Wirksamkeit der im Ausgangsverfahren erlassenen Entscheidungen.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren, hier also die Verfassungsbeschwerde, erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88, 185 <186>; 103, 41 <42>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 185 <186>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 <111>; stRspr). Im Zuge der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gebotenen Folgenabwägung legt das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde (vgl. BVerfGE 34, 211 <216>; 36, 37 <40>).

2. Die Folgenabwägung führt - nachdem eine noch einzulegende Verfassungsbeschwerde derzeit weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet wäre - zum Erlass der einstweiligen Anordnung.

Erginge die einstweilige Anordnung nicht und hätte die einzulegende Verfassungsbeschwerde Erfolg, so könnte die Tochter in der Zwischenzeit Akteneinsicht nehmen. Die der Betreuten aus ihrem durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsbereich möglicherweise zustehenden Schutzwirkungen (vgl. dazu BVerfGE 30, 173 <194 ff.>) blieben dann unwiederbringlich hintangestellt. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass sich aus der Betreuungsakte nach Auskunft des Nachlassrichters keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Betreute zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig war, und dass die Tochter aus einer etwaigen Unwirksamkeit der Testamentsänderung im Jahre 2003 nach Aktenlage keinen eigenen wirtschaftlichen Vorteil ziehen könnte, da die Betreute sie bereits mit der letztwilligen Verfügung aus dem Jahre 1993 enterbt hatte.

Erginge die einstweilige Anordnung und bliebe die Verfassungsbeschwerde später ohne Erfolg, so würde die Einsichtnahme der Tochter in die Betreuungsakten lediglich hinausgeschoben. Eine Geltendmachung der von ihr behaupteten erbrechtlichen Ansprüche würde hierdurch nicht berührt.

Wägt man die Folgen gegeneinander ab, so wiegen die Nachteile, die der Tochter im Falle des Erlasses der einstweiligen Anordnung drohen, weniger schwer als die Nachteile, die dem der Betreuten möglicherweise zustehenden postmortalen Persönlichkeitsschutz im Falle der Versagung des Erlasses der einstweiligen Anordnung entstehen könnten.

Ende der Entscheidung

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