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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 22.03.1999
Aktenzeichen: 1 BvR 1514/94
Rechtsgebiete: BVerfGG, StGB


Vorschriften:

BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
StGB § 186
StGB § 185
StGB § 193
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1514/94 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn S...

gegen

a) den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 18. Juli 1994 - 5St RR 66/94 -,

b) das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. Dezember 1993 - 5 Ns 36 Js 20052/93 -,

c) das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 15. Juli 1993 - 2 Cs 11 Js 686/93 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Grimm, Hömig gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 22. März 1999 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigungsdelikten.

I.

1. Der Beschwerdeführer engagierte sich Anfang der 90er Jahre in der Betreuung von Asylbewerbern. Namentlich kümmerte er sich um eine rumänische Asylbewerberfamilie. Die Unterbringung dieser Familie in einem Mietshaus in E. führte zu Spannungen mit den übrigen Hausbewohnern, weshalb das zuständige Landratsamt der Familie eine neue Unterkunft in einem Asylbewerberheim zuwies. Die Rechtmäßigkeit dieser behördlichen Maßnahme wurde später verwaltungsgerichtlich bestätigt. Da die Asylbewerberfamilie ihre Wohnung nicht freiwillig räumte, brachen Bedienstete des Landratsamts unter Anwesenheit von Polizeibeamten am 24. Oktober 1991 die Wohnungstür der Familie auf und räumten die Wohnung zwangsweise. Die Räumungsaktion verlief nach den Feststellungen der Strafgerichte weitgehend gewaltfrei. Der Streit der Asylbewerberfamilie mit den übrigen Hausbewohnern, die behördlich angeordnete Verlegung und die zwangsweise Wohnungsräumung fanden in der örtlichen Presse ein erhebliches Echo. Unter anderem berichtete die "E. Neuesten Nachrichten" in der Wochenendausgabe vom 26./27. Oktober 1991 unter der Überschrift "Räumkommando bei 'Nacht- und Nebel-Aktion'" über die Wohnungsräumung.

2. Der Beschwerdeführer verfaßte im Zusammenhang mit der Wohnungsräumung drei Briefe. Bereits am 24. Oktober 1991, noch vor der Räumungsaktion, schrieb er an den Landrat des Landkreises E. unter anderem folgendes:

"Ich frage mich, ob Sie über gewisse, schändliche, widerwärtige und den Interessen der Bundesrepublik Deutschland außerordentlich abträgliche Vorgänge unterrichtet sind, die von einigen Bediensteten Ihres Amtes ausgehen. Es kann natürlich auch sein, daß Sie die Dinge erst - heute? - aus der Presse erfahren.

Seit einigen Tagen versuchen die Bediensteten Ihres Landratsamtes, H. und S., eine Zigeunerfamilie aus reinem Rassenhaß - nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik ist die Verfolgung und Benachteiligung aus ... rassischen Gründen ein Verstoß gegen unsere Verfassung - aus ihrer Wohnung hinauszudrängen."

Am 28. Oktober 1991 schrieb der Beschwerdeführer an den Bundespräsidenten:

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

erlauben Sie mir bitte, Ihnen den mir aus eigener Anschauung bekannten und in den nachstehend übersandten Zeitungsartikeln geschilderten Vorfall zur Kenntnis zu bringen.

Dieser empörende Vorgang, dem ich zutiefst beschämt und fassungslos gegenüberstehe, erinnert mich an sehr finstere Zeiten in Deutschland, die ich als Kind noch miterlebt habe. Wieder werden Mitglieder einer Randgruppe, Sinti, von einer deutschen Behörde offensichtlich als weitgehend vogelfrei betrachtet und auf menschenverachtende Weise behandelt. Dabei schreckt man nicht einmal davor zurück, sich an den zum Teil noch sehr kleinen Kindern dieser Leute in verabscheuungswürdiger Weise zu vergreifen.

Aus eigener Anschauung und aus einem gestern geführten Gespräch mit den betroffenen Eltern ... ist mir bekannt, daß die Eltern bei der Räumung der Wohnung, die übrigens ohne gültigen Rechtstitel eines deutschen Gerichtes erfolgte, von den anwesenden Beamten/Bediensteten des Landratsamtes E. und den 'Amtshilfe' leistenden Beamten der Polizeiinspektion E. gewaltsam daran gehindert wurden, ihre Kinder bei dem mit den Worten 'Raus hier, raus' begleiteten amtlichen Hinausschmiss wenigstens zu bekleiden. Vielmehr riß einer der Beamten das Tischtuch vom zum Essen vorbereiteten Tisch - das Essen kochte auf dem Herd - und befahl der Mutter barsch, das Kleinste darin einzuwickeln. Es konnte offenbar alles gar nicht schnell genug gehen.

So wurden die Kinder, teils nackt, teils nur mit dünnen Hemdchen bekleidet, barfuß - auch der Mutter wurde nicht einmal gestattet, ihre Schuhe anzuziehen, in die bereitstehenden Autos verfrachtet und abtransportiert.

Es ist mir wohl kaum zum Verdenken, daß mir bei einem solchen Vorgehen deutscher Amtsstellen gegenüber ausländischen Asylbewerbern das Wort DEPORTATION in den Sinn kommt, das im Zusammenhang mit Juden und Zigeunern eine ganz besondere Qualität in Deutschland hat.

Schließlich schrieb der Beschwerdeführer am 30. Oktober 1991 einen weiteren Brief an den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, in dem er in ähnlicher Weise wie in dem Brief an den Bundespräsidenten die Geschehnisse um die Asylbewerberfamilie beschrieb und dazu Stellung nahm.

3. Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer wegen dreier selbständiger Vergehen der üblen Nachrede (§ 186 StGB) in zwei Fällen tateinheitlich mit Beleidigung (§ 185 StGB) zu einer Geldstrafe von 65 Tagessätzen zu je 25 DM verurteilt.

Die Äußerung des Beschwerdeführers in dem Schreiben an den Landrat, die Angehörigen des Landratsamts hätten die Asylbewerberfamilie aus "reinem Rassenhaß" aus ihrer Unterkunft gedrängt, sei beleidigend und eine ehrverletzende Tatsachenbehauptung. Ebenso enthielten die Briefe an den Bundespräsidenten und den Hohen Flüchtlingskommissar ehrverletzende Tatsachenbehauptungen. Zudem hätten verschiedene Äußerungen in dem Schreiben an den Bundespräsidenten wie "weitgehend vogelfrei, menschenverachtend, verabscheuungswürdig" beleidigenden Charakter. Die Behauptungen des Beschwerdeführers seien allesamt nicht wahr, weil das Landratsamt E. für die Verlegung der Asylbewerberfamilie sachliche Gründe gehabt habe und die Beamten sich bei der eigentlichen Räumungsaktion ordnungsgemäß verhalten hätten.

4. Das Landgericht hat die Berufung des Beschwerdeführers verworfen und das amtsgerichtliche Urteil auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin dahingehend geändert, daß der Beschwerdeführer wegen dreier selbständiger Vergehen der üblen Nachrede (§ 186 StGB) zu einer Geldstrafe von 65 Tagessätzen zu je 40 DM verurteilt wurde. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:

Der Beschwerdeführer habe über die bei der Wohnungsräumung beteiligten Beamten ehrenrührige Behauptungen aufgestellt, die sämtlich nicht wahr seien. Auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) könne sich der Beschwerdeführer nicht berufen. Im Rahmen der Güter- und Pflichtenabwägung seien die Ehre der Beamten, welche in rechtmäßiger Ausübung ihres Dienstes gehandelt hätten, und die Absicht des Beschwerdeführers, vermeintliches Unrecht gegen die Asylbewerberfamilie anzuprangern, zu beachten. Der Beschwerdeführer habe sich aber leichtfertig über die Belange der Beamten hinweggesetzt. Er habe seine Schilderung allein auf die Erzählung der Mutter der Asylbewerberfamilie gestützt. Ihn treffe hingegen eine Informationseinholungspflicht, bevor er andere Personen vorschnell an Ruf, Ansehen und Würde in Mitleidenschaft ziehe. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit stehe einer Verurteilung nicht entgegen. Die Äußerungen des Beschwerdeführers stellten keine Meinungskundgabe zur staatlichen Behandlung der Asylproblematik dar, sondern seien unwahre Tatsachenbehauptungen. Der Beschwerdeführer habe kein pauschales Urteil gefällt und keine Wertung vorgenommen, sondern ganz gezielt Menschen diffamiert. Er habe konkret über die beteiligten Beamten behauptet, diese hätten bei der Räumungsaktion das Bekleiden der Kinder und die Mitnahme von Speisen nicht erlaubt, Kinder auf die Straße gejagt, eine Familie aus Rassenhaß aus der Wohnung gedrängt und schließlich die Eltern sogar gewaltsam daran gehindert, ihren Kindern Schuhe anzuziehen. Eine Meinungsäußerung könne allenfalls in bezug auf die in den Schreiben in überzogener Darstellung enthaltenen Formalbeleidigungen ("Deportation", "Rassenhaß", "menschenverachtende Weise") gesehen werden.

5. Das Bayerische Oberste Landesgericht verwarf die Revision des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet.

6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

Die Gerichte hätten verkannt, daß die von ihm gebrauchten Formulierungen keine ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen enthielten, sondern Werturteile seien. In dem Schreiben an den Landrat habe er keine Tatsache behauptet, sondern als politisch denkender und handelnder Mensch ein reines Werturteil über die Behandlung der Asylbewerberfamilie gefällt. Er habe lediglich von seinem Recht Gebrauch gemacht, eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt in einer gerade für die Sinti-Familie schwierigen Zeit ohne Furcht vor staatlicher Sanktion zu kritisieren. Auch seine Äußerungen in den Briefen an den Bundespräsidenten und Hohen Flüchtlingskommissar seien falsch bewertet worden. Die Gerichte hätten übersehen, daß er auf diverse Zeitungsartikel Bezug genommen habe. Außerdem seien seine Schilderungen der Vorfälle wahr. Insgesamt ließen die angegriffenen Entscheidungen die notwendige Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz vermissen. Außerdem sei sein Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren mißachtet worden, weil seinen Beweisanträgen nicht nachgegangen worden sei.

7. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

II.

Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die von ihr aufgeworfenen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. zusammenfassend BVerfGE 93, 266 <292 ff.>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), denn selbst bei Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen wäre ein anderes Ergebnis nicht zu erwarten.

1. Zwar begegnet das Urteil des Amtsgerichts verfassungsrechtlichen Bedenken, weil es den Einfluß von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auf Auslegung und Anwendung der strafrechtlichen Ehrenschutzvorschriften gänzlich verkannt hat. Es hat eine mögliche Rechtfertigung der inkriminierten Äußerungen weder unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit noch unter demjenigen der Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB, der den Belangen der Meinungsfreiheit beim strafrechtlichen Ehrenschutz Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 12, 113 <125>), geprüft. Dieser Mangel zwingt aber nicht zur Aufhebung der Entscheidung, weil er vom Landgericht korrigiert worden ist.

2. Die Entscheidung des Landgerichts ist verfassungsrechtlich insoweit nicht einwandfrei, als es die Äußerung, die Bediensteten des Landratsamts hätten aus "reinem Rassenhaß" gehandelt, fälschlich als unwahre Tatsachenbehauptung gewertet hat. Dieser Fehler fällt jedoch nicht entscheidend ins Gewicht. Denn die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen übler Nachrede ist außerdem auf eine Reihe anderer Tatsachenbehauptungen gestützt, die nach den Feststellungen des Gerichts unwahr waren. Diese Feststellung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer konnte sich auch nicht darauf berufen, daß er die Tatsachenbehauptungen Presseberichten entnommen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 85, 1 <21 f.>) entbindet die Wiedergabe von Presseberichten nur dann von einer Überprüfung des Wahrheitsgehalts der aufgestellten Behauptungen, wenn diese nicht aus dem eigenen Erfahrungsbereich des sich Äußernden stammen und seine Überprüfungsmöglichkeiten übersteigen. So verhielt es sich hier aber nicht. Die Verhältnisse waren dem Beschwerdeführer vertraut. Er hatte daher Gelegenheit, außer bei der betroffenen Familie auch im Landratsamt Erkundigungen einzuziehen, ehe er die inkriminierten Behauptungen in verschiedenen Briefen aufstellte. Eine die Belange der Meinungsfreiheit völlig außer acht lassende Überspannung der Sorgfaltspflichten bei ehrenrührigen Tatsachenbehauptungen liegt darin nicht. Wegen der in den Schreiben enthaltenen Werturteile ist der Beschwerdeführer vom Landgericht ausdrücklich nicht verurteilt worden. Insofern fehlt es daher an jeder Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit.

3. Da das Urteil des Landgerichts im Ergebnis der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung standhält, verstößt auch der dieses Urteil bestätigende Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht gegen das Grundgesetz.

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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