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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 04.07.2001
Aktenzeichen: 1 BvR 165/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, BRAGO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 d Abs. 2 Satz 1
BRAGO § 113 Abs. 2 Satz 3
GG Art. 19 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 165/01 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

1. unmittelbar gegen den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts München vom 20. Dezember 2000 - L 12 B 339/00 KA -,

2. mittelbar gegen die Untätigkeit des Sozialgerichts München in den Verfahren - S 39 KA 2997/99 ER, S 22 KA 2997/99 ER, S 28 KA 2997/99 -

hier: Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen und Festsetzung des Gegenstandswertes

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde gemäß § 93 d Abs. 2 Satz 1 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 4. Juli 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Freistaat Bayern hat die dem Beschwerdeführer durch die Verfassungsbeschwerde entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren auf 1.800.000 DM (in Worten: eine Million achthunderttausend Deutsche Mark) festgesetzt (§ 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO).

Gründe:

1. Der Antrag des Beschwerdeführers im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht richtete sich auf eine Abschlagszahlung in Höhe von 18 Mio. DM, nachdem ihm 22 Mio. DM in der Honorarabrechnung gekürzt worden waren. Der am 2. Dezember 1999 gestellte Antrag wurde nach einer mündlichen Verhandlung am 16. Februar 2000 und mehrmaligem Zuständigkeitswechsel vom Sozialgericht beschieden, nachdem der Beschwerdeführer bereits erfolglos Untätigkeitsbeschwerde zum Landessozialgericht erhoben hatte. Der über den Antrag befindende Beschluss des Sozialgerichts ist dem Beschwerdeführer am 2. Februar 2001 - nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde wegen Untätigkeit der Sozialgerichte - zugestellt worden.

2. Über die Erstattung der Auslagen im Verfahren der Verfassungsbeschwerde ist, nachdem der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt hat, nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (§ 34 a Abs. 3 BVerfGG).

a) Dabei findet im Verfassungsbeschwerde-Verfahren nicht regelmäßig eine überschlägige Beurteilung der Sach- und Rechtslage statt (vgl. BVerfGE 33, 247 <264 f.>). Die fakultative Anordnung einer Auslagenerstattung ist aber insbesondere dann angezeigt, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abgeholfen hat, sofern dies nicht auf einer Veränderung der Sach- oder Rechtslage beruht (vgl. BVerfGE 85, 109 <115>).

Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend dem Antrag auf Auslagenerstattung in vollem Umfang stattzugeben. Die Erledigung des Verfahrens beruht auf dem zwischenzeitlichen Erlass der begehrten erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Diesem Begehren hatte der Beschwerdeführer schon mit der Untätigkeitsbeschwerde zum Landessozialgericht und sodann mit der Verfassungsbeschwerde Nachdruck verliehen, bevor sie ihm 14 Monate nach Antragseingang und Anhängigkeit in drei unterschiedlichen Kammern zugestellt worden ist. Damit ist schließlich der Beschwer abgeholfen worden.

b) Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes, zu der auch die Entscheidung in angemessener Zeit gehört (vgl. BVerfGE 88, 118 <124> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. November 1999 - 1 BvR 1708/99 -, NJW 2000, S. 797), fällt allein in die Sphäre der öffentlichen Gewalt.

aa) Es ist Aufgabe der jeweils zuständigen Gerichte, organisatorisch sicherzustellen, dass der Betroffene von Möglichkeiten des Rechtsschutzes, den die Rechtsordnung ihm einräumt, in einer den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip entsprechenden Weise Gebrauch machen kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. März 1997 - 2 BvQ 8/97 -, NVwZ-Beilage 6/1997, S. 41 <42>).

Dazu gehört zuvörderst die Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes. Anträge hierauf sind auf der Grundlage eines in jeder Weise beschleunigten Verfahrens mit entsprechend verkürzten Äußerungsfristen und vorgezogener Terminierung grundsätzlich umgehend zu bescheiden. Geht es um hohe Streitsummen - hier 18 Mio. DM -, liegt der von Tag zu Tag wachsende Verzögerungsschaden auf der Hand. Aber auch bei nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten und bei solchen um geringere Summen hängen oftmals Dispositionen der Beteiligten vom Ausgang des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ab, die keinen Aufschub dulden.

Die Gerichte haben diesen besonderen Merkmalen des Eilverfahrens Rechnung zu tragen. Das gilt ebenso für die Gerichtsorganisation insgesamt wie auch für die Terminierung im zuständigen Spruchkörper. Die Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht nur durch die Überlastung einzelner Richter, sondern auch durch die Änderung der Geschäftsverteilung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in einem Eilverfahren erheblich beeinträchtigt werden. Das vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen zutreffend erwähnte Erfordernis einer Geschäftsverteilung ohne Ansehung einzelner Sachen erlaubt indessen durchaus abstrakt generelle Regelungen, die eine effektive Weiterbearbeitung von solchen Verfahren sicherstellen, in denen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung noch nicht beschieden sind. Außerdem entlastet der Hinweis auf die einem Richter zuzubilligende Einarbeitungszeit nach einem Zuständigkeitswechsel nicht über mehrere Monate von der Erledigung der Eilverfahren. Nach Aufnahme der Spruchtätigkeit in einer neu gegründeten Kammer ist den Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz Vorrang einzuräumen.

bb) Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann zudem die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache untunlich sein, wenn hierdurch die Entscheidung erheblich verzögert würde. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4 GG folgt, dass die Gerichte wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln müssen und ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Folgenabwägung treffen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638/96 -, NVwZ 1997, S. 479 <480>).

3. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. BVerfGE 79, 365).



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