Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 05.04.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 158/98
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 1 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2479/97 - - 1 BvR 158/98 -

In den Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerden

1. der B. Verlag GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer,

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Dr. Robert Schweizer und Koll., Arabellastraße 21, München -

gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 11. November 1997 - 7 U 163/97 -

- 1 BvR 2479/97 -,

2. der Frau S...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Dr. Robert Schweizer und Koll., Arabellastraße 21, München -

gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 2. Dezember 1997 - 7 U 195/97 -

- 1 BvR 158/98 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 5. April 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerden betreffen Fragen des Persönlichkeitsschutzes gegenüber der Berichterstattung der Presse. Die Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen Urteile, die sie zur Unterlassung einer Äußerung über den Skiurlaub der Prinzessin Caroline von Monaco verpflichtet haben.

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihnen kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Die von ihnen aufgeworfenen Fragen zur Reichweite des Persönlichkeitsschutzes und der Pressefreiheit sind im Grundsätzlichen mit dem Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 - geklärt worden. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Einzelfall einschließlich der Zuordnung kollidierender Grundrechte im Zuge einer Abwägung ist eine Aufgabe der Fachgerichte. Eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung folgt nicht allein aus dem Interesse an weiteren Konkretisierungen, und zwar auch nicht insoweit, als die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommenen Klärungen Spielräume bei der Anwendung und Abwägung im Einzelfall belassen.

Die Annahme der Verfassungsbeschwerden gegen die Entscheidungen des Fachgerichts ist auch nicht nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt. Dies wäre der Fall, wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten besonderes Gewicht hätte oder die Beschwerdeführerinnen in existentieller Weise beträfe. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>).

Das Oberlandesgericht hat die Pressefreiheit, die es bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen zivilrechtlichen Vorschriften ebenso berücksichtigen muss wie den grundrechtlichen Persönlichkeitsschutz, weder verkannt noch im Verhältnis zu diesem fehlerhaft gewichtet. Es stützt den Unterlassungsanspruch auf den Schutz der Privatsphäre im Rahmen des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts, das unter Beachtung der Ausstrahlungswirkung des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG zu konkretisieren ist. Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre erfasst zum einen in thematischer Hinsicht Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als "privat" eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöst. Er erstreckt sich zum anderen auf einen räumlich bestimmten Bereich, in dem der Einzelne die Möglichkeit hat, frei von öffentlicher Beobachtung und der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein, und in dem er zu sich kommen, sich entspannen oder auch gehen lassen kann (vgl. das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 -, Umdruck S. 31 ff.).

Das Oberlandesgericht konnte seine Überlegungen nicht unter Rückgriff auf die vom Bundesverfassungsgericht erst später formulierten Grundsätze stützen. Unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe mag die vom Oberlandesgericht vorgenommene Zuordnung der streitgegenständlichen Schilderung des Einkaufs eines Pullovers in einer Boutique zum Kernbereich der Privatsphäre zwar zweifelhaft sein. Wesentliche Aussageelemente, zum Beispiel zur Konfektionsgröße, zum Preis oder zu den Einzelheiten der Kreditkartenbenutzung, beruhen jedoch auf Wahrnehmungen, die typischerweise nicht durch die Öffentlichkeit des Ortes ermöglicht werden, sondern eine indiskrete Beobachtung im Einzelnen voraussetzen. Dass das Oberlandesgericht für die gesamte Aussage den Schutz der Privatheit gewichtiger als das Informationsinteresse der Öffentlichkeit angesehen hat, beruht jedoch nicht auf einem leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen und erfordert deshalb keine Annahme der Verfassungsbeschwerde.

Die These der Beschwerdeführerinnen, Wortberichterstattung müsse bei vergleichbaren Themen in weiterem Umfang zulässig sein als Bildberichterstattung, ist in der vorgebrachten Pauschalität unzutreffend. Die Reichweite des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes gegenüber der Berichterstattung der Presse hängt nicht davon ab, wodurch das Persönlichkeitsrecht verletzt wird. Ein Text kann - worauf die Klägerin der Ausgangsverfahren zu Recht hinweist - eine Dichte von Einzelinformationen aufweisen, die eine fotografische Darstellung nicht vermittelt; das Persönlichkeitsrecht kann von einem solchen Text in gleicher Weise wie oder gar stärker als von einem Bild beeinträchtigt werden. Die im vorliegenden Fall erfolgte Wiedergabe von Details geht in diesem Sinne weiter als sie ein Foto des Pulloverkaufs vermitteln könnte.

Die im Rahmen der weiteren Tatbestandsmerkmale des Unterlassungsanspruchs erfolgte Bewertung und Gewichtung des durch die Pressefreiheit geschützten Berichterstattungs- und Unterhaltungsinteresses begegnet keinen verfassungsrechtlichen Einwänden. Auch wenn die bloße Unterhaltung in den Grundrechtsschutz einbezogen ist und sie in mehr oder weniger weit reichendem Umfang auch meinungsbildende Funktion haben kann, darf im Rahmen der Abwägung berücksichtigt werden, ob Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, erörtert oder lediglich private Angelegenheiten, die nur die Neugier befriedigen, ausgebreitet werden (vgl. das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 -, Umdruck S. 41 ff.).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

Zurück