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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 15.01.2003
Aktenzeichen: 1 BvQ 53/02
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvQ 53/02 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren über den Antrag,

im Wege der einstweiligen Anordnung

das In-Kraft-Treten von Art. 1 Nr. 7 und 8, Art. 11 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23. Dezember 2002 (BGBl I S. 4637) zum 1. Januar 2003 einstweilen aufzuschieben, hilfsweise Art. 1 Nr. 7 und 8, Art. 11 BSSichG einstweilen außer Vollzug zu setzen

hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung des Präsidenten Papier, der Richterinnen Jaeger, Haas, der Richter Hömig, Steiner, der Richterin Hohmann-Dennhardt und der Richter Hoffmann-Riem, Bryde

am 15. Januar 2003 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

A.

Die Antragsteller sind Apotheker. Sie beantragen, die sie betreffenden Regelungen des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23. Dezember 2002 (BGBl I S. 4637) vorerst nicht in Kraft treten zu lassen, hilfsweise, sie vorläufig außer Vollzug zu setzen.

I.

1. Das Beitragssatzsicherungsgesetz nimmt Einfluss auf die Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherung für Arzneimittel durch Rabattregelungen zu Lasten der Apotheker in Art. 1 Nr. 7, durch Rabatte der pharmazeutischen Unternehmen in Art. 1 Nr. 8 und durch die dem pharmazeutischen Großhandel auferlegten Abschläge in Art. 11. Zur Stabilisierung der Finanzgrundlagen der Krankenversicherung sind außerdem die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze, eine Absenkung der Preise für zahntechnische Leistungen sowie Nullrunden für Vergütungsvereinbarungen bei zahntechnischen Leistungen und bei ärztlichen und zahnärztlichen Vergütungen sowie für den Leistungsbereich der Krankenhausversorgung vorgesehen; das Sterbegeld ist auf die Hälfte abgesenkt worden. Prognostiziert werden hierdurch Einsparungen in Höhe von etwa 2,75 Mrd. € (vgl. BTDrucks 15/75, S. 1).

Die Antragsteller wenden sich vor allem gegen die Einführung eines gestaffelten Apothekenrabatts in dem durch Art. 1 Nr. 7 BSSichG geänderten § 130 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Sie greifen aber auch die Einführung der Rabatte an, die der pharmazeutische Großhandel nach Art. 11 BSSichG und die pharmazeutischen Unternehmen nach Art. 1 Nr. 8 BSSichG den gesetzlichen Krankenkassen zu gewähren haben. Die antragstellenden Apotheker befürchten, dass die pharmazeutischen Unternehmen und der pharmazeutische Großhandel ihre jeweiligen Rabattverpflichtungen auf die Apotheker abwälzen werden; außerdem würden die Apotheker mit der Abwicklung dieser Rabatte und entsprechenden Vorleistungen gegenüber den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung belastet.

2. Schon bisher bestimmte § 130 SGB V, dass die Krankenkassen von den Apotheken auf den für den Versicherten maßgeblichen Arzneimittelabgabepreis einen Abschlag in Höhe von 5 vom Hundert erhielten. Sind Festbeträge festgesetzt, begrenzt der Festbetrag auch die Höhe des Abschlags, selbst wenn der Patient dann ein teureres Medikament wählt. Die Gewährung des Abschlags setzt voraus, dass auch die Rechnung des Apothekers innerhalb von zehn Tagen durch die Krankenkasse beglichen wird. Er enthält also zugleich das kaufmännische Skonto. Befristet für die Jahre 2002 und 2003 wurde der Rabatt durch das Gesetz zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz - AABG) vom 15. Februar 2002 (BGBl I S. 684) auf 6 vom Hundert erhöht.

Gemäß Art. 1 Nr. 7 BSSichG ist nunmehr auf Dauer ein Mindestrabatt von 6 vom Hundert und bei Arzneimitteln ab einem Abgabepreis von 54,81 € ein Rabatt von 10 vom Hundert eingeführt worden, der ab dem Abgabepreis von 820,23 € wiederum etwas absinkt. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, die Staffelung folge der in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) vom 14. November 1980 (BGBl I S. 2147), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 10. November 2001 (BGBl I S. 2992), geregelten Systematik aus Vom-Hundert-Sätzen und betragsmäßig festgelegten Zuschlägen. Der Gesetzgeber erwartet hierdurch Einsparungen in Höhe von 0,35 Mrd. € (vgl. BTDrucks 15/73, S. 19 und BTDrucks 15/75, S. 1).

II.

1. In ihrem dem gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beigefügten Entwurf einer Verfassungsbeschwerde rügen die Antragsteller den isolierten Erlass des angegriffenen Gesetzes - ohne die noch ausstehende, aber beabsichtigte Änderung des SGB V - sowie das Fehlen der Zustimmung des Bundesrates zu dem angegriffenen Gesetz. Das Gesetz ändere die Arzneimittelpreisverordnung, die mit Zustimmung des Bundesrates ergangen sei. Die Erstattungs-, Abrechnungsnachweis- und Verrechnungsregeln stellten Form- und Fristvorschriften dar, die das Verwaltungsverfahren beträfen und deshalb ebenfalls zur Zustimmungspflichtigkeit führten. Das Gesetz verletze die Apotheker in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsausübungsfreiheit. Es greife unmittelbar in die Preisbildung ein. Das gelte sowohl für die Erhöhung des Rabattes, der die Apotheken unmittelbar treffe, als auch für die sicher zu erwartende Überwälzung des 3%igen Rabattes, der dem Großhandel nach Art. 11 BSSichG abverlangt werde. Insoweit beziehen sich die Antragsteller auf im Wesentlichen gleich lautende schriftliche Ankündigungen des pharmazeutischen Großhandels. Die Gesamtsumme der Abschläge, die die Apotheken träfen, hätten für sie existenzbedrohende Folgen. Die Einsparungen seien höher als die erwirtschafteten Gewinne. Die Umsatzrendite werde negativ. Hierzu haben die Antragsteller Einzelberechnungen und Durchschnittsberechnungen vorgelegt. Auch wenn die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ein gewichtiger Gemeinwohlbelang sei, greife das Gesetz durch eine überproportionale Belastung der Apotheker unverhältnismäßig in deren wirtschaftliche Stellung ein.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung müsse Erfolg haben, weil das Einkommen der Apothekenleiter im Durchschnitt halbiert werde. Dadurch sinke auch das Steueraufkommen des Staates. Ein Abbau von etwa 20.000 Arbeitsplätzen sei zu befürchten. Mehrere tausend Apotheken müssten wegen Unwirtschaftlichkeit geschlossen werden. In den fortbestehenden Apotheken werde sich der Service verschlechtern. Eine gut funktionierende mittelständische Versorgungsstruktur werde zerschlagen. In ländlichen Gebieten sei sogar die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung gefährdet. Im Übrigen sei der bürokratische Aufwand für Apotheken und Rechenzentren unzumutbar. Von den Apothekern werde erwartet, dass sie für insgesamt 44 vom Hundert des gesamten GKV-Defizits aufkämen. Zwar hätten die Apotheker schon durch das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz zeitlich befristet einen 6%igen Kassenrabatt hinnehmen müssen. Die neue Beschwer liege aber darin, dass es sich nunmehr um eine Dauerregelung über das Jahresende 2003 hinaus handele und für höherpreisige Arzneimittel der Rabatt noch gestiegen sei. Diese Erhöhung und die Vorfinanzierung des Herstellerrabattes bringe einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand mit sich und belaste die Apotheker hoch, zumal auch der Großhändlerrabatt letztlich von den Apotheken getragen werden müsse.

Werde das Gesetz nicht vorläufig außer Kraft gesetzt, bleibe es bei den genannten Nachteilen für die Apotheker, weil eine Rückabwicklung nicht zu erwarten sei, wenn das Gesetz sich als verfassungswidrig erweise. Werde die einstweilige Anordnung aber erlassen und blieben die Verfassungsbeschwerden erfolglos, so ergäben sich keine schwerwiegenden Nachteile für die Krankenkassen. Die Beitragserhöhungen zum 1. Januar 2003 seien bereits beschlossen; auch die große Gesundheitsreform, die ohnehin überfällig sei, habe der Gesetzgeber schon auf den Weg gebracht. Die im Beitragssatzsicherungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen hätten nur kurzfristige Erfolge im Auge und fielen nicht wirklich ins Gewicht. Letztlich gehe es nicht allein um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung. Dieser Gemeinwohlbelang stehe gleichgewichtig neben dem öffentlichen Interesse an der Funktionsfähigkeit der am Wirtschaftsleben beteiligten Apotheken, ohne die die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht durchgeführt werden könne. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Leistungserbringer sei ebenfalls ein Gemeinwohlbelang mit hohem Rang.

B.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

I.

1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Wegen der meist weit reichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab. Soll das In-Kraft-Treten eines Gesetzes verhindert oder der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden, so erhöht sich diese Hürde noch, weil hiermit stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verbunden ist. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts darf nicht zu einem Mittel werden, mit dem Betroffene, deren Anliegen beim Gesetzgeber kein Gehör fand, das In-Kraft-Treten des Gesetzes verzögern können. Die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, müssen daher im Vergleich zu Anordnungen, die weniger schwer in die Interessen der Allgemeinheit eingreifen, bei Gesetzen besonderes Gewicht haben (vgl. BVerfGE 104, 23 <27 f.>; 104, 51 <55 f.>).

2. Bei der Prüfung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Gesetzes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der Hauptsache gestellte Antrag ist von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die angegriffene Norm nicht in Kraft träte oder außer Vollzug gesetzt würde, sie sich aber im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß erweisen würde.

II.

1. Die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Zustandekommen des Gesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates und die Frage, ob das Gesetz mit Art. 12 Abs. 1 GG im Übrigen in Einklang steht, bedürfen der Klärung im Hauptsacheverfahren.

2. Die Folgenabwägung ergibt indessen, dass die Nachteile, die bei einer vorläufigen Aussetzung des mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gesetzes eintreten würden, schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen, welche die Antragsteller treffen, wenn die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen wird.

a) Wird das Gesetz einstweilen außer Kraft gesetzt, erweist es sich aber später als verfassungsgemäß, entstehen schwere Nachteile für das gemeine Wohl. Der gesetzlichen Krankenversicherung werden ausweislich der Gesetzesmaterialien 0,35 Mrd. € fehlen, die mit den bisher vorgenommenen oder beabsichtigten Beitragserhöhungen nicht aufgefangen werden (vgl. BTDrucks 15/75, S. 1).

Die zu erwartenden Einsparungen sind zwar - gemessen an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung - nicht besonders hoch, jedoch für das System der gesetzlichen Krankenversicherung wichtig, solange der Fehlbetrag nicht anderweit kompensiert werden kann. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass jeder Teilbetrag im Beitragssatzsicherungsgesetz erforderlich ist, um insgesamt die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes - zumindest vorläufig bis zu einer Strukturreform - zu erhalten. Deshalb wird diese finanzielle Stabilität in dem Ausmaß gefährdet, in dem die vorgesehenen Preisabsenkungen nicht realisiert werden können. Nach dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages (BTDrucks 15/75, S. 1) werden die Minderausgaben der gesetzlichen Krankenkassen durch die die Apotheker belastenden Rabatte in Höhe von 0,35 Mrd. € in etwa so hoch sein wie die jeweiligen Einsparungen durch Minderausgaben beim Sterbegeld oder im Krankenhausbereich. Das Beitragssatzsicherungsgesetz sieht ein Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung des Defizits im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Erst die Summe aller Sparmaßnahmen ergibt eine spürbare Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Einzelmaßnahmen kommt im Hinblick auf das Gemeinwohl gleich großes Gewicht zu. Auch die Hinweise der Antragsteller auf sonstige Einsparpotentiale im System der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht geeignet, die eintretenden Folgen abzumildern, weil diese Maßnahmen nicht bereits am 1. Januar 2003 wirksam werden.

b) Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich aber das Beitragssatzsicherungsgesetz im Hauptsacheverfahren als verfassungswidrig, so drohen jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache weder dem gemeinen Wohl noch den Antragstellern und den Apotheken insgesamt schwere Nachteile.

Die vorgelegten Zahlen über die Umsatz- und Gewinnerwartungen sprechen dagegen, dass der bereits geltende 6%ige Apothekenabschlag im abgelaufenen Jahr nicht zu verkraften gewesen wäre. Die hinzugetretene neue Belastung, die hochpreisige Medikamente ab einem Packungspreis von 54,81 € betrifft, für die der Abschlag auf 10 vom Hundert oder geringfügig darunter angehoben worden ist, betrifft Medikamente, für die der Festzuschlag der Apotheker bis 543,91 € bei 30 vom Hundert und von da an bis 820,22 € abnehmend bei bis zu 22 vom Hundert liegt. Hierdurch gehen bei hochpreisigen Medikamenten die Erlöse um ein Drittel bis ein Halb zurück. Zum Anteil dieser Arzneimittel am hier allein interessierenden GKV-Gesamtumsatz der Apotheken enthalten die beigefügten Anlagen allerdings keine Angaben, so dass über das Gewicht der durch das angegriffene Gesetz veranlassten finanziellen Einbußen keine aussagekräftigen Unterlagen vorliegen.

Pauschale Durchschnittsberechnungen lassen insoweit keine Rückschlüsse zu. Das belegen schon die von den Antragstellern mit Schriftsatz vom 13. Januar 2003 mitgeteilten Einzelheiten zu ihren jeweiligen Apotheken. Der Antragsteller zu 1) erzielt danach 80 vom Hundert seines Umsatzes durch Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenversicherung. Beim Antragsteller zu 2) vermindert sich dieser Anteil auf 67 vom Hundert, beim Antragsteller zu 3) sogar auf 50 vom Hundert. Ebenso wie für die Höhe der Umsätze mit der gesetzlichen Krankenversicherung sind Lage und Kundenkreis der jeweiligen Apotheke ein bestimmender Faktor für das Geschäftsergebnis aus dem Verkauf hochpreisiger Medikamente. Im Übrigen sind die Zuschläge der Arzneimittelpreisverordnung bei den teureren Medikamenten so bemessen, dass dem Apotheker - auch unter Abzug der Rabatte an die gesetzliche Krankenversicherung - eine nicht unerhebliche Handelsspanne verbleibt. Angesichts des hohen Ausgangspreises ergeben sich auch absolut und pro Packung noch nennenswerte Einnahmen.

Nach der Auffassung des Gesetzgebers ist das Beitragssatzsicherungsgesetz nicht darauf angelegt, dass die Großhändler die sie betreffenden Belastungen auf die Apotheken abwälzen (vgl. BTDrucks 15/28, S. 20; BT-Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, Protokoll der 3. Sitzung am 12. November 2002, S. 27). Einsparpotentiale wurden auch beim Großhandel gesehen, weil dieser ebenso wie die pharmazeutischen Unternehmen und die Apotheken von der Ausweitung der Arzneimittelausgaben besonders profitiert hätten (vgl. BTDrucks 15/28, S. 12). Allerdings haben die deutschen Großhändler den Apotheken gegenüber im Wesentlichen gleichlautend angekündigt, dass sie den sie treffenden Zwangsrabatt mit den bisher gewährten Großhandelsrabatten verrechnen werden. Wie stark sich das auswirken wird, hängt wiederum davon ab, zu welchem Anteil ein Apotheker Umsätze mit der gesetzlichen Krankenversicherung tätigt. Die Großhandelsrabatte im Allgemeinen beziehen sich auf alle Lieferungen, so dass sie sich um so weniger vermindern, je weniger der Großhändler einer Apotheke Medikamente liefert, die unter die Regelung des Art. 11 BSSichG fallen.

Weitere erhebliche Belastungen treten nicht hinzu. Denn nach den der Verfassungsbeschwerde beigefügten Unterlagen beabsichtigen die Großhändler, anstelle der Apotheken weitgehend die mit dem neuen Gesetz verbundenen Berechnungs- und Vorfinanzierungsaufgaben zu übernehmen.

c) Die Abwägung ergibt, dass die Nachteile für das gemeine Wohl bei Erlass der einstweiligen Anordnung diejenigen überwiegen, die den Antragstellern und den Apotheken insgesamt bei der Ablehnung des Antrags drohen.

Dies gilt, obwohl nicht von der Hand zu weisen ist, dass die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Auswirkungen auf einzelne Apotheken haben werden. Wie sich allerdings die Belastungen des Beitragssatzsicherungsgesetzes verteilen und welchen Anteil des die Großhändler treffenden 3%igen Abschlags letztlich die Apotheken tragen werden, ist noch nicht zuverlässig vorherzusagen. Voraussichtlich wird sich das Gesamtgefüge des Pharmahandels verändern. Selbst wenn die Apothekendichte (vgl. Statistiken der ABDA zur Apothekendichte in den Ländern, http:\\www.abda.de; die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, http:\\www.gbe-bund.de vom 30. Dezember 2002) infolge der gesetzlichen Neuregelung zurückgehen sollte, ist damit keine Gefährdung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu befürchten. Die durchschnittliche Apothekendichte liegt gegenwärtig bei 27 Apotheken auf 100.000 Einwohner. Im Saarland kommen 33 Apotheken auf 100.000 Einwohner und in Brandenburg, dem Land mit der geringsten Apothekendichte, immerhin noch 20. 1970 kamen in Westdeutschland 18 Apotheken auf 100.000 Einwohner, und die Versorgung der Bevölkerung war nicht gefährdet.

Nach den verfügbaren Daten durfte der Gesetzgeber gerade bei den Arzneimitteln von erheblichen Einsparpotentialen ausgehen, denn diese belasteten in den letzten sechs Jahren die gesetzliche Krankenversicherung durch einen überproportionalen Kostenanstieg. Allein zwischen 1995 und 2001 sind die Ausgaben für Medikamente um etwa 30 vom Hundert gestiegen. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung ist von 14 vom Hundert auf 17,1 vom Hundert gewachsen. Durchschnittlich stiegen während dieser Zeit die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung aber nur um etwa 10 vom Hundert. In diesem Rahmen hielten sich auch die Steigerungen bei den Ausgaben für ärztliche und zahnärztliche Behandlung; für Zahnersatz und Krankengeld sanken sie sogar. Die Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung haben sich in diesem Zeitraum um 13,6 Mrd. € erhöht; dabei entfielen 5,9 Mrd. € auf Arzneimittel (vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Statistik über Ausgaben der GKV, http:\\www.bmgesundheit.de). Hiervon haben auch die Apotheken profitiert; sie blieben trotz der Erhöhung des Rabatts von 5 vom Hundert auf 6 vom Hundert von Rückgängen verschont, die andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen bereits zu verkraften hatten.

Die von den Antragstellern vorgelegten Zahlen und die pauschal berechneten Umsatzrenditen belegen lediglich, dass es infolge des Gesetzes zu einer verschärften Konkurrenzsituation kommen wird. Möglicherweise werden Apotheken auch geschlossen. Solche Marktveränderungen lassen aber keine Gefährdungen für den Berufsstand als solchen und für das gemeine Wohl erwarten, das von der Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ebenso abhängt wie von einer leistungsfähigen und leistungsbereiten Apothekerschaft.

Die den Anträgen beigefügten Unterlagen machen vor allem deutlich, dass es keine signifikanten Beziehungen zwischen dem Umsatz mit den gesetzlichen Krankenversicherungen und den Rohgewinnen gibt. Zu viele Faktoren bestimmen den wirtschaftlichen Erfolg einer Apotheke. Die Antragstellerin zu 4) erwirtschaftete 2001 einen Rohgewinn von etwa 50.000 € bei einem Umsatz von gut 520.000 €. Die Antragsteller zu 1) und 3) benötigen für etwa dasselbe Geschäftsergebnis mehr als 1,1 Mio. € Umsatz. Andererseits musste auch die Antragstellerin zu 4) im Jahr 2000, in dem ihr Umsatz noch knapp über 500.000 € lag, eine deutliche Gewinnabsenkung auf 38.000 € hinnehmen.

Nach allem sind die Nachteile für die Apotheken für den Fall, dass dem Antrag der Erfolg versagt bleibt, zwar nicht unerheblich. Sie haben aber nicht das Gewicht, das erforderlich ist, um ein Gesetz vorläufig außer Vollzug zu setzen oder sein In-Kraft-Treten zu verhindern (vgl. BVerfGE 104, 23 <27 f.>).

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