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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 03.08.1999
Aktenzeichen: 1 BvR 1286/97
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 25
GG Art. 14 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1892/96 - - 1 BvR 1092/97 - - 1 BvR 1286/97 - - 1 BvR 1334/97 -

In den Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerden

I.

der Frau H...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Jürgen Adler & Karl Alich, Kurfürstendamm 179, Berlin -

- 1 BvR 1892/96 -,

II.

1. des Herrn K...

2. der Frau K...

- 1 BvR 1092/97 -,

III.

des Herrn H...

- 1 BvR 1286/97 -,

IV.

der Frau N...

- 1 BvR 1334/97 -

gegen § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkauf von Mauer- und Grenzgrundstücken an die früheren Eigentümer (Mauergrundstücksgesetz - MauerG) vom 15. Juli 1996 (BGBl I S. 980)

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Grimm, Hömig gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 3. August 1999 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerden richten sich unmittelbar gegen das Gesetz über den Verkauf von Mauer- und Grenzgrundstücken an die früheren Eigentümer (Mauergrundstücksgesetz - MauerG) vom 15. Juli 1996 (BGBl I S. 980).

I.

1. Die Beschwerdeführer zu I, III und IV sind die früheren Eigentümer oder die Rechtsnachfolger der früheren Eigentümer von im Ostteil Berlins belegenen sogenannten Mauergrundstücken, die auf der Grundlage des Gesetzes zur Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik (Verteidigungsgesetz) vom 20. September 1961 (GBl I S. 175) zum Zweck des Mauerbaus in Berlin enteignet oder im Vorfeld einer solchen Enteignung veräußert wurden. Die Beschwerdeführer zu II wurden nach ihrem Vortrag hinsichtlich eines solchen Grundstücks von der 1988 verstorbenen früheren Eigentümerin als Vermächtnisnehmer eingesetzt.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer gegen § 2 Abs. 1 MauerG. Danach können ehemalige Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger ihre früheren, jetzt bundeseigenen Mauer- und Grenzgrundstücke zu 25 vom Hundert des Verkehrswerts zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses erwerben, sofern der Bund sie nicht für dringende eigene öffentliche Zwecke verwenden oder im öffentlichen Interesse an Dritte veräußern will.

2. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 GG, hilfsweise von Art. 14 Abs. 1 GG.

a) Mit der Regelung in § 2 Abs. 1 verstoße das Mauergrundstücksgesetz gegen Art. 25 GG und verletze sie deshalb in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG.

Die Enteignungen der Mauergrundstücke seien völkerrechtswidrig gewesen. Handele ein Staat in einem Bereich, in dem er nicht über die erforderliche Staatsgewalt verfüge, seien die von ihm getroffenen Regelungen und Anordnungen nichtig. Die in Deutschland begründete Besatzungsgewalt sei eine die deutsche Staatsgewalt überlagernde fremde Gebietsgewalt gewesen. Sowohl für die Bundesrepublik Deutschland als auch für die Deutsche Demokratische Republik habe sich die auch nach der Gründung beider Staaten fortbestehende Vier-Mächte-Verant-wortlichkeit für Groß-Berlin, insbesondere die durchgeführte Entmilitarisierung Groß-Berlins, als Souveränitätsmangel ausgewirkt. Mangels Rechtskompetenz hätten daher die Organe der Deutschen Demokratischen Republik im sowjetischen Sektor Berlins keine völkerrechtlich erheblichen Maßnahmen treffen können. Die - zudem gegen Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßenden - Enteignungen von Grund und Boden für den Bau der Berliner Mauer auf der Grundlage des Verteidigungsgesetzes seien mithin völkerrechtswidrig und daher nichtig gewesen. § 2 MauerG trage der völkerrechtlichen Kompetenzordnung nicht in dem durch Art. 25 GG geforderten Maße Rechnung, weil er von der Wirksamkeit der Enteignungen der Mauergrundstücke durch die Deutsche Demokratische Republik ausgehe; damit würden sie in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.

b) Halte man die Enteignungen der Mauergrundstücke für rechtmäßig und eine der Rechtswidrigkeit Rechnung tragende Beachtungspflicht des Normgebers aus Art. 25 GG deshalb nicht für gegeben, verletze § 2 Abs. 1 MauerG jedenfalls Art. 14 Abs. 1 GG. Nach westdeutschem Enteignungsrecht habe der Enteignete trotz rechtmäßiger Entschädigung einen Anspruch auf Rückerwerb, wenn der Enteignungszweck entweder niemals verwirklicht worden oder später weggefallen sei (sogenannte Rückenteignung). Die insoweit geltenden Regeln seien auch auf den Fall der Beschwerdeführer anzuwenden. Dem stehe nicht entgegen, daß die hier betroffenen Grundstücke im Ostteil Berlins enteignet worden seien; denn das Grundgesetz habe in Art. 23 a.F. Geltung für ganz Berlin beansprucht.

c) Nach Auffassung der Beschwerdeführerin zu I hat ihr bereits das Rehabilitierungsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. September 1990 (GBl I S. 1459) in seinen §§ 21 ff. einen Rückübertragungsanspruch eingeräumt. Dieser Anspruch sei ihr durch Nichtübernahme des Gesetzes im Einigungsvertrag im Widerspruch zum Grundgesetz entzogen worden.

II.

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerden haben keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt genannten Verfassungsrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerden haben keine Aussicht auf Erfolg.

1. Die Rüge, § 2 Abs. 1 MauerG verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 GG, ist mangels einer den Anforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 und § 92 BVerfGG genügenden Begründung unzulässig.

Die Begründung einer Verfassungsbeschwerde muß, soll sie den gesetzlichen Darlegungserfordernissen entsprechen, die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung hinreichend deutlich erkennen lassen (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>). Daran fehlt es hier. Die Beschwerdeführer begründen zwar ihre Auffassung, daß die Enteignungen der in Rede stehenden Grundstücke aufgrund des Verteidigungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik völkerrechtswidrig gewesen seien. Damit haben sie aber nicht dargetan, daß die durch die Bundesrepublik Deutschland im Mauergrundstücksgesetz getroffene Wiedergutmachungsregelung ebenfalls völkerrechtswidrig ist. Diese Regelung geht zwar von der Aufrechterhaltung des eigentumsrechtlichen status quo aus, räumt den Betroffenen aber dadurch eine Wiedergutmachung in Höhe von 75 vom Hundert des Verkehrswerts des jeweils enteigneten Grundstücks ein, daß sie entweder dieses gemäß § 2 MauerG zu einem Kaufpreis in Höhe von 25 vom Hundert des Verkehrswerts käuflich erwerben oder nach Maßgabe des § 3 MauerG eine Entschädigung in Höhe von 75 vom Hundert des Verkehrswerts verlangen können. Warum dies gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG verstoßen soll, ist in den Verfassungsbeschwerden nicht dargelegt worden.

Daß der Gesetzgeber die Beschwerdeführer mit dem Mauergrundstücksgesetz in ihrem Grundrecht aus Art. 14 GG verletzt haben könnte, wenn sie oder ihre Rechtsvorgänger ihr Eigentum wegen Nichtigkeit der Enteignungen tatsächlich nie verloren hätten, haben die Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. Abgesehen davon stünde der Zulässigkeit einer dahin gehenden Rüge auch der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführer durch das Mauergrundstücksgesetz überhaupt selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten betroffen sein können (zu dieser Zulässigkeitsvoraussetzung vgl. etwa BVerfGE 90, 128 <135>), was zumindest bei den Beschwerdeführern zu II, die nach ihrem Vorbringen nur Vermächtnisnehmer sind, fraglich ist. Denn jedenfalls ist eine unmittelbar gegen ein Gesetz gerichtete Verfassungsbeschwerde nur dann zulässig, wenn die Erschöpfung des Rechtswegs entsprechend § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG gerade auch im Hinblick auf den Sinn des Subsidiaritätsprinzips, eine vorherige Klärung der tatsächlichen und rechtlichen Fragen durch die allgemein zuständigen Gerichte zu gewährleisten, entbehrlich ist (vgl. BVerfGE 90, 128 <137>). Dies wäre vorliegend nicht der Fall.

Die Frage zu beantworten, ob die Enteignungen nach dem Verteidigungsgesetz wirksam waren und die betroffenen Eigentümer ihr Eigentum deshalb verloren haben ober ob diese wegen Nichtigkeit der Enteignungen Eigentümer geblieben sind, ist zuvörderst Sache der dafür zuständigen allgemeinen Gerichte und nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Möglich wäre die insoweit unverzichtbare Vorklärung etwa im Rahmen einer Klage der früheren Eigentümer oder ihrer Rechtsnachfolger auf Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB oder auf Herausgabe des geltend gemachten Eigentums nach § 985 BGB. In diesem Rahmen wäre auch darüber zu befinden, ob gegebenenfalls die Nichtigkeit der seinerzeitigen Enteignungen dem Übergang der Grundstücke in Bundeseigentum (vgl. § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 und 2 MauerG) entgegensteht und welche Auswirkungen sich daraus auf die Anwendbarkeit des Mauergrundstücksgesetzes ergeben könnten.

2. Die hilfsweise erhobene Rüge, das Mauergrundstücksgesetz verletze ihre Eigentumsgrundrechte aus Art. 14 GG, weil es keine Regelungen über eine Rückenteignung enthalte, ist jedenfalls unbegründet. Dazu kann auf die Ausführungen in dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 1997 (BVerfGE 97, 89) und in dem Nichtannahmebeschluß der Kammer vom 31. März 1998 (VIZ 1998, S. 372) verwiesen werden.

3. Nicht rechtzeitig geltend gemacht und damit unzulässig ist die Rüge der Beschwerdeführerin zu I, der Gesetzgeber habe ihr einen bereits im Rehabilitierungsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik eingeräumten Anspruch auf Rückübertragung in verfassungswidriger Weise entzogen.

Gemäß § 93 Abs. 3 BVerfGG müssen Verfassungsbeschwerden, die sich unmittelbar gegen ein Gesetz richten, binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden. Das ist hier nicht geschehen. Das Rehabilitierungsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik ist nach dem Wirksamwerden des Beitritts nur teilweise anwendbar geblieben. Die Vereinbarung vom 18. September 1990 zwischen den beiden deutschen Staaten zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrags (BGBl II S. 1239) schließt in Art. 3 Nr. 6 Buchstabe a die weitere Anwendung der im 4. Abschnitt des Rehabilitierungsgesetzes enthaltenen Regelungen über die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung, auf die sich die Beschwerdeführerin zu I in ihrer Rüge bezieht, ausdrücklich aus (vgl. dazu auch Wimmer, Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz, 1995, Einleitung Rn. 14 f.). Die Frist zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde gegen den Entzug von im Rehabilitierungsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik gewährten Ansprüchen auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung hat folglich bereits mit dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 begonnen. Die von der Beschwerdeführerin zu I insoweit erstmals mit Schriftsatz vom 24. September 1998 geltend gemachte Rüge ist danach verspätet erhoben worden.

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).



Ende der Entscheidung

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