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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 23.02.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 1582/94
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 5 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1582/94 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Vereins "Neues Forum", vertreten durch Dr. E. und Dr. W. ,

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Oppenhoff & Rädler, Rankestrasse 21, Berlin -

gegen

a) das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Juli 1994 - VI ZR 1/94 -,

b) das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 25. November 1993 - 4 U 105/93 -,

c) das Urteil des Landgerichts Halle vom 26. März 1993 - 4 O 439/92 -,

d) den Beschluss des Kreisgerichts für Halle und den Saalkreis vom 21. Juli 1992 - 24 C 724/92 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 23. Februar 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslegung einer Liste mit Namen von inoffiziellen Mitarbeitern (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) durch das "Neue Forum".

I.

1. Im Juli 1992 kursierte in Halle eine anonym verbreitete Liste über "IM-Registrierungen der Bezirksverwaltung Halle und der Kreisdienststellen Halle und Halle-Neustadt des MfS 1986 bis 1989". Die Liste enthielt etwa 4.500 Namen angeblicher inoffizieller Mitarbeiter des MfS sowie deren Personenkennziffern, Einsatzorte, Decknamen, Betriebe und Einsatzrichtungen. Der Liste waren Vorbemerkungen vorangestellt, in denen es unter anderem hieß, dass eine derart umfangreiche Liste nicht fehlerfrei sein könne und Personen aufgeführt sein könnten, die unter Umständen schon lange keinen Kontakt zum MfS mehr gehabt hätten; in Ausnahmefällen könnten sogar Personen registriert sein, obwohl es zu keiner aktiven Zusammenarbeit mit dem MfS gekommen sei.

Die Hallenser Medien berichteten ausgiebig über die Liste und veröffentlichten zunächst einzelne Namen aus ihr. Sie wurde zum Gegenstand öffentlicher Erörterung und schließlich zu Preisen von 300 bis 500 DM zum Verkauf angeboten. Daraufhin entschloss sich der Beschwerdeführer, dem die Liste zugeleitet worden war, diese in seinen Büroräumen zur öffentlichen Einsichtnahme auszulegen. Mit der Offenlegung sollte die umfassende Durchdringung aller Lebensbereiche der DDR durch das MfS dokumentiert und die politische Diskussion darüber gefördert werden. Außerdem sollte die Veröffentlichung Erpressungsversuchen vorbeugen und Spekulationen über den Inhalt der Liste beenden. Der Beschwerdeführer machte die Liste Interessenten jeweils einzeln unter Hinweis auf die Vorbemerkungen zugänglich. Nachdem die Bild-Zeitung damit begonnen hatte, die Namensliste seitenweise abzudrucken, ließ das Interesse an einer Einsichtnahme bei dem Beschwerdeführer nach. Insgesamt informierten sich bei ihm etwa 700 Personen.

2. Im Ausgangsverfahren nahm die Klägerin, die auf der Liste verzeichnet war, den Beschwerdeführer darauf in Anspruch es zu unterlassen, die IM-Liste weiterhin mit ihrem Namen und ihren Daten zu veröffentlichen, und verlangte, die auf sie bezogenen Informationen durch Schwärzung unkenntlich zu machen. Sie machte geltend, mit der Liste habe der Beschwerdeführer auch die Behauptung verbreitet, sie sei tatsächlich als inoffizielle Mitarbeiterin tätig gewesen. Das sei unwahr. Die Veröffentlichung verletze sie daher in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.

a) Das Oberlandesgericht führte in dem angegriffenen Urteil im Wesentlichen aus (veröffentlicht in NJ 1994, S. 177): Der Aussagegehalt der Liste sei dahingehend zu verstehen, dass die darin aufgeführten Personen als inoffizielle Mitarbeiter des MfS registriert gewesen und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu irgendeinem Zeitpunkt in irgendeiner Form tatsächlich auch als inoffizielle Mitarbeiter tätig geworden seien. Eine solche Aussage über die Klägerin greife in rechtswidriger Weise in deren grundrechtlich gewährleistetes und als sonstiges Recht im Sinn des § 823 Abs. 1 BGB geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, und zwar auch dann, wenn die Behauptung der Wahrheit entspreche.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleiste dem Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, innerhalb welcher Grenzen seine Daten in die Öffentlichkeit gebracht würden. Dieses Recht finde jedoch in der Meinungsfreiheit eine Schranke. Die erforderliche Abwägung, ob dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder der Meinungsfreiheit der Vorrang zukomme, sei auch dann nicht entbehrlich, wenn - was zugunsten des Beschwerdeführers unterstellt werden könne - die über die Klägerin verbreitete Behauptung der Wahrheit entspreche. Das ergebe sich aus der Wertung des (freilich nicht unmittelbar anwendbaren) § 32 Abs. 3 Nr. 2 Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG), wonach die Verbreitung auch wahrer personenbezogener Informationen über Mitarbeiter des MfS nur zugelassen sei, wenn hierdurch überwiegende schutzwürdige Interessen der genannten Personen unbeeinträchtigt blieben.

Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Bekanntmachung der Information über die Klägerin liege hier nicht vor. Die Klägerin habe in der DDR keine herausgehobene Position bekleidet. Auch heute trete sie im öffentlichen Leben nicht in Erscheinung. Im Gefüge des MfS habe sie keine besondere Funktion innegehabt. Das vom Beschwerdeführer in Anspruch genommene Interesse, die Strukturen des MfS und die Durchdringung des gesellschaftlichen Lebens der DDR durch das MfS offen zu legen, rechtfertige die Veröffentlichung ebenfalls nicht. Entscheidend sei der Zeitpunkt der Auslegung. Die Struktur des Stasi-Apparats und die Ausmaße seines Informantensystems seien mittlerweile weitgehend aufgedeckt und der Öffentlichkeit bekannt. Das möge in der Umbruchphase 1989/1990 noch anders gewesen sein. Angesichts der Konsolidierung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den neuen Bundesländern und des erreichten Kenntnisstandes über das Stasi-System habe im Juli 1992 für eine unspezifizierte öffentliche Benennung früherer inoffizieller Mitarbeiter kein Informationsbedarf mehr bestanden. Das bedeute nicht, dass eine an den Maßstäben des Stasi-Unterlagen-Gesetzes orientierte Aufarbeitung des Stasi-Systems in Frage gestellt werde. Schließlich könne auch das Motiv des Beschwerdeführers, Erpressungsversuchen vorzubeugen, den Eingriff nicht rechtfertigen, da die Veröffentlichung der kompromittierenden Information hierzu nicht geeignet sei.

b) Die Revision des Beschwerdeführers hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen aus folgenden Erwägungen zurückgewiesen (veröffentlicht in JZ 1995, S. 253):

Es sei nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht in der Veröffentlichung der Namensliste im Ergebnis eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesehen habe, und zwar auch dann, wenn die Klägerin tatsächlich als inoffizielle Mitarbeiterin des MfS tätig geworden sei, der Beschwerdeführer also eine wahre Tatsache verbreitet habe. Dabei habe der Beschwerdeführer nicht nur in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen, sondern die Klägerin mit der Auslegung der Liste auch an der Basis ihrer Persönlichkeit getroffen.

Der Hinweis auf die Tätigkeit als inoffizielle Mitarbeiterin sei geeignet, Ansehen und Wertschätzung der Klägerin in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen und sie gewissermaßen an den Pranger zu stellen. Gerade weil der Beschwerdeführer bei der pauschalierenden Offenlegung nicht nach Art der Tätigkeit differenziert habe, seien alle registrierten Personen unterschiedslos in die Kategorie von Denunzianten eingeordnet worden. Durch diese "Abstempelung" sei die Klägerin in schwerwiegender Weise in ihrem Anspruch auf soziale Geltung belastet und in dem Kernbereich ihrer Persönlichkeit betroffen. Diese Wirkung sei dadurch verstärkt worden, dass ihr Name in einer Liste von 4.500 weiteren angeblichen Mitarbeitern des MfS aufgeführt worden sei. Überdies seien alle Personen aus einem räumlich eng begrenzten Gebiet gekommen, so dass sie für die Leser aus dem Bereich der Anonymität in denjenigen einer persönlichen Bekanntheit gerückt werden konnten.

Der Beschwerdeführer könne für seinen Beitrag zur Auseinandersetzung in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage zwar grundsätzlich die Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen. Hier seien aber die Persönlichkeitsbelange der Klägerin vorrangig. Wie das Oberlandesgericht zu Recht ausgeführt habe, komme dem Motiv, Erpressungen vorzubeugen, kein Gewicht zu. Auch das Engagement des Beschwerdeführers, einen Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zu leisten, rechtfertige die Auslegung der Liste nicht. Zur Aufarbeitung dieser Probleme sei die Liste nach ihrem Inhalt kaum geeignet gewesen. Sie habe zwar vor Augen führen können, wie viele Menschen aus unterschiedlichen Schichten eines örtlich begrenzten Bereichs für das MfS gearbeitet hätten. Die pauschalierende Namensnennung habe hier jedoch nicht der Verdeutlichung eines sachlichen Anliegens durch Personalisierung des angeprangerten Geschehens gedient. Die Namensnennung habe eigentlich nur bewirken können, für einen begrenzten Bezirk um Halle die dort lebenden Menschen in durch ihre Mitarbeit für das MfS Belastete und nicht Belastete zu scheiden. Dabei möge dahinstehen, ob es kurz nach der Wende ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit auch an der unspezifizierten Namhaftmachung früherer inoffizieller Mitarbeiter gegeben habe.

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer im Wesentlichen eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG. Er trägt hierzu im Kern vor:

Die Gerichte hätten die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt. Der Bundesgerichtshof habe das für ihn schlechthin bestimmende Motiv der Auslegung der Liste, die Auseinandersetzung um das Erbe des MfS und dessen historische und politische Rolle zu führen, nicht hinreichend berücksichtigt. Er habe zeigen wollen, wie das MfS alle Lebensbereiche der DDR bis in ihre letzten Verästelungen mit inoffiziellen Mitarbeitern durchdrungen habe. Es sei ihm nicht um die Anprangerung eines einzelnen inoffiziellen Mitarbeiters gegangen.

Er habe mit der Offenlegung der Liste am öffentlichen Meinungskampf um die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit teilgenommen. Daran habe er als Verein, der aus der Bürgerbewegung der ehemaligen DDR hervorgegangen sei, ein spezielles Interesse. Die Realität der Stasi-Unterdrückung könne nur dann begreiflich gemacht werden, wenn das Phänomen "Stasi" aus der Abstraktion der amtlichen Dokumentation und Statistik herausgeführt und für die einzelnen betroffenen Menschen konkret und fasslich dargestellt werde.

Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin sei demgegenüber von geringerem Gewicht. Eingegriffen werde nicht in die Privat- oder Intim-, sondern allenfalls in die Individualsphäre. Eine wahre Tatsachenbehauptung bedeute regelmäßig keine Verletzung der Individualsphäre. Es liege keine Schmähung der Klägerin vor. Der Bundesgerichtshof bleibe demgegenüber jede Begründung schuldig für seine Feststellung, in der Veröffentlichung der Liste liege ein Angriff auf die "Basis der Persönlichkeit der Klägerin". Eine Prangerwirkung wäre nur dann anzunehmen, wenn speziell über die Klägerin und ihre Stasi-Vergangenheit berichtet würde. Unzutreffend sei daher die Feststellung des Bundesgerichtshofs, die Klägerin sei unterschiedslos in die Kategorie von Denunzianten eingeordnet worden, weil in der Liste nicht nach Art der jeweiligen IM-Tätigkeit differenziert worden sei.

II.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen lassen sich anhand der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht beantworten (vgl. BVerfGE 90, 22 <24>).

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die angegriffenen Entscheidungen beruhen weder auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen noch führen sie zu einer existentiellen Betroffenheit des Beschwerdeführers (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>; stRspr).

1. Die angegriffenen Entscheidungen sind am Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) zu messen. Die Auslegung der Liste durch den Beschwerdeführer fällt unabhängig von ihrer Einordnung als Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung in den Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 1999, S. 3326 <3327>).

Die Meinungsfreiheit findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehören auch die zivilrechtlichen Vorschriften und das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht, auf die die Fachgerichte die Unterlassungsverurteilung gestützt haben.

Auslegung und Anwendung der Vorschriften des einfachen Rechts sind Sache der Zivilgerichte, die dabei jedoch das Grundrecht der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen haben, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>). Das verlangt in aller Regel eine Abwägung der jeweils betroffenen Rechtsgüter. Dabei haben die Gerichte beide Positionen hinreichend zu berücksichtigen und in ein Verhältnis zu bringen, das ihnen angemessen Rechnung trägt. Ein Grundrechtsverstoß, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hätte, liegt insbesondere dann vor, wenn das Zivilgericht den grundrechtlichen Einfluss überhaupt nicht berücksichtigt oder unzutreffend eingeschätzt hat und die Entscheidung auf der Verkennung des Grundrechtseinflusses beruht (vgl. BVerfGE 97, 391 <401>).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hängt die Zulässigkeit einer Äußerung im Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht wesentlich davon ab, ob es sich um ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung handelt (vgl. BVerfGE 94, 1 <8>). Bei Tatsachenbehauptungen fällt ihr Wahrheitsgehalt ins Gewicht. An der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse (vgl. BVerfGE 61, 1 <8>).

Dagegen müssen wahre Aussagen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (vgl. BVerfGE 99, 185 <196>; stRspr). Das gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings nicht ausnahmslos. Bereits im Lebach-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht den Persönlichkeitsbelangen, insbesondere dem Resozialisierungsanliegen des damaligen Beschwerdeführers, gegenüber der Rundfunkfreiheit den Vorrang eingeräumt, obwohl eine wahre Berichterstattung zur Debatte stand (vgl. BVerfGE 35, 202). In der neueren Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass wahre Berichte das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen insbesondere dann verletzen können, wenn die Folgen der Darstellung für die Persönlichkeitsentfaltung schwerwiegend sind und die Schutzbedürfnisse das Interesse an der Äußerung überwiegen (vgl. BVerfGE 97, 391 <403 f.>). Das kann etwa dann der Fall sein, wenn die wahre Berichterstattung wegen ihres Gegenstandes zu einer Stigmatisierung des Betroffenen und damit zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentfaltung führen kann. Der Schutz, den das allgemeine Persönlichkeitsrecht insoweit vermittelt, greift auch dann, wenn die Aussage wahr ist und deshalb zum Anknüpfungspunkt sozialer Ausgrenzung und Isolierung wird (vgl. BVerfGE 97, 391 <404 f.>). Schließlich können auch bei wahren Aussagen ausnahmsweise Persönlichkeitsbelange überwiegen, wenn die Aussagen die Intim-, Privat- oder Vertraulichkeitssphäre betreffen und sich nicht durch ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen lassen (vgl. BVerfGE 99, 185 <196 f.>).

2. Gemessen daran sind die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht unbedenklich.

a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Deutung der umstrittenen Liste durch die Fachgerichte. Die Gerichte haben ihr die Aussage entnommen, dass die dort aufgeführten Personen nicht nur als inoffizielle Mitarbeiter registriert gewesen, sondern auch als solche tätig geworden seien. Das haben sie unter Hinweis auf den Kontext der Äußerung, insbesondere die Vorbemerkungen, schlüssig begründet und damit die Anforderungen, die Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG an die Deutung von Äußerungen stellt (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>), beachtet. Ebenso wenig begegnet die Einstufung der Äußerung als Tatsachenbehauptung verfassungsrechtlichen Bedenken.

b) Unproblematisch ist es im Ansatz auch, dass die Gerichte auf der Normanwendungsebene eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht vorgenommen haben. Das war sogar von Verfassungs wegen zwingend erforderlich, weil die über die Klägerin aufgestellte Behauptung, auch wenn sie wahr war, deren durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsbelange berührte. Die Unterstellung, eine Person habe als inoffizielle Mitarbeiterin des MfS gewirkt, diskreditiert die Person in ihrer Redlichkeit und persönlichen Integrität und setzt sie der Gefahr aus, von ihrer Umwelt argwöhnisch betrachtet zu werden. Die kompromittierte Person wird mit dem Unrecht, das vom MfS ausgegangen ist, gleichsam identifiziert (vgl. BGH, NJW 1998, S. 3047 <3048>).

c) Dagegen steht es mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in Einklang, dass die Gerichte die Auslegung der Liste als rechtswidrig eingestuft haben, obwohl sie davon ausgegangen sind, bei der Mitteilung über die Klägerin handele es sich um eine wahre Tatsachenbehauptung. Die Gerichte haben insoweit den grundrechtlichen Einfluss in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise unzutreffend eingeschätzt.

(1) Dem Veröffentlichungsinteresse des Beschwerdeführers haben die Gerichte unter Verkennung seiner grundrechtlichen Position zu wenig Bedeutung beigemessen.

Der Beschwerdeführer wollte - wie sich insbesondere der Vorbemerkung entnehmen lässt - mit der Auslegung der Liste zum Verständnis der Tätigkeit des MfS beitragen und an der politischen Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit teilnehmen. Dieses Anliegen stand unter dem Schutz des Grundrechts. Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, frei zu entscheiden, zu welchen Gegenständen er sich öffentlich äußert. Der Zeitabstand zwischen einer Äußerung und ihrem Gegenstand, auf den das Oberlandesgericht maßgeblich abgestellt hat, schränkt diese Freiheit grundsätzlich nicht ein. Dies gilt zumal dann, wenn Gegenstand der Äußerung die "Aufarbeitung" historischer Vorgänge ist. Es ist nicht die Aufgabe staatlicher Gerichte, einen Schlussstrich unter eine Diskussion zu ziehen oder eine Debatte für beendet zu erklären.

Allerdings haben die Gerichte im vorliegenden Fall ausdrücklich klargestellt, dass sie nicht generell eine persönliche, historische oder publizistische Aufarbeitung des Stasi-Systems in Frage stellen wollten, sondern allein eine bestimmte Art der "Aufarbeitung". Der Schutz des Grundrechts bezieht sich aber nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form einer Äußerung (vgl. BVerfGE 93, 266 <289>; stRspr). Das haben die Gerichte nicht hinreichend berücksichtigt.

Vor allem haben sie dem Umstand, dass sich der Beschwerdeführer zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geäußert hat, nicht ausreichend Rechnung getragen. Das MfS ragte aus den staatlichen Einrichtungen und Institutionen in der DDR in besonderer Weise heraus. Es war ein zentraler Bestandteil des totalitären Machtapparats der DDR. Es fungierte als Instrument der politischen Kontrolle und Unterdrückung der gesamten Bevölkerung und diente insbesondere dazu, politisch Andersdenkende oder Ausreisewillige zu überwachen, abzuschrecken oder auszuschalten (vgl. BVerfGE 94, 351 <368>). Die Frage, wie die inoffiziellen Mitarbeiter in das MfS eingebunden und welche Rolle ihnen dabei von der Staatssicherheit zugedacht war, wurde noch 1996 als weitgehend unerforscht bezeichnet (vgl. Müller-Enbergs <Hrsg.>, Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, 2. Aufl., 1996, S. 8). An ihrer Beantwortung existierte aber jedenfalls im Juli 1992 ein nachhaltiges öffentliches Interesse, das im Prinzip auch heute noch bestehen dürfte. Denn die systematische und umfassende Ausforschung der eigenen Bevölkerung mit nachrichtendienstlichen Mitteln war ein besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument des Einparteiensystems (vgl. BVerfGE 96, 189 <198>). Schon daraus ergibt sich das Aufklärungsinteresse. Überdies vermag die historische Erfahrung mit einer Diktatur und ihren Repressionsinstrumenten eine Anschauung darüber vermitteln, welchen Gefahren die Freiheitsrechte der Bürger ausgesetzt sein können, wenn die Sicherungen eines freiheitlichen Rechtsstaats außer Kraft gesetzt sind.

Die Feststellung des Bundesgerichtshofs, die Liste habe zur Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit praktisch nichts beitragen können, hält verfassungsrechtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand. Der Bundesgerichtshof hat insoweit die Suggestivkraft, die mit der Veröffentlichung der Liste verbunden war, nicht hinreichend berücksichtigt: Die Liste vermittelt aufgrund ihrer Länge einen nachhaltigen Eindruck von der massiven Durchdringung der Gesellschaft der DDR durch das MfS, verliert sich wegen der konkreten Angaben, insbesondere der Namensnennungen, aber nicht in der Abstraktheit bloßer Zahlen. Die fehlende Spezifizierung der Tätigkeit der in der Liste Aufgeführten, die für den Bundesgerichtshof gerade Anlass war, die Auslegung der Liste im Hinblick auf die Klägerin als rechtswidrig anzusehen, verdeutlichte, dass der potentielle Zugriff des MfS auf Informationen weit reichte und vielfältig war. Die Liste war damit aus Sicht des Beschwerdeführers ein geeignetes Mittel, die Realität des breit gefächerten Informantensystems - so, wie er es sah - vor Augen zu führen.

(2) Auf der anderen Seite rechtfertigen die tatsächlichen Umstände des Falles die Feststellung des Bundesgerichtshofs zur Schwere der Beeinträchtigung der Klägerin nicht.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin durch die Auslegung der Liste "an der Basis ihrer Persönlichkeit" getroffen wurde. Eine Berichterstattung über die Intim-, Privat- oder Vertraulichkeitssphäre, die auch im Fall ihrer Wahrheit regelmäßig rechtswidrig ist (vgl. BVerfGE 99, 185 <196 f.>), lag nicht vor. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Auslegung der Liste geeignet war, der Klägerin einen erheblichen Persönlichkeitsschaden zuzufügen. Anders als bei der Fernsehberichterstattung im Lebach-Fall entfaltete die Veröffentlichung der Liste keine besondere Breitenwirkung. Der Beschwerdeführer hat sie nicht über die Medien zugänglich gemacht, sondern nur in seinen Räumen ausgelegt. Lediglich eine vergleichsweise geringe Zahl von Personen nahm von der Liste Kenntnis. Überdies erhielten nur solche Personen die kompromittierende Information über die Klägerin, die von sich aus aktiv wurden und an der Liste ein entsprechendes Interesse hatten, das sie prinzipiell auch durch eine Einsichtnahme in Akten des MfS bei der Gauck-Behörde hätten befriedigen können. Es bedarf hier keiner Entscheidung darüber, ob die Veröffentlichung einer entsprechenden Liste in den Medien zu einem schweren Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde.

Auch von einer ausgrenzenden Stigmatisierung durch die Auslegung der Liste lässt sich nicht ohne weiteres ausgehen. Die Klägerin war nicht individuell herausgehoben, sondern als eine von 4.500 inoffiziellen Mitarbeitern im Bezirk Halle ausgewiesen worden. Insgesamt waren in der DDR mindestens 600.000 Personen als inoffizielle Mitarbeiter des MfS registriert; zuletzt waren es 174.000 (vgl. Müller-Enbergs, a.a.O., S. 7). Die Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des MfS war ein Massenphänomen. Da dies durch die publizistische Aufarbeitung jedenfalls im Ansatz schon 1992 bekannt war, führte die Behauptung, eine bestimmte Person sei inoffizieller Mitarbeiter gewesen, für sich genommen nicht zu einer nachhaltig ausgrenzenden Isolierung.

Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass die Unterstellung einer inoffiziellen Mitarbeit beim MfS in gleicher Weise zu einem Entzug sozialer Anerkennung oder einer "Abstempelung" führt wie etwa die Behauptung, eine Person habe die eigenen Kinder sexuell missbraucht (vgl. dazu BVerfGE 97, 391 <404>). Die Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des MfS ist für sich genommen strafrechtlich irrelevant. Vor allem aber wird die Rolle der inoffiziellen Mitarbeiter mittlerweile durchaus differenziert bewertet. Es ist im Zuge der Forschung nach 1989/1990 bekannt geworden, dass die inoffiziellen Mitarbeiter im Unterdrückungs- und Repressionssystem des MfS über keine eigene Macht verfügten, sondern weitgehend von ihren Führungsoffizieren abhängig waren (vgl. Müller-Enbergs, a.a.O.). Unter diesen Umständen kann man jedenfalls nicht ohne nähere Feststellungen davon ausgehen, dass allein der Umstand, dass eine Person als inoffizieller Mitarbeiter bezeichnet wird, zu sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung führt.

3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhten auch auf der Verkennung des grundrechtlichen Einflusses. Das Abwägungsergebnis war nicht durch § 32 Abs. 3 Nr. 2 StUG, auf dessen ratio legis die Gerichte unter anderem abgestellt haben, präjudiziert. Dies gilt schon deshalb, weil die Vorschrift ihrerseits wieder im Licht der grundrechtlichen Positionen auszulegen ist und sich hierzu in Fällen, in denen sie Anwendung findet, dank ihrer offenen Formulierung auch eignet.

4. Trotz der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Defizite ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt. Sowohl das Oberlandesgericht als auch der Bundesgerichtshof haben die grundrechtliche Spannungslage des Falls im Ansatz zutreffend gesehen und eine an den maßgeblichen Grundrechten orientierte Abwägung vorgenommen. Sie haben allerdings wichtige Abwägungsbelange nicht hinreichend berücksichtigt. Eine grobe Verkennung der Grundrechte oder gar ein leichtfertiger Umgang mit Grundrechten im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich jedoch nicht feststellen.

Der Beschwerdeführer ist von den Entscheidungen auch nicht existentiell betroffen. Ihm ist die Auslegung der Liste für die Zukunft untersagt worden. Bereits im Ausgangsverfahren hat er zum Ausdruck gebracht, an der Auslegung der Liste künftig kein Interesse mehr zu haben. Insofern ist er durch die angegriffenen Entscheidungen nicht mehr schwer benachteiligt. Die Kostenlast trifft ihn nicht existentiell. Eine Aufhebung und Zurückverweisung ist demnach nicht angezeigt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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