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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 28.07.1999
Aktenzeichen: 1 BvR 1056/99
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2
GG Art. 12
GG Art. 14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1056/99 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der Frau S.

gegen §§ 1 und 12 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychotherapeutengesetz - PsychThG) vom 16. Juni 1998 (BGBl I S. 1311)

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Steiner gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 28. Juli 1999 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen §§ 1 und 12 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychotherapeutengesetz - PsychThG) vom 16. Juni 1998 (BGBl I S. 1311).

1. Durch das Psychotherapeutengesetz wurden zum 1. Januar 1999 durch neu geschaffene Berufsbilder zwei Heilberufe in das Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland eingeführt: der Beruf des Psychologischen Psychotherapeuten und der Beruf des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (vgl. auch Beschluß vom 28. Juli 1999 - 1 BvR 1006/99 -). § 1 Abs. 1 PsychThG regelt abschließend, wer die Berufsbezeichnungen führen darf:

(1) Wer die heilkundliche Psychotherapie unter der Berufsbezeichnung "Psychologische Psychotherapeutin" oder "Psychologischer Psychotherapeut" oder die heilkundliche Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie unter der Berufsbezeichnung "Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin" oder "Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut" ausüben will, bedarf der Approbation als Psychologischer Psychotherapeut oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Die vorübergehende Ausübung des Berufs ist auch auf Grund einer befristeten Erlaubnis zulässig. Die Berufsbezeichnungen nach Satz 1 darf nur führen, wer nach Satz 1 oder 2 zur Ausübung der Berufe befugt ist. Die Bezeichnung "Psychotherapeut" oder "Psychotherapeutin" darf von anderen Personen als Ärzten, Psychologischen Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nicht geführt werden.

2. Die Beschwerdeführerin ist Erzieherin und hat eine Ausbildung in Gesprächspsychotherapie und neurolinguistischem Programmieren (NLP) abgeschlossen. Im Juli 1998 erhielt sie die Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde auf dem Gebiet der Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz und hat nach eigenen Angaben seither auch in einigen Fällen am Kostenerstattungsverfahren gemäß § 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - teilgenommen. Dies wurde ihr seither von den Krankenkassen mit dem Hinweis verwehrt, daß sie keine Therapeutin nach dem Psychotherapeutengesetz sei, keine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung besitze und daß neurolinguistisches Progammieren kein anerkanntes psychotherapeutisches Verfahren sei.

3. Mit ihrer am 13. Juli 1999 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen § 1 Abs. 1 und § 12 PsychThG, weil sie durch diese Regelungen in ihren Grundrechten aus Art. 2, Art. 12 und Art. 14 GG verletzt werde. § 1 Abs. 1 Satz 4 PsychThG verwehrte ihr das Führen einer eingebürgerten Berufsbezeichnung; sie müsse ihren Beruf unter Phantasienamen ausüben. Dadurch werde sie unverhältnismäßig beeinträchtigt, was durch das zu schützende Gemeinschaftsgut der Volksgesundheit nicht geboten sei. § 12 PsychThG sei unter anderem verfassungswidrig, weil nur bestimmte wissenschaftlich anerkannte Verfahren im Rahmen der Übergangsvorschrift anerkannt würden, wodurch eine Vielzahl von weiteren Behandlungsmethoden und deren Anwender willkürlich ausgegrenzt würden.

II.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.

1. a) Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich unmittelbar gegen § 12 PsychThG richtet, da die Beschwerdeführerin durch die angegriffene Vorschrift nicht selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten betroffen ist (vgl. BVerfGE 90, 128 <135>).

b) Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen § 1 Abs. 1 PsychThG wendet. Die Möglichkeit, den Namen "Psychotherapeutin" zu führen, ist der Beschwerdeführerin kraft Gesetzes verwehrt, ohne daß es dazu noch eines gesonderten (Vollziehungs-)Aktes der öffentlichen Gewalt bedarf. Das angegriffene Verbot wirkt - seine Verfassungsmäßigkeit unterstellt - unmittelbar auf die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin ein, die sich bei Zuwiderhandlung dem Risiko aussetzen müßte, daß dies als Straftat geahndet würde (§ 132 a Abs. 1 Nr. 2 StGB i.d.F. des Art. 4 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16. Juni 1998 <BGBl I S. 1311>). Auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde kann nicht verlangt werden, daß ein Betroffener vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm zunächst eine Zuwiderhandlung begeht, um dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend zu machen (vgl. BVerfGE 46, 246 <256>; 81, 70 <82>).

2. Der Verfassungsbeschwerde kommt, soweit sie zulässig ist, keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die mit ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind hinreichend geklärt; sie lassen sich mit Hilfe der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäbe ohne weiteres entscheiden (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 f.>).

3. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

a) Das die Beschwerdeführerin betreffende Verbot, die Bezeichnung "Psychotherapeutin" zu führen, stellt - ähnlich wie die Untersagung des Führens ausländischer akademischer Grade (vgl. BVerfGE 36, 212 <216>) oder wie das Verbot der Verwendung einer Fachanwaltsbezeichnung (vgl. BVerfGE 57, 121 <131>) - einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung dar.

b) Eingriffe dieser Art sind nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes möglich (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) und müssen auch materiell-rechtlich den Anforderungen genügen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an Berufsausübungsregelungen zu stellen sind (stRspr; vgl. BVerfGE 30, 292 <316>; 57, 121 <136>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, daß der Eingriff in das Grundrecht durch sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt ist, daß das eingesetzte Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist und daß bei der Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 57, 121 <136>).

c) Gemessen an diesen Maßstäben ist das ab 1. Januar 1999 geltende Verbot, ohne Approbation bzw. ohne befristete Erlaubnis nicht mehr die Bezeichnung "Psychotherapeut/Psychotherapeutin" führen zu dürfen, mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Durch das Gesetz werden zwei neue Heilberufe demjenigen der Ärzte in berufs- und sozialrechtlicher Hinsicht gleichgestellt. Der Gesetzgeber hat die Berufsbezeichnung "Psychologischer Psychotherapeut" gewählt, weil die Bezeichnung "Psychotherapeut" den Inhalt der Berufstätigkeit und dessen heilberuflichen Charakter zum Ausdruck bringen soll und die Hinzufügung der Bezeichnung "Psychologisch" auf die Vorbildung des Berufsangehörigen hinweisen und diese im Interesse der notwendigen Information der Patienten von psychotherapeutisch tätigen Ärzten unterscheiden soll (BTDrucks 13/1206, S. 13). Auch für das ausdrückliche gesetzliche Verbot der Namensführung für andere Personengruppen waren Gründe des Patientenschutzes maßgeblich (BTDrucks 13/9212, S. 39). Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber aus diesen Gründen eine bisher nicht geschützte Berufsbezeichnung verwendet, um bestimmte Angehörige eines Berufs, die eine bestimmte Ausbildung aufweisen, klar zu kennzeichnen.

Für die Therapeuten, die weiterhin nur nach dem Heilpraktikergesetz tätig werden dürfen, bleibt die Möglichkeit, auf ihre jeweiligen Spezialkenntnisse - etwa in Gesprächstherapie oder in neurolinguistischem Programmieren - hinzuweisen. Insoweit werden sich auch gängige Bezeichnungen einbürgern.

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



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