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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 23.10.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 1300/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1300/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. April 2006 - 9 U 81/05 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Bryde, Eichberger, Schluckebier gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 23. Oktober 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung eines Rechtsmittels der Berufung, die wenige Tage vor einer Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einer für die Entscheidung zentralen Rechtsfrage erfolgte und gegen die aufgrund der einstimmigen Entscheidung im Beschlusswege nach § 522 Abs. 2 ZPO ein ordentliches Rechtsmittel nicht mehr gegeben ist.

I.

Im Ausgangsrechtsstreit verlangte die Beschwerdeführerin, eine Sparkasse, von dem Beklagten die Rückzahlung eines Darlehens, mit dem dieser den Erwerb eines Anteils an einem Immobilienfonds finanziert hatte. Zur Tilgung sollte der Beklagte über eine Lebensversicherung Kapital ansparen. Der Darlehensvertrag enthielt hinsichtlich der Kosten der Lebensversicherung lediglich die allgemeine Angabe, dass solche anfielen und vom Beklagten zu tragen seien. Das Darlehen wurde nicht an den Beklagten unmittelbar, sondern an einen von ihm beauftragten Treuhänder ausgezahlt, dem die Abwicklung des Geschäfts oblag.

Das Landgericht wies die Klage der Beschwerdeführerin mit der Begründung ab, der zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag sei gemäß § 6 Abs. 1 Verbraucherkreditgesetz a.F. (in der bis zum 30. September 2000 geltenden, hier anzuwendenden Fassung) nichtig, weil es an der gemäß § 4 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1b Verbraucherkreditgesetz a.F. erforderlichen Angabe des Gesamtbetrags der Tilgungsleistungen gefehlt habe. Dazu gehörten auch die Leistungen an die Lebensversicherung. Dieser Mangel sei nicht gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Verbraucherkreditgesetz a.F. durch Auszahlung des Darlehens geheilt. Denn die Auszahlung sei nicht an den Beklagten, sondern an den Treuhänder erfolgt. Der Beklagte habe das Darlehen damit nicht empfangen oder in Anspruch genommen. Da ein verbundenes Geschäft im Sinne des § 9 Abs. 1 Verbraucherkreditgesetz a.F. vorliege, habe er nur die finanzierte Fondsbeteiligung erlangt (vgl. BGH, Urteil des II. Zivilsenats vom 14. Juni 2004 - II ZR 393/02 -, WM 2004, S. 1529).

Auf die Berufung der Beschwerdeführerin wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 23. März 2006 unter Bezugnahme auf die damals nicht unumstrittene und zwischenzeitlich aufgegebene, aber seinerzeit einschlägige und durch mehrere Entscheidungen gefestigte Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs darauf hin, dass es beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen. In ihrer Stellungnahme hierzu behauptete die Beschwerdeführerin, in einer mündlichen Verhandlung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs am 21. Februar 2006 in einer anderen Sache hätten Richter des Senats angedeutet, dass der Senat der Rechtsprechung des II. Zivilsenats nicht zu folgen beabsichtige und es seiner Ansicht nach für den Empfang eines Darlehens im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Verbraucherkreditgesetz a.F. und damit für eine Heilung der Nichtangabe des Gesamtbetrags der Tilgungsleistungen unerheblich sei, ob ein verbundenes Geschäft vorliege. Diesen Vortrag stellte die Beschwerdeführerin unter Zeugenbeweis und reichte zudem den Terminsbericht eines an dem anderen Verfahren beteiligten Prozessbevollmächtigten zur Akte. Das Oberlandesgericht sah sich indessen zu keiner weiteren Aufklärung in dieser Richtung veranlasst; es wies die Berufung am 18. April 2006 mit dem angegriffenen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurück. Eine Woche später - am 25. April 2006 - veröffentlichte der Bundesgerichtshof eine Presseerklärung zu Urteilen des XI. Zivilsenats, die am selben Tage in der bezeichneten anderen Sache sowie in weiteren Verfahren verkündet worden waren (BGH, Urteil vom 25. April 2006 - XI ZR 193/04 -, WM 2006, S. 1003; Urteil vom 25. April 2006 - XI ZR 29/05 -, WM 2006, S. 1008; Urteil vom 25. April 2006 - XI ZR 219/04 -, WM 2006, S. 1060; Urteil vom 25. April 2006 - XI ZR 106/05 -, WM 2006, S. 1066). In zweien dieser Entscheidungen wird ausgeführt, für die Heilung des Formfehlers nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Verbraucherkreditgesetz a.F. komme es - in Änderung der Rechtsprechung - nicht darauf an, ob ein verbundenes Geschäft vorliege. Entscheidend für die Heilung sei insoweit, dass die Darlehensvaluta auf Weisung des Darlehensnehmers an einen Dritten ausgezahlt worden sei, wenn dieser überwiegend im Interesse des Darlehensnehmers tätig geworden sei. Der II. Zivilsenat habe auf Anfrage des XI. Zivilsenats erklärt, er halte an seiner anders lautenden bisherigen Rechtsprechung nicht fest (vgl. BGH, WM 2006, S. 1003 <1007 f.> sowie S. 1008 <1012 f.>).

II.

Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch den ihre Berufung zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts. Die Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO und die nicht anfechtbare Zurückweisung der Berufung durch Beschluss anstatt durch Urteil seien willkürlich gewesen, weil auch nach den Entscheidungen des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs mit Rücksicht auf die abweichenden Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte weiterer Klärungsbedarf bestanden habe. Ferner sei dem Oberlandesgericht aufgrund ihrer Stellungnahme zum Hinweisbeschluss im Zeitpunkt seiner Entscheidung bekannt gewesen, dass der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs beabsichtigt habe, von der Rechtsauffassung des II. Zivilsenats abzuweichen.

III.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).

Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg; sie ist nicht begründet. Der angegriffenen Entscheidung liegt keine Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO zugrunde, die die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf eine Entscheidung durch den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) oder auf Justizgewährung (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt oder gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot verstößt. Deshalb kann offenbleiben, ob und inwieweit sich die Beschwerdeführerin als juristische Person des Öffentlichen Rechts auch auf materielle Grundrechte berufen darf (vgl. BVerfGE 75, 192 <200>).

1. Die Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO hat im Zivilprozess Einfluss auf die Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Berufung. Die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss schließt den Instanzenzug ab. Das Rechtsmittel der Revision oder die Nichtzulassungsbeschwerde sind dagegen nicht gegeben (vgl. § 522 Abs. 3, §§ 542 ff. ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO). Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Anwendung solcher verfahrensrechtlicher Bestimmungen wie des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur, wenn sie schlechterdings nicht vertretbar ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und so einer Partei der Zugang zu einer durch die Zivilprozessordnung grundsätzlich eröffneten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (vgl. BVerfGK 5, 189 <193>; BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 5. August 2002 - 2 BvR 1108/02 -, NJW 2003, S. 281). So kann es sich unter anderem dann verhalten, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet worden ist (vgl. BVerfGE 96, 189 <203>).

2. Das Oberlandesgericht hat hier, indem es auf die bei Erlass seiner Entscheidung aktuelle und damals bereits durch Urteile gefestigte Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs und nicht auf divergierende Entscheidungen zweier anderer Oberlandesgerichte sowie behauptete Äußerungen von Mitgliedern des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs während einer mündlichen Verhandlung in einer anderen Sache abgestellt hat, weder § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO noch § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise missdeutet. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht die maßgebende Rechtsfrage aufgrund der vorausgegangenen einschlägigen Entscheidungen des II. Zivilsenats des Bundesgerichthofs (vgl. BGHZ 159, S. 294 <306>; BGH, Urteil vom 21. März 2005 - II ZR 411/02 -, WM 2005, S. 843 <844>) als geklärt angesehen und für die Verneinung einer Divergenz und einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage allein auf diese abgestellt hat. Überdies begegnet es im Ergebnis keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Oberlandesgericht die in einer mündlichen Verhandlung angeblich gefallenen Äußerungen von Richtern zum Inhalt einer möglicherweise beabsichtigten Entscheidung für die Annahme einer Divergenz oder einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage nicht hat genügen lassen.

3. Auch im Übrigen ist die Vorgehensweise des Oberlandesgerichts im Blick auf das verfassungsrechtliche Gebot wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu beanstanden. Zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung konnte es sich auf die bis dahin unveränderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 6 Abs. 2 Satz 1 Verbraucherkreditgesetz a.F. stützen; es gab lediglich allgemeine Hinweise auf eine mögliche Änderung der Rechtsprechung in der Zukunft, die jedoch ihrer Natur nach und im Blick auf das Verfahrensstadium nicht tragfähig und nicht belastbar waren.

Das Oberlandesgericht musste sich bei dieser Ausgangslage von Verfassungs wegen nicht veranlasst sehen, die Entscheidungen abzuwarten, die nach der mündlichen Verhandlung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs am 21. Februar 2006 in anderen Verfahren anstanden; eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, wäre ihm bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO ohnehin verwehrt gewesen.

Die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes erfordert es grundsätzlich nicht, dass ein Gericht von einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO so lange absehen muss, bis ein oberster Gerichtshof des Bundes in einem anderen, möglicherweise rechtlich gleich oder ähnlich gelagerten Verfahren entschieden hat. Ein solches Abwarten ist nach den Grundsätzen eines effektiven Rechtsschutzes nur dann geboten, wenn hinreichend sicher erkennbar ist, dass anderenfalls eine berechtigte Aussicht auf einen anderen Ausgang des Rechtsstreits vereitelt wird (so auch BVerfGK 7, 346 verneinend für den Fall der Terminierung einer ähnlich gelagerten Sache durch den Bundesgerichtshof). Diese hinreichend sichere Erkennbarkeit kann zwar auf der Grundlage einer amtlichen Presseerklärung zu einer ergangenen Entscheidung angenommen werden. Bei einer Pressemitteilung handelt es sich um eine allgemein und zeitnah zugängliche, offizielle Verlautbarung des Bundesgerichtshofs in textlich fixierter Form. Diese Kriterien erfüllen die von der Beschwerdeführerin behaupteten und unter Zeugenbeweis gestellten Äußerungen von Richtern des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs im Rahmen einer mündlichen Verhandlung aber ebenso wenig wie der Terminsbericht eines Prozessbevollmächtigten über den Verlauf der Verhandlung in jener Sache, in der die abschließende Beratung und die Entscheidungsfindung noch ausstand. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Ausgangssachverhalt von denjenigen Fallgestaltungen, bei denen andere Kammern des Bundesverfassungsgerichts eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) bejaht haben. Dort lagen Pressemitteilungen über eine bereits ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor (vgl. BVerfGK 5, 189 sowie BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1664/04 -, WM 2005, S. 1577).

Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zur Beantwortung der Frage, wie es sich verhielte, wenn in einem Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG ein förmlicher Anfragebeschluss gefasst und veröffentlicht worden wäre; jedenfalls Letzteres war hier nicht der Fall (vgl. dazu Goette, DStR 2006, Anmerkung S. 1099 <1100>).

Ein Zuwarten mit der Beschlussfassung nach § 522 Abs. 2 ZPO im Blick auf eine demnächst zu erwartende, die höchstrichterliche Rechtsprechung möglicherweise ändernde Entscheidung war nach allem in Ansehung der ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Pflicht zur Entscheidung in angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 88, 118 <124>) und der einfach-rechtlichen Verpflichtung, die Berufung - bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen - "unverzüglich" zurückzuweisen (so der Wortlaut des § 522 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO), von Verfassungs wegen nicht geboten.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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