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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 21.05.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 1649/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, SGB VI, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 23 Abs. 1 Satz 2
BVerfGG § 90 Abs. 1
BVerfGG § 90 Abs. 2 Satz 1
BVerfGG § 92
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
SGB VI § 243
SGB VI § 243 Abs. 1
SGB VI § 243 Abs. 2
SGB VI § 243 Abs. 4
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1649/01 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 17. August 2001 - B 4 RA 203/00 B -,

b) den Beschluss des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Oktober 2000 - L 8 RA 91/99 -,

c) das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. September 1999 - S 2 RA 3722/97 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Gaier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 21. Mai 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten, die noch zu Lebzeiten des früheren Ehepartners eine neue Ehe eingegangen sind und nach der Auflösung der nachfolgenden Ehe eine Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des vorletzten Ehegatten begehren.

I.

1. Die im Jahr 1934 geborene Beschwerdeführerin ist Mutter von vier Kindern aus erster Ehe und hatte nach der Scheidung von ihrem ersten Ehemann im Februar 1974 eine zweite Ehe im März 1977 geschlossen. Auch diese Ehe wurde im April 1987 geschieden. Die Beschwerdeführerin erhielt im Rahmen des Versorgungsausgleichs von ihrem zweiten Ehemann eine Rentenanwartschaft in Höhe von monatlich 45,55 DM auf ihr Versichertenkonto übertragen. Unterhaltszahlungen des zweiten Ehe-mannes an die Beschwerdeführerin erfolgten nicht. Ein nach der zweiten Ehescheidung von der Beschwerdeführerin angestrebter Rechtsstreit gegen ihren ersten Ehemann auf Zahlung von Unterhalt endete im September 1996 mit einem Vergleich vor dem Berufungsgericht, in dem sich dieser verpflichtete, der Beschwerdeführerin fortlaufend Unterhalt zu leisten. Nach dessen Tod im Oktober 1996 begehrte die Beschwerdeführerin von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bund) erfolglos die Leistung einer Witwenrente nach § 243 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Ihre Klage blieb erfolglos. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sahen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rentenleistung nicht als gegeben an. Ein Anspruch aus § 243 Abs. 1 und 2 SGB VI bestehe nicht, wenn noch zu Lebzeiten des geschiedenen ersten Ehemanns eine neue Ehe geschlossen werde (§ 243 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI; § 243 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI). Etwas anderes gelte auch nicht nach § 243 Abs. 4 SGB VI. Diese Bestimmung regle das "Wiederaufleben" einer Geschiedenenwitwenrente und komme nur zur Anwendung, wenn die weitere Ehe erst nach dem Tod des vorherigen Ehegatten geschlossen wurde, so dass vor der zweiten Eheschließung zumindest ein Anspruch auf Leistung einer Geschiedenenwitwenrente hätte bestehen können. Zuletzt hat das Bundessozialgericht die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig verworfen. 2. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die ablehnenden gerichtlichen Entscheidungen. Die Beschwerdeführerin sieht sich durch die Auslegung und Anwendung des § 243 Abs. 4 SGB VI in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

II.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das Bundessozialgericht den Anforderungen an die Zulässigkeit nach § 90 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) genügt, wonach sie erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden kann. Jedenfalls hat die Verfassungsbeschwerde aus anderen Gründen keine Aussicht auf Erfolg.

1. Soweit sich die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt sieht, fehlt es bereits an einer hinreichenden Begründung nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Dazu gehört neben der Bezeichnung des angefochtenen Hoheitsaktes und der Angabe eines der in § 90 Abs. 1 BVerfGG erwähnten Rechte die substantiierte Darlegung des die Verletzung dieses Rechtes enthaltenden Vorgangs (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>). Die Beschwerdeführerin hat nicht ausreichend dargelegt, aus welchen Gründen Art. 6 Abs. 1 GG die Leistung einer Witwenrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten auch nach der Auflösung oder der Nichtigerklärung der nachfolgenden Ehe gebieten soll, wenn die weitere Eheschließung zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem ein Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente aus der Versicherung des früheren Ehegatten noch nicht entstanden war. Eine nähere Begründung wäre insbesondere im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Oktober 1980 (BVerfGE 55, 114) angezeigt gewesen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung festgestellt, eine Regelung über das Wiederaufleben einer Witwenrente sei zwar familienfreundlich und liege im Sinne des Verfassungsgebots des Art. 6 Abs. 1 GG. Eine solche Regelung sei jedoch verfassungsrechtlich nicht gefordert. Der Gesetzgeber habe davon ausgehen können, dass eine Witwenrente mit der Wiederverheiratung der Berechtigten erlösche (vgl. BVerfGE 55, 114 <127>).

2. Im Übrigen ist eine Verletzung von Verfassungsrechten der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist durch die gericht-lichen Entscheidungen nicht verletzt. Für die rentenrechtliche Differenzierung zwischen Personen, die sich erst nach dem Tod ihres geschiedenen Ehepartners wieder verheiratet haben und solchen, die noch zu Lebzeiten ihres früheren Ehepartners eine weitere Ehe geschlossen haben, bestehen sachliche Gründe. Die Witwenrente oder Witwerrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten dient dem Unterhaltsersatz. Mit der Wiederverheiratung entsteht ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch gegen den neuen Ehepartner; die gesetzliche Unterhaltspflicht des früheren Ehepartners erlischt. Daher ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass eine Witwe oder ein Witwer hinsichtlich der Hinterbliebenenversorgung auf die Ansprüche aus der folgenden Ehe verwiesen werden (vgl. schon BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 8. Juli 1987 - 1 BvR 568/87 -, SozR 2200 § 1265 Nr. 85). Daher verletzt auch die Auslegung des § 243 Abs. 4 SGB VI durch die Fachgerichte nicht Art. 3 Abs. 1 GG.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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