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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 04.02.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 1172/02
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvR 1172/02 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. November 2001 - 3 WF 149/01 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 25. Juli 2001 - 5 F 388/01 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt am 4. Februar 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. November 2001 - 3 WF 149/01 - und der Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 25. Juli 2001 - 5 F 388/01 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Kleve zurückverwiesen.

2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 Euro (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung eines Prozesskostenhilfeantrages für eine Klage gerichtet auf Zahlung von Betreuungsunterhalt nach § 1615 l BGB.

Die Beschwerdeführerin begehrt von dem Vater ihrer in den Jahren 1994 und 1995 geborenen Kinder, von dem sie sich nach zehnjährigem Zusammenleben im Juni 2001 trennte und mit dem sie nie verheiratet war, die Zahlung von Betreuungsunterhalt nach § 1615 l Abs. 2 BGB. Hierfür beantragte die Beschwerdeführerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe.

Das Amtsgericht Kleve wies den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 25. Juli 2001 mangels hinreichender Erfolgsaussichten zurück. § 1615 l BGB, der - außer im Falle grober Unbilligkeit - nur für die Zeit bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes Betreuungsunterhalt vorsehe, sei nach Ansicht des Gerichts nicht verfassungswidrig.

Mit Beschluss vom 19. November 2001 wies das Oberlandesgericht Düsseldorf die Beschwerde der Beschwerdeführerin zurück. Zu Recht habe das Amtsgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1615 l BGB bejaht. Auch handele es sich hierbei nicht um eine Rechtsfrage, deren Beantwortung besondere Schwierigkeiten aufwerfe und deshalb dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse.

II.

Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer gegen die Entscheidung des Amtsgerichts sowie des Oberlandesgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt.

1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu den Anforderungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantwortet (vgl. BVerfGE 9, 124; 10, 264 <270>; 22, 83 <87>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394>; 67, 245 <248>; 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <357>).

2. Die angefochtenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

a) Zwar rügt die Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Ihrem Begehren ist indes zu entnehmen, dass sie sich in diesem Grundrecht verletzt sieht (vgl. zur Auslegung eines Vorbringens BVerfGE 79, 174 <201>).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124; 10, 264 <270>; 67, 245 <248>; 81, 347 <356>). Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>). Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, jedoch dann, wenn sie unter Verkennung der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannen und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfGE 81, 347 <358>).

c) Bei Anwendung dieser Maßstäbe erweist sich die vorliegende Verfassungsbeschwerde als begründet. Die Gerichte haben die Anforderungen an die Erfolgsaussicht überspannt und damit die Bedeutung des verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit verkannt. Sie haben die maßgebliche Frage der Verfassungswidrigkeit des § 1615 l BGB im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren zum Nachteil der Beschwerdeführerin entschieden, obwohl sie erkannt hatten, dass diese Frage streitig (vgl. Schwab, FamRZ 1997, S. 521 <525>; Müller, DAVorm 2000, S. 829 ff.) und höchstrichterlich nicht entschieden ist. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1615 l BGB ist eine weder einfach noch eindeutig zu entscheidende Frage, die geeignet wäre, im summarischen Verfahren entschieden zu werden. So sind die den Betreuungsunterhalt regelnden Vorschriften des § 1615 l BGB und § 1570 BGB Ausdruck der Elternverantwortung und dienen dazu, die persönliche Betreuung des Kindes durch einen Elternteil zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Ausgestaltung des Betreuungsunterhalts im Hinblick auf das aus Art. 6 Abs. 5 GG folgenden Gebot der Gleichbehandlung von unehelichen und ehelichen Kindern jedenfalls fraglich.

Durch die Entscheidung dieser Frage im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren wurde der mittellosen Beschwerdeführerin die Möglichkeit genommen, im Hauptsacheverfahren durch vertiefte Darstellung des eigenen Rechtsstandpunktes auf die Meinungsbildung der Instanzgerichte Einfluss zu nehmen und diese zur Aussetzung und Beantragung eines Normenkontrollverfahrens zu veranlassen; ferner blieb ihr verwehrt, nach Erschöpfung des Rechtsweges durch Erhebung einer Verfassungsbeschwerde mittelbar die verfassungsrechtliche Überprüfung des § 1615 l BGB zu erreichen.

d) Die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts sowie des Oberlandesgerichts beruhen auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte bei Beachtung der sich aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Die Entscheidung über die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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