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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 27.12.2005
Aktenzeichen: 1 BvR 1359/05
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 1 Abs. 1 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1359/05 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen a) das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. November 2004 - III ZR 361/03 -,
b) das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 2. Dezember 2003 - 16 U 116/03 -
und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Haas und die Richter Hömig, Bryde gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. Dezember 2005 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die mit einem Prozesskostenhilfeantrag verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Abweisung einer Schadensersatzklage nach einer Haftunterbringung.
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßte eine Freiheitsstrafe und hielt sich im Zuge einer Besuchszusammenführung vom 10. bis 12. Juli 2002 als so genannter Durchgangsgefangener in der Transportabteilung einer Justizvollzugsanstalt auf. Dort war er zusammen mit vier weiteren Gefangenen in einem 16 qm großen Gemeinschaftshaftraum untergebracht, der bei Normalbelegung mit drei, bei Notbelegung mit bis zu fünf Gefangenen belegt wurde. Der Raum war mit einem Etagenbett, drei Einzelbetten, fünf Stühlen, zwei Tischen und zwei Spinden ausgestattet. Waschbecken und Toilette waren mit einem Sichtschutz abgetrennt.
Auf Antrag des Beschwerdeführers stellte die Strafvollstreckungskammer im September 2002 rechtskräftig die Rechtswidrigkeit der Unterbringung fest. Die gemeinsame Unterbringung von fünf Gefangenen in einem nachts verschlossenen, 16 qm großen Haftraum bei Abtrennung der Toilette nur mit einem Sichtschutz verstoße gegen das Gebot menschenwürdiger Unterbringung.
Der Beschwerdeführer verklagte das Land daraufhin auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgelds. Das Landgericht gab der Amtshaftungsklage im Wesentlichen statt (StV 2003, S. 568). Das Oberlandesgericht hat sie dagegen auf die Berufung des Landes abgewiesen (NJW-RR 2004, S. 380). Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Beschwerdeführers zurückgewiesen (BGHZ 161, 33). Die tatrichterliche Würdigung, dass durch die Art und Weise der Unterbringung die Menschenwürde des Beschwerdeführers verletzt worden sei, lasse Rechtsfehler nicht erkennen. Auch ein Verschulden der Amtsträger des Landes liege vor. Die Revision bleibe jedoch insoweit ohne Erfolg, als das Berufungsgericht den daraus abgeleiteten Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) daran habe scheitern lassen, dass unter den besonderen Umständen des Falles die Zuerkennung einer Entschädigung für die zweitägige Unterbringung in dem Gemeinschaftshaftraum aus Gründen der Billigkeit weder unter dem Gesichtspunkt der Ausgleichs- noch unter dem der Genugtuungsfunktion geboten sei.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Urteile des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs. Er macht insbesondere geltend, die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen Art. 1 Abs. 1 GG, weil sie eine schuldhafte Amtspflichtverletzung annähmen, eine Geldentschädigung aber mangels eines besonders schwerwiegenden Eingriffs für nicht geboten hielten. Ohne angemessene Entschädigung in Geld bleibe dem Beschwerdeführer die durch seine Grundrechte geforderte Genugtuung versagt.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) nicht zu. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass eine umfassende unmittelbare Staatsunrechtshaftung von Verfassungs wegen nicht gefordert ist (vgl. BVerfGE 61, 149 <198>; BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NVwZ 1998, S. 271 <272>). Ebenfalls schon entschieden ist, dass Strafgefangene Anspruch auf eine menschenwürdige Unterbringung haben (vgl. BVerfGE 45, 187 <228>; 72, 105 <115 f.>; vgl. auch BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, NJW 1993, S. 3190; 3. Kammer des Zweiten Senats, NJW 2002, S. 2699 <2700>; NJW 2002, S. 2700).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
a) Es kann nicht festgestellt werden, dass die angegriffenen Entscheidungen gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen.
aa) Die Rüge des Beschwerdeführers, die Gerichte hätten zu Unrecht unter Verletzung insbesondere von Art. 1 Abs. 1 GG einen Entschädigungsanspruch in Geld abgelehnt, betrifft primär die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts. Diese sind in erster Linie Aufgabe der Fachgerichte und können vom Bundesverfassungsgericht - abgesehen von Verstößen gegen das hier nicht als verletzt gerügte Willkürverbot - nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die Normauslegung die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 85, 248 <257 f.>).
bb) Gemessen daran sind die angegriffenen Entscheidungen mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht und der Bundesgerichtshof haben bei der Auslegung und Anwendung des § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG und § 847 BGB a.F. die Bedeutung und Tragweite der Menschenwürdegarantie in Art. 1 Abs. 1 GG nicht grundlegend verkannt.
(1) Mit der Menschenwürde als oberstem Wert des Grundgesetzes und tragendem Konstitutionsprinzip ist der soziale Wert und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Jedem Menschen ist sie eigen ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Was die Achtung der Menschenwürde im Einzelnen erfordert, kann von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht völlig gelöst werden (vgl. BVerfGE 96, 375 <399 f.> m.w.N.).
Dieses Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden. In der Strafvollstreckung ist ebenso wie im Erkenntnisverfahren zu beachten, dass die menschliche Würde unmenschliches, erniedrigendes Strafen verbietet und der Täter nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs zum bloßen Objekt der Vollstreckung herabgewürdigt werden darf (vgl. BVerfGE 72, 105 <115 f.> m.w.N.). Die grundlegenden Voraussetzungen individueller und sozialer Existenz des Menschen müssen erhalten bleiben. Aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ist daher gerade für den Strafvollzug die Verpflichtung des Staates herzuleiten, jenes Existenzminimum zu gewähren, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmacht (vgl. BVerfGE 45, 187 <228>; BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats, NJW 1993, S. 3190).
(2) Nach diesen Grundsätzen kann ein Verstoß der angegriffenen Entscheidungen gegen Art. 1 Abs. 1 GG nicht festgestellt werden.
Das gilt auch dann, wenn mit dem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof davon ausgegangen wird, dass die zweitägige Unterbringung des Beschwerdeführers in einem 16 qm großen, mit fünf Gefangenen belegten Gemeinschaftshaftraum mit abgetrennter Toilette die Menschenwürde des Beschwerdeführers verletzt hat (zweifelnd insoweit Deiters, JR 2005, S. 327; zur Notwendigkeit, den Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG restriktiv zu bestimmen, weiter etwa auch Jarass, in: Ders./Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl. 2004, Art. 1 Rn. 5). Es sind jedenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen zu erheben, dass der Bundesgerichtshof angenommen hat, zwischen der Feststellung einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG einerseits und der Zuerkennung einer Geldentschädigung nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG andererseits bestehe kein zwingendes Junktim.
(a) Art. 34 GG sieht auf der Rechtsfolgenseite eine Beschränkung auf einen bestimmten Schadensausgleich nicht ausdrücklich vor. Er spricht nur von der Verantwortlichkeit des Staates oder der zuständigen Körperschaft im Haftungsfall. Der Schadensausgleich kann daher aus der Sicht des Verfassungsrechts je nach den Verhältnissen im Einzelfall durch eine Entschädigung in Geld, aber auch auf andere Weise, durch Naturalrestitution oder durch sonstige Folgenbeseitigung, vorgenommen werden (vgl. Bonk, in: Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl. 2003, Art. 34 Rn. 86, 104). Auch wenn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung grundsätzlich nur zu Geldersatz und nicht zur Naturalrestitution führt (vgl. BGHZ 34, 99 <104 ff.>; 121, 367 <374>; stRspr), sind andere Arten des Schadensausgleichs von Verfassungs wegen nicht schlechthin ausgeschlossen. Davon gehen im Ansatz zutreffend auch die angegriffenen Entscheidungen aus.
Art. 1 Abs. 1 GG verlangt keine grundsätzlich andere Beurteilung. Ebenso wenig wie die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde dazu zwingt, jede Verletzung des aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG entwickelten allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Geld zu entschädigen (vgl. dazu BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2004, S. 2371 <2372 f.>), führt Art. 1 Abs. 1 GG - ungeachtet insoweit bestehender Unterschiede - im Rahmen von Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB dazu, dass die den Staat treffende Verantwortlichkeit nur durch die Leistung von Geldersatz eingelöst werden kann.
(b) Es begegnet von daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Oberlandesgericht und der Bundesgerichtshof im Ergebnis davon ausgegangen sind, der Beschwerdeführer habe unter den besonderen Umständen seines Falles einen hinreichenden Ausgleich und eine zureichende Genugtuung bereits dadurch erfahren, dass die Strafvollstreckungskammer die Rechtswidrigkeit seiner Haftunterbringung und einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG festgestellt habe. Zwar ist bei Annahme einer Verletzung der Menschenwürde eine Abwägung mit anderen verfassungsrechtlichen Belangen nicht möglich. Das betrifft aber nur die "Tatbestandsseite", den Umstand nämlich, dass beim Vorliegen eines Eingriffs dieser nicht durch Abwägung mit anderen - noch so gewichtigen - Verfassungsbelangen gerechtfertigt werden kann. Unberührt davon bleibt, dass auf der Rechtsfolgenseite, hier der Frage nach Art und Umfang eines Schadensausgleichs, Erwägungen zur Schwere des Eingriffs angestellt und Art und Höhe dieses Ausgleichs von der Eingriffsintensität abhängig gemacht werden können.
b) Auch die weiteren Verfassungsrügen sind unbegründet. Von einer Begründung wird insoweit gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Ende der Entscheidung
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