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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 17.03.2005
Aktenzeichen: 1 BvR 1108/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1108/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

1. unmittelbar gegen

a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 15. April 2004 - B 10 EG 4/04 B -,

b) das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. Dezember 2003 - L 2 EG 6/03 -,

c) das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 15. Mai 2003 - S 8 EG 2/02 -,

2. mittelbar gegen

§ 1 Abs. 1 a Satz 1 des Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in der Fassung des Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl I S. 944)

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Gaier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a und § 93 c BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 17. März 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. Dezember 2003 - L 2 EG 6/03 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Bundessozialgerichts vom 15. April 2004 - B 10 EG 4/04 B - gegenstandslos.

2. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Nichtgewährung von Erziehungsgeld an Ausländer, die lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis verfügen.

I.

1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen § 1 Abs. 1 a Satz 1 des Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BErzGG) in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl I S. 944). Nach dieser Regelung stand Ausländern, die lediglich über eine Aufenthaltsbefugnis verfügten, seit dem 27. Juni 1993 anders als zuvor kein Anspruch auf Erziehungsgeld zu. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2004 (1 BvR 2515/95, NVwZ 2005, S. 319 ff.) verwiesen.

2. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann besaßen seit August 2001 eine Aufenthaltsbefugnis. Für den Ehemann waren die Voraussetzungen eines Abschiebehindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354) festgestellt. Die Beschwerdeführerin beantragte für ihre im März 2000 geborene Tochter ab Januar 2002 die Bewilligung von Erziehungsgeld. Sie hatte hiermit keinen Erfolg, weil sie nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfügte. Auch im Klagverfahren hatte sie keinen Erfolg. Das Landessozialgericht wies ihre Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts zurück. § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG in der Fassung des FKPG sei verfassungsgemäß. Das Bundessozialgericht verwarf die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig.

3. In ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG.

4. Die Äußerungsberechtigten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG statt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.

1. Es kann offen bleiben, ob der Beschwerdeführerin ein hinreichend schwerer Nachteil im Sinne dieser Vorschrift entstanden ist, da das Erziehungsgeld nur für zwei Monate, also mit einem Betrag von 1.200 DM, im Streit ist. Jedoch hat die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten im Hinblick auf den Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG besonderes Gewicht (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>).

Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Der Erste Senat hat mit Beschluss vom 6. Juli 2004 die Vorschrift des § 1 Abs. 1 a Satz 1 BErzGG in der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Fassung mit Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt (vgl. NVwZ 2005, S. 319 <320 f.>).

2. Danach beruhen die mit der Verfassungsbeschwerde unmittelbar angegriffenen Gerichtsentscheidungen - mit Ausnahme des Beschlusses des Bundessozialgerichts - auf einer mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbaren Norm (vgl. BVerfG, NVwZ 2005, S. 319 <321>). Nach § 95 Abs. 2 BVerfGG ist das angegriffene Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben. Die Sache ist an das Landessozialgericht zurückzuverweisen. Der Beschluss des Bundessozialgerichts, mit dem nur über die Zulassung der Revision entschieden wurde, wird gegenstandslos (vgl. BVerfGE 76, 143 <170>). Das Landessozialgericht hat das Verfahren bis zu einer Ersetzung der verfassungswidrigen Regelung durch eine Neuregelung, längstens bis zum 1. Januar 2006, auszusetzen. Kommt eine Neuregelung bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu Stande, so ist auf das Verfahren das bis zum 26. Juni 1993 geltende Recht anzuwenden (BVerfG, a.a.O.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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