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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 20.02.2002
Aktenzeichen: 1 BvR 1412/01
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 423/99 - - 1 BvR 821/00 - - 1 BvR 1412/01 -

IM NAMEN DES VOLKES

In den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden

a) gegen

aa) das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 27. Januar 1999 - 8 U 87/97 -,

bb) das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. April 1997 - 325 O 295/95 -

- 1 BvR 423/99 -,

b)gegen

aa) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 4. April 2000 - XI ZR 218/99 -,

bb) das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 16. Juni 1999 - 8 U 41/99 -

- 1 BvR 821/00 -,

gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 11. Juli 2001 - 8 U 45/98 -

- 1 BvR 1412/01 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde

am 20. Februar 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 27. Januar 1999 - 8 U 87/97 - und das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. April 1997 - 325 0 295/95 - verletzen die Beschwerdeführerin zu I. 1. in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts wird aufgehoben und das Verfahren an das Hanseatische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat der Beschwerdeführerin zu I. 1. die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 20.000 ? (in Worten: zwanzigtausend Euro) festgesetzt.

2. Der Beschluss der Bundesgerichtshofs vom 4. April 2000 - XI ZR 218/99 - und das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 16. Juni 1999 - 8 U 41/99 - verletzen die Beschwerdeführerin zu I. 1. in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs und das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts werden aufgehoben und das Verfahren an das Hanseatische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Die Bundesrepublik Deutschland und die Freie und Hansestadt Hamburg haben der Beschwerdeführerin zu I. 1. die notwendigen Auslagen je zur Hälfte zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 55.000 ? (in Worten: fünfundfünfzigtausend Euro) festgesetzt.

3. Die Verfassungsbeschwerden des Beschwerdeführers zu I. 2. werden nicht zur Entscheidung angenommen.

4. Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 11. Juli 2001 - 8 U 45/98 - verletzt den Beschwerdeführer zu II. in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts wird aufgehoben und das Verfahren an das Hanseatische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer zu II. die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 30.000 ? (in Worten: dreißigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Frage, ob ein Inkassounternehmer berechtigt ist, seine Kunden darüber zu beraten, ob und nach welchen rechtlichen Gesichtspunkten und in welcher Höhe eine Forderung, die der Inkassounternehmer einziehen will, dem Kunden zusteht.

I.

Die Beschwerdeführer in den Verfahren 1 BvR 423/99 und 1 BvR 821/00 sind ein Inkassounternehmen, das die Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz (im Folgenden: RBerG) "zur außergerichtlichen Einziehung von Forderungen" besitzt, und ein Rechtsanwalt, der Geschäftsführer und Inkassobevollmächtigter dieses Unternehmens ist. Sie scheiterten bei der Einziehung von Forderungen daran, dass die Gerichte die Forderungsabtretung gemäß § 134 BGB für nichtig hielten, weil im Zusammenhang mit der Abtretung unerlaubte Rechtsberatung stattgefunden habe.

1. Verfahren 1 BvR 423/99

Mit ihrer Klage in dem Ausgangsverfahren machte die Beschwerdeführerin zu I. 1. aus abgetretenem Recht gegen eine Bank Ansprüche wegen behaupteter Nichtigkeit eines Darlehensvertrages geltend. Der Darlehensnehmer hatte ihr im Mai 1995 sämtliche Forderungen in noch unbekannter Höhe verkauft und sie zugleich abgetreten. Als Entgelt waren dem Darlehensnehmer 75 vom Hundert dessen versprochen, das die Beschwerdeführerin erzielen werde. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage der Beschwerdeführerin abgewiesen, weil sie vor dem Ankauf der Forderung verbotene Rechtsberatung ausgeübt habe. Bis zum Besuch des Mitarbeiters der Beschwerdeführerin habe der Darlehensnehmer keine Zweifel an der Wirksamkeit des von ihm abgeschlossenen Darlehensvertrages gehabt. Erst danach sei ihm die Forderung als möglich bewusst geworden. Zu solcher Rechtsberatung sei die Beschwerdeführerin nicht befugt. Ein solches Verfahren gefährde die Interessen des Zedenten, der - wie vorliegend - noch mit 75 vom Hundert am erzielten Erlös beteiligt und insoweit an der Durchsetzung der abgetretenen Forderung auch interessiert geblieben sei. Dieses Interesse werde gefährdet, wenn ein Inkassokaufmann die Klärung von Rechtsfragen übernehme. Solchen Gefahren solle durch das Rechtsberatungsgesetz begegnet werden.

2. Verfahren 1 BvR 821/00

Das Ausgangsverfahren betrifft Ansprüche eines anderen Darlehensnehmers gegen dieselbe Bank, die sich die Beschwerdeführerin zu I. 1. im November 1996 gegen einen Kaufpreis in Höhe von zunächst 1.00 DM abtreten ließ; weitere 500 DM sollten innerhalb von 14 Tagen nach Prüfung der Unterlagen und Entscheidung darüber, ob Ansprüche nach Meinung der Beschwerdeführerin bestanden, fällig werden. Mit einem weiteren Vertragszusatz wurden dem Darlehensnehmer 50 vom Hundert der an die Beschwerdeführerin zur Auszahlung kommenden Beträge zugesagt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von rund 36.000 DM stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klage jedoch abgewiesen, da die Beschwerdeführerin nicht aktiv legitimiert sei; die Abtretung sei wegen Verstoßes gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG in Verbindung mit § 134 BGB nichtig. Es sei Inkassounternehmen verboten, die Gläubiger darüber zu beraten, ob und nach welchen rechtlichen Gesichtspunkten und in welcher Höhe sie überhaupt Forderungen hätten. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beschwerdeführerin nicht angenommen.

II.

Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 1412/01 besitzt die Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 RBerG. Er scheiterte in einem Regressprozess gegenüber seinem früheren Rechtsanwalt daran, dass die Zivilgerichte der Auffassung waren, eine Inkassozession aus einem Darlehensvertrag gegenüber derselben Bank wie in den Verfahren zu I. sei wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz nichtig.

Der Beschwerdeführer hatte den Beklagten des Ausgangsverfahrens zur Durchsetzung der Darlehensrückabwicklungsansprüche zum Prozessbevollmächtigten bestellt. Der Rechtsstreit endete durch Vergleich in Höhe von 115.000 DM, den der Beschwerdeführer widerrufen wollte, weil er mit Ansprüchen in Höhe von knapp 150.000 DM rechnete. Der Prozessbevollmächtigte versäumte die Widerrufsfrist. Der Beschwerdeführer blieb mit der Schadensersatzforderung erfolglos, weil Landgericht und Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer den in den Ursprungsverfahren verfolgten Anspruch vollständig aberkannten.

III.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer gegen die sie belastenden gerichtlichen Entscheidungen und rügen im Wesentlichen die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Auslegung der Gerichte widerspreche dem Schutzzweck des Rechtsberatungsgesetzes, schütze die Schuldner vor Inanspruchnahme und verhindere, dass die Gläubiger mit Hilfe der Inkassounternehmer ihre Rechte geltend machen könnten. Jeder Forderungserwerb setze eine rechtliche Prüfung und damit auch ein Rechtsgespräch mit dem Vertragspartner voraus.

IV.

Zu den Verfassungsbeschwerden haben Bundesverwaltungsgericht und Bundesgerichtshof Stellung genommen, indem sie auf ihre bisherige Rechtsprechung verwiesen haben. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens halten die angegriffenen Entscheidungen für verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche AnwaltVerein teilen diese Auffassung, weil die Prüfung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe einem potentiellen Kunden von Inkassounternehmen Forderungen zustehen könnten, eine genuine und damit unzulässige Rechtsberatung darstelle, die um des Schutzes der Rechtsuchenden willen eine qualifizierte und umfassende Ausbildung erfordere und daher anwaltlicher Tätigkeit vorbehalten werden müsse.

Der Bundesverband Deutscher Inkassounternehmen hält die Verfassungsbeschwerden hingegen für begründet. Die Gerichte hätten die Ausstrahlungswirkung der Berufsfreiheit übersehen. Das Rechtsberatungsgesetz bezwecke, zum Schutz der Rechtsuchenden und im Interesse einer reibungslosen Abwicklung des Rechtsverkehrs fachlich ungeeignete und unzuverlässige Personen von der geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten fernzuhalten. Eine Gefährdung dieses Schutzzweckes sei nicht ersichtlich, wenn ein Inkassobüro den Kunden hinsichtlich Bestand, Rechtsgrund und Höhe der einzuziehenden Forderung berate. Dies gehöre vielmehr zur gesetzlich geforderten verantwortungsbewussten und "gewissenhaften" Wahrnehmung des Einziehungsauftrages.

B.

I.

Die Verfassungsbeschwerden des Beschwerdeführers zu I. 2. erfüllen nicht die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG, weil sie unzulässig sind. Die Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen setzt voraus, dass ein Beschwerdeführer durch diese nicht nur mittelbar faktisch, sondern unmittelbar rechtlich betroffen wird (BVerfGE 15, 256 <262 f.>; 96, 231 <237>). Da der Beschwerdeführer zu I. 2. nicht Partei der Ausgangsverfahren war, betreffen ihn die angegriffenen Entscheidungen rechtlich nicht unmittelbar.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden im Übrigen zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin zu I. 1. und den Beschwerdeführer zu II. in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).

1. Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Rechtsberatungsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 41, 378; 75, 246; 75, 284; 97, 12). Das Rechtsberatungsgesetz bezweckt, zum Schutz der Rechtsuchenden und auch im Interesse einer reibungslosen Abwicklung des Rechtsverkehrs fachlich ungeeignete und unzuverlässige Personen von der geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten fernzuhalten (vgl. BVerfGE 41, 378 <390>; 75, 246 <267, 275 f.>; 97, 12 <26 f.>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

a) Als Grundlage für die in den angegriffenen Entscheidungen ausgesprochene Nichtigkeit der Abtretung haben die Gerichte das Verbot der Rechtsberatung durch den Inhaber einer Inkassoerlaubnis aus Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 Nr. 5 RBerG benannt. Art. 1 § 1 RBerG lautet:

(1) Die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der Rechtsberatung und der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen darf geschäftsmäßig ... nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt ist. Die Erlaubnis wird jeweils für einen Sachbereich erteilt:

1. bis 4. ...

5. Inkassounternehmern für die außergerichtliche Einziehung von Forderungen (Inkassobüros),

6. ...

Sie darf nur unter der der Erlaubnis entsprechenden Berufsbezeichnung ausgeübt werden.

(2) Die Erlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Antragsteller die für den Beruf erforderliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung sowie genügende Sachkunde besitzt und ein Bedürfnis für die Erlaubnis besteht. ...

(3) bis (5) ...

Die Inkassoerlaubnis berechtigt danach zum geschäftsmäßigen Forderungserwerb. Im Absatz 1 der Vorschrift wird die Berufstätigkeit des Inkassounternehmers der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten und der Rechtsberatung gleichgestellt und mit einem Verbot unter Erlaubnisvorbehalt belegt. Nur aufgrund ausdrücklicher Erlaubnis dürfen daher Personen, die nicht Rechtsanwälte sind, geschäftsmäßig Forderungen erwerben und einziehen (vgl. Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Aufl. 2001, Art. 1 § 1 Rn. 109; Caliebe, in: Seitz, Inkasso-Handbuch, 3. Aufl. 2000, Rn. 1084).

Auslegung und Anwendung dieser Normen sind vornehmlich Aufgabe der Fachgerichte und können vom Bundesverfassungsgericht - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 85, 248 <257 f.>; 97, 12 <27>).

b) So liegt es hier. Die angegriffenen Entscheidungen werden dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.

Nach der von den Gerichten in den angegriffenen Entscheidungen vertretenen Auffassung ist es dem Inhaber einer Inkassoerlaubnis untersagt, seine Kunden darüber zu beraten, ob und unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten ihnen eine Forderung zusteht. Damit haben die Gerichte die Berufsausübungsfreiheit der Inkassounternehmer unverhältnismäßig eingeschränkt. Sie haben Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 RBerG nicht verfassungsgemäß ausgelegt und angewendet (in diesem Sinn auch Caliebe in der Anm. zu BGH, EWiR Art. 1 RBerG 2/01, S. 441).

aa) Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden (vgl. BVerfGE 101, 331 <347>). Die aus Gründen des Gemeinwohls unumgänglichen Beschränkungen des Grundrechts stehen unter dem Gebot der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Das gewählte Mittel muss zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sein, und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt sein (vgl. BVerfGE 30, 292 <316 f.>; 101, 331 <347 ff.>).

Weder der Schutz der Verbraucher noch die Reibungslosigkeit der Rechtspflege rechtfertigen es nach diesem Maßstab, Inhabern einer Inkassoerlaubnis die Rechtsberatung ihrer Kunden zu verbieten.

(1) Mit Rechtsberatung im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG ist grundsätzlich die umfassende und vollwertige Beratung der Rechtsuchenden, wenn auch nur in einem bestimmten - in Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 RBerG genannten - Sachbereich gemeint (vgl. BVerfGE 75, 246 <267 f.>; 97, 12 <28>). Die Norm bezieht den geschäftsmäßigen Erwerb von Forderungen zum Zwecke der Einziehung auf eigene Rechnung ein und stellt ihn unter Erlaubnisvorbehalt, um Umgehungsgeschäfte zu verhindern (vgl. BVerwG, NJW 1978, S. 234; BGHZ 58, 364 <368>). Auf diese Weise flankiert der Erlaubnisvorbehalt für Inkassounternehmer denjenigen für die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der Rechtsberatung. Er dient dazu, die mit dem geschäftsmäßigen Forderungseinzug einhergehende besondere Form der Rechtsbesorgung und Rechtsberatung in den Schutzzweck des Gesetzes einzubeziehen.

In Verfolgung dieses Schutzzwecks darf die Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten nur erteilt werden, wenn neben der persönlichen Zuverlässigkeit beim Erlaubnisinhaber auch Eignung und genügend Sachkunde vorhanden sind. Dementsprechend werden in der Zulassungsprüfung von dem Antragsteller, der die Erteilung einer Rechtsberatungserlaubnis für das Inkassogeschäft erstrebt, unter anderem profunde Kenntnisse in den ersten drei Büchern des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Allgemeiner Teil, Recht der Schuldverhältnisse, Sachenrecht), handels- und gesellschaftsrechtliche Kenntnisse, Grundkenntnisse auf dem Gebiet des Wertpapierrechts, spezielle Kenntnisse des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, des Verbraucherkreditgesetzes, des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften verlangt (vgl. Caliebe, in: Seitz, a.a.O., Rn. 1100, 1225 ff.). Im Verfahrensrecht sind Kenntnisse im Mahnverfahren, im Vollstreckungsrecht, im Konkursvergleichs- und Insolvenzrecht und im Kostenrecht erforderlich (vgl. Caliebe, in: Seitz, a.a.O., Rn. 1230). Diese Anforderungen unterstreichen, dass die außergerichtliche Einziehung von Forderungen sich nicht in der Besorgung von Wirtschaftsangelegenheiten, also von kaufmännischen Tätigkeiten, erschöpft. Derartige Kenntnisse wären für die Übernahme einfacher Tätigkeiten mit gelegentlichen rechtlichen Berührungspunkten nicht erforderlich. Solche Tätigkeiten müssten auch nicht durch das Rechtsberatungsgesetz im Prinzip den Volljuristen vorbehalten bleiben, um Gläubiger und Rechtspflege vor unqualifizierter Aufgabenerfüllung zu schützen (vgl. BVerfGE 97, 12 <32 f.>). Inkassounternehmer haben indessen nicht nur die Aufgabe schlichter Mahn- und Beitreibungstätigkeit, also einer kaufmännischen Hilfstätigkeit, die nicht als Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten anzusehen wäre. Sie übernehmen die Verantwortung für die wirkungsvolle Durchsetzung fremder Rechte oder Vermögensinteressen. Typisierend kann deshalb unterstellt werden, dass beim Forderungseinzug in allen seinen Formen auch Rechtsberatung zu leisten ist. Nur aus diesem Grund lässt sich einerseits das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt rechtfertigen; andererseits umfasst sozusagen spiegelbildlich die Erlaubnis zur Rechtsbesorgung an Inkassounternehmer zugleich die Erlaubnis zur Rechtsberatung.

(2) Setzt das Inkassounternehmen die von ihm verlangte,

überprüfte und für genügend befundene Sachkunde bei der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen ein, so ist nicht erkennbar, dass damit eine Gefahr für den Rechtsuchenden oder den Rechtsverkehr verbunden sein könnte (ebenso Caliebe, in: Seitz, a.a.O., Rn. 1100).

(aa) Vorliegend ist nicht erkennbar, dass das Verbot der Rechtsberatung beim Forderungserwerb dem Schutz der Rechtsuchenden dienen könnte.

Das Oberlandesgericht nimmt zwar in seinem Urteil vom 16. Juni 1999 - 8 U 41/99 - (Verfassungsbeschwerde zu I. b) an, dass die Kunden des Inkassounternehmens zur Forderungsabtretung "überredet" worden seien und sich dadurch gut- oder leichtgläubig des wirtschaftlichen Wertes ihrer Forderung zu erheblichen Anteilen entäußert und zugleich jeglichen Einflusses auf die Prozessführung begeben hätten. Dem kann aber nicht gefolgt werden.

Zwar hätten die Kunden ohne das Auftreten der Inkassounternehmer ihre Forderungen wohl überhaupt nicht geltend gemacht, da ihnen nicht bewusst gewesen sein dürfte, durchsetzbare Forderungen innezuhaben. Die Kunden haben aber durch die Tätigkeit des Inkassounternehmers nicht Rechtspositionen aufgegeben, sondern erstmals die Durchsetzung ihrer Rechte in Angriff genommen. Dass die Gerichte insoweit einen - im Lichte des Art. 14 Abs. 1 GG zusätzlich fragwürdigen - Rechtsverlust bewirkt haben, indem sie die Zession selbst als nichtig angesehen haben, bedarf insoweit keiner vertieften Prüfung. Denn ohne die Initiative der Beschwerdeführer wären die Forderungen von den Zedenten zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht worden. Die wirtschaftliche Einbuße infolge von Untätigkeit entspräche insoweit dem völligen Rechtsverlust. Die Inkassounternehmer haben daher - auch mit ihrer rechtlichen Beratung - den Interessen ihrer Kunden gedient.

(bb) Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ist ebenfalls nicht beeinträchtigt.

Wie die materiellrechtlichen Ausführungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts im Verfahren zu I. b) einerseits und andererseits das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. Oktober 2000 (BB 2001, S. 64) in einer weiteren gleichgelagerten Sache zeigen, war die Rechtsberatung inhaltlich erfolgreich, weil die geltend gemachten Ansprüche gegenüber der beklagten Bank für begründet gehalten werden können. Der Schutz der Rechtspflege verlangt nicht, dass vor der Zession zwischen dem Inkassounternehmer und dem Zedenten die Bewertung der Rechtslage und die Abschätzung der Erfolgsaussichten für die Beitreibung etwaiger Forderungen unterbleiben. Ohne eine derartige Verständigung könnten weder die Forderungen bewertet noch der Erfolg im Streitfall verlässlich prognostiziert werden. Unsicherheiten dieser Art wären für die Rechtspflege belastender als der mit dem Forderungserwerb verbundene Rechtsrat, den ein Inkassounternehmen mit Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz erteilt.

Der Schutz der Rechtspflege gebietet allein, dass dieser Rechtsrat durch sachkundige Personen erteilt wird. Dieses Erfordernis wird durch Art. 1 § 1 Abs. 2 RBerG und die Sachkundeprüfung sichergestellt. Verneinte man in solchen Fällen die Aktivlegitimation des Inkassounternehmers, würde nicht die Rechtspflege, sondern der jeweilige Schuldner geschützt. Ein Schuldnerschutz durch Rechtsunkenntnis liegt aber gerade nicht im Interesse des Rechtsverkehrs. Das Rechtsberatungsgesetz bezweckt den Schutz der Ratsuchenden, hier der Gläubiger, und nicht den Schutz der Schuldner vor den Folgen zutreffend erteilten Rechtsrats und wirkungsvoller Rechtsbesorgung.

Dieser Gesichtspunkt tritt auch in den Ausgangsverfahren deutlich hervor. Ob den Zedenten noch eine Chance der Durchsetzung ihrer Forderungen bliebe, hängt vor allem vom Zeitablauf und der möglichen Einrede der Verjährung ab. Die Gerichte haben bei ihrer Auslegung diese Folgen in ihre Rechtsfindung nicht einbezogen.

bb) Selbst wenn man annehmen wollte, der Zweck des Rechtsberatungsgesetzes könnte das Verbot einer substantiellen Rechtsberatung durch Inkassounternehmer, die darauf gerichtet ist, festzustellen, ob es überhaupt eine einzuziehende oder zu erwerbende Forderung gibt, rechtfertigen, führt jedenfalls eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe zu dem Ergebnis, dass die Grenze der Zumutbarkeit überschritten ist (vgl. auch Zuck, BRAK-Mitt. 2001, S. 105 <107>).

Der Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung und des Rechtsverkehrs sind zwar hochwertige Gemeinschaftsgüter, die Eingriffe in die Berufsausübung rechtfertigen können. Jedoch verfügen die Inkassounternehmen, die nicht ohne Erlaubnis tätig werden dürfen, über die erforderliche Sachkunde, um die gekauften Forderungen einzuziehen und die Berechtigung der Beitreibung selbständig zu prüfen (so VGH Mannheim, NJW-RR 1998, S. 1203). In eigener Verantwortung werden sie zudem nur außergerichtlich tätig. Wird die gerichtliche Durchsetzung erwogen, ergänzt der Rechtsrat des hinzuzuziehenden Rechtsanwalts die Rechtskenntnisse, die für den Sachkundenachweis geprüft werden.

Unverhältnismäßig ist die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Einschränkung auch deshalb, weil die Inkassoerlaubnis Außenwirkung hat. Ist sie zu Recht erteilt, kann sich der Rechtsverkehr darauf verlassen, dass solche Unternehmen Forderungen in eigenem oder in fremdem Namen einziehen können. Schuldner können auf die Abtretungsurkunde vertrauen, sind also sicher, dass sie an den richtigen Gläubiger zahlen (vgl. § 409 BGB). Gläubiger können sich darauf verlassen, dass sie die Dienste konzessionierter Unternehmen in Anspruch nehmen und die Durchsetzung ihrer Forderung von nun an Sache ihres Vertragspartners ist. Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn nicht ein endgültiger Preis für die Forderung gezahlt wird, sondern eine Beteiligung am noch ausstehenden Erfolg der Beitreibung als Entgelt vereinbart wird. Diese Funktion der Inkassoerlaubnis, nach außen hin Klarheit im Rechtsverkehr zu schaffen, wäre gefährdet, wenn eine Rechtsberatung vor oder gar nach Erteilung des Auftrags die Nichtigkeit der Abtretung zur Folge haben könnte. Abreden, die den Zedenten unangemessen benachteiligten, können von den Zivilgerichten auf andere Weise kontrolliert werden.

3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem dargelegten Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Die angegriffenen Entscheidungen sind daher aufzuheben.

4. Die Entscheidungen über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer beruhen auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung der Gegenstandswerte auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.



Ende der Entscheidung

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