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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 12.06.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 1014/07
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 19 Abs. 4 | |
GG Art. 20 Abs. 1 | |
GG Art. 20 Abs. 3 | |
GG Art. 103 Abs. 1 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1014/07 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 14. März 2007 - 17 II 2206/06 - B -,
b) den Beschluss des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 15. Februar 2007 - 17 II 2206/06 - B -,
c) den Beschluss des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 9. Januar 2007 - 17 II 2206/06 - B -,
2. mittelbar gegen
§ 6 Abs. 2 des Gesetzes über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz - BerHG) in der Fassung vom 18. Juni 1980 (BGBl I S. 689)
und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
und Beiordnung von Rechtsanwalt Schiller, Wilhelmshaven
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Gaier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 12. Juni 2007 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Schiller, Wilhelmshaven, wird abgelehnt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Beratungshilfe.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Vater eines nichtehelichen studierenden Sohnes, der Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bezieht. Vom Studentenwerk als dem zuständigen Amt für Ausbildungsförderung wurde er schriftlich zur Abgabe einer Erklärung über seine Einkommensverhältnisse aufgefordert, da diese für die Berechnung der Ausbildungsförderung seines Sohnes erforderlich sei. Der Beschwerdeführer, der sich mit seinem Sohn in der Vergangenheit bereits mehrfach gerichtlich über den zu zahlenden Unterhalt auseinandergesetzt hatte, wandte sich daraufhin unmittelbar an einen Rechtsanwalt. Der Rechtsanwalt erkannte nach Beratung des Beschwerdeführers für diesen den Auskunftsanspruch an und erteilte die begehrte Auskunft. Sodann beantragte er beim zuständigen Amtsgericht nachträglich die Gewährung von Beratungshilfe.
2. Der zuständige Rechtspfleger des Amtsgerichts versagte die Beratungshilfe. Die zuständige Richterin des Amtsgerichts wies die Erinnerung zurück. Der Beschwerdeführer habe sich vorrangig an das Studentenwerk zu wenden. Auch der Anhörungsrüge des Beschwerdeführers gab das Amtsgericht keine Folge.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Zum einen verletze es das Rechts- und Sozialstaatsprinzip, den Beschwerdeführer, der Analphabet sei, entgegen früherer Praxis auf die vorrangige Beratung durch die Behörde zu verweisen. Zum anderen sei der Rechtsweg in Beratungshilfesachen nach § 6 Abs. 2 BerHG verfassungswidrig verkürzt.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinn des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG ist nicht gegeben. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten. Für die Beratungshilfe kann kein strengerer Prüfungsmaßstab gelten als ihn das Bundesverfassungsgericht für die Prozesskostenhilfe entwickelt hat.
a) Die Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann hier allenfalls dann eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffenen Entscheidungen Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 56, 139 <144>). Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung der Bestimmungen des Beratungshilfegesetzes zukommt, jenseits der Willkürgrenze erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird (vgl. BVerfGE 81, 347 <358>).
Art. 3 Abs. 1 GG verlangt dabei in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Angleichung. Der Unbemittelte braucht nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine rechtliche Situation vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>). Als Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge kann die Bewilligung von Beratungshilfe daher allenfalls dann beansprucht werden, wenn ihr Einsatz sinnvoll ist (vgl. BVerfGE 9, 256 <258>).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts gerecht.
Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer darauf verwiesen, sich vor Inanspruchnahme von Beratungshilfe zunächst durch Nachfrage bei der zuständigen Behörde selbst um Klärung der Angelegenheit zu bemühen. In diesem Verweis liegt angesichts der gemäß § 14 SGB I bestehenden umfassenden Beratungspflicht (vgl. Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 25. Lfg., Mai 2005, § 41 Rn. 15 ff.) des Studentenwerks als der für die Bundesausbildungsförderung zuständigen Behörde keine von Verfassungs wegen unzulässige Benachteiligung des unbemittelten Bürgers gegenüber dem bemittelten, da auch ein bemittelter verständiger Bürger zunächst versuchen würde, die kostenfreie Beratung durch die zuständige Behörde in Anspruch zu nehmen. Die rechtliche Betreuung nach dem Beratungshilfegesetz sollte schon nach dem Willen des historischen Gesetzgebers lediglich vorhandene Lücken an rechtlicher Betreuung schließen, nicht aber bestehende Beratungsmöglichkeiten durch besonders sachkundige Stellen verdrängen (vgl. BTDrucks 8/3311, S. 8, 11 in Verbindung mit BTDrucks 8/3695, S. 7). Der vom Amtsgericht ausgesprochene Vorrang der Behördenauskunft lässt sich daher grundsätzlich einfachrechtlich gut vertretbar und damit frei von Willkür aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG ableiten (vgl. AG Koblenz, Beschluss vom 23. Januar 2005 - 3 UR II 406/94 -, Rpfleger 1995, S. 366; Beschluss vom 16. Dezember 1996 - 18 UR II 447/96 -, Rpfleger 1997, S. 220; Beschluss vom 15. Dezember 1997 - 18 UR II a 181/97 -, Rpfleger 1998, S. 206; Schoreit/Dehn, BerH/PKH, 8. Aufl., 2004, § 1 BerHG Rn. 63, 75 ff.; Kalthoener/Büttner/ Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., 2005, Rn. 946).
c) Die Entscheidungen des Amtsgerichts sind auch unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles nicht zu beanstanden. Zwar kann es für den rechtsuchenden Bürger im Einzelfall unzumutbar sein, um Beratung gerade bei der Behörde nachsuchen zu müssen, gegen die er in der fraglichen Angelegenheit argumentieren muss (vgl. LG Göttingen, JurBüro 1988, S. 606 <607>). Doch gilt dies im Regelfall nicht für eine erstmalige Nachfrage (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rn. 946). Die grundsätzliche Beratungsbereitschaft des Studentenwerks wurde in dessen Anschreiben im Briefkopf unter der Rubrik "Auskunft erteilt:" durch namentliche Nennung eines Ansprechpartners mit telefonischer Durchwahl, Zimmernummer und elektronischer Postadresse auch hinreichend deutlich angezeigt.
Schließlich durfte das Amtsgericht auch das vorgetragene Analphabetentum des Beschwerdeführers unberücksichtigt lassen, da die Beratungshilfe kein Instrument der allgemeinen Lebenshilfe wie Schreib- oder Lesehilfe ist (vgl. AG Koblenz, Rpfleger 1997, S. 220 f.; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rn. 937; Schoreit/Dehn, a.a.O., § 1 BerHG Rn. 11).
2. Die mittelbar angegriffene Beschränkung des Rechtsweges auf die Erinnerung nach § 6 Abs. 2 BerHG ist von Verfassungs wegen gleichfalls nicht zu beanstanden. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden. Ein Instanzenzug ist von Verfassungs wegen nicht garantiert (vgl. BVerfGE 107, 395 <402>). Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG rügt, ist dem Justizgewährleistungsanspruch durch die Möglichkeit der Anhörungsrüge zum iudex a quo nach § 29 a FGG in Verbindung mit § 5 BerHG genügt (vgl. BVerfGE 107, 395 <408 ff.>). Der Beschwerdeführer hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht.
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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