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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 10.05.2002
Aktenzeichen: 1 BvR 1685/01
Rechtsgebiete: GG, BVerfGG


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
BVerfGG § 93 a Abs. 2
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1685/01 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen das Urteil des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz in Koblenz vom 4. Juli 2001 - VGH B 18/00 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 10. Mai 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die unwiderlegliche Einstufung der in § 1 Abs. 2 der rheinland-pfälzischen Gefahrenabwehrverordnung Gefährliche Hunde vom 30. Juni 2000 (GVBl S. 247; im Folgenden: GefAbwV) genannten Hunde als gefährlich und die damit verbundenen Rechtsfolgen. Sie richtet sich gegen die Zurückweisung der insoweit erhobenen Landesverfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin durch den Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz (vgl. NVwZ 2001, S. 1273). Mit ihrer beim Bundesverfassungsgericht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin, die Hunde der Rasse Staffordshire Bullterrier züchtet, die Verletzung von Art. 12 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG durch den Verfassungsgerichtshof.

II.

Die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) nicht zu.

Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Dies gilt zunächst für die Frage, inwieweit dem Normgeber bei der Beurteilung der Ausgangslage und der möglichen Auswirkungen der von ihm getroffenen Regelung eine Einschätzungsprärogative zusteht (vgl. BVerfGE 50, 290 <332 f.>; 88, 87 <97>). Ebenso wenig wirft die Verfassungsbeschwerde grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen hinsichtlich einer Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Nichteinhaltung einer Pflicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof auf (vgl. BVerfGE 73, 339 <366 ff.>; 82, 159 <194 ff.>). Anderes ergibt sich nicht daraus, dass eine landesverfassungsgerichtliche Entscheidung angegriffen wird, zumal in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiter geklärt ist, dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im landesverfassungsgerichtlichen Verfahren ebenfalls zu beachten ist und grundsätzlich auch hier mit der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht verteidigt werden kann (vgl. BVerfGE 96, 231 <243 f.>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

a) Die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht entsprechend § 92 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG begründet. Es wird nicht substantiiert dargelegt, dass die Beschwerdeführerin von dem Zucht- und Handelsverbot des § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 GefAbwV oder anderen Bestimmungen der Verordnung und damit auch von der deren Wirksamkeit bestätigenden landesverfassungsgerichtlichen Entscheidung in ihrer Berufsfreiheit betroffen ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat bei Prüfung der Vereinbarkeit des Zucht- und Handelsverbots mit dem landesverfassungsrechtlichen Grundrecht der Berufsfreiheit auf die Übergangsvorschrift des § 10 Abs. 1 GefAbwV hingewiesen, nach der, abweichend von § 2 Abs. 1 GefAbwV, Zucht und Handel mit dem bei In-Kraft-Treten der Verordnung vorhandenen Bestand an gefährlichen Hunden weiterhin zulässig sind, wenn dieser Bestand binnen zwei Monaten nach In-Kraft-Treten der Verordnung der örtlichen Ordnungsbehörde angezeigt und ihr die Kontrolle ermöglicht wird. Darauf geht die Beschwerdeführerin nicht ein. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass die von ihr gehaltenen und zur Zucht verwendeten Hunde unter die Übergangsvorschrift fallen und von dem Zucht- und Handelsverbot gar nicht erfasst werden. Dem Vortrag der Beschwerdeführerin lässt sich auch nicht entnehmen, dass diese beabsichtigt, für ihre Zucht in absehbarer Zeit neue, bei In-Kraft-Treten der Verordnung noch nicht vorhandene Tiere einzusetzen. Damit ist nicht erkennbar, dass die angegriffene landesverfassungsgerichtliche Entscheidung und die ihr zugrunde liegende Regelung des § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 GefAbwV die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsfreiheit betreffen.

Dass die Zucht von Hunden der Rasse Staffordshire Bullterrier bundesrechtlich nach § 11 b Abs. 2 Buchstabe a und Abs. 5 des Tierschutzgesetzes in der Fassung des Art. 2 des Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde vom 12. April 2001 (BGBl. I S. 530) in Verbindung mit § 11 Satz 3 der Tierschutz-Hundeverordnung vom 2. Mai 2001 (BGBl. I S. 838) verboten ist, ist insoweit unerheblich, weil diese Vorschriften von der Beschwerdeführerin nicht angegriffen worden sind.

b) Hinsichtlich der Rügen einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

aa) Ein Verstoß des Verfassungsgerichtshofs gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG lässt sich nicht feststellen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter im Sinne dieser Gewährleistung. Es kann deshalb einen Entzug des gesetzlichen Richters darstellen, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt. Das Bundesverfassungsgericht prüft allerdings nur, ob diese Zuständigkeitsregel in offensichtlich unhaltbarer Weise gehandhabt worden ist (vgl. BVerfGE 73, 339 <366 ff.>; 82, 159 <194 ff.>; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 1267 <1268>).

Letzteres ist vor allem dann anzunehmen, wenn ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - nach seiner Auffassung bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der gemeinschaftsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel an der richtigen Beantwortung der Frage hat. Gleiches gilt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und nicht oder nicht neuerlich vorlegt. Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht vor, hat eine vorhandene Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (vgl. BVerfGE 82, 159 <195 f.>).

Nach diesen Maßstäben ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt. Anhaltspunkte dafür, dass der Verfassungsgerichtshof seine Vorlagepflicht grundsätzlich verkannt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Nach seiner Auffassung war Prüfungsmaßstab im landesverfassungsgerichtlichen Verfahren gemäß Art. 130 a der Landesverfassung allein diese und damit grundsätzlich nicht das Recht der Europäischen Gemeinschaft. Ein landesverfassungsrechtlicher Maßstab sei nur berührt, wenn die zur Prüfung gestellte Norm offenkundig gegen höherrangige Bestimmungen des Europarechts verstoße, weil dann zugleich das landesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip verletzt sei. Auf der Grundlage dieser Auffassung kann eine nicht offenkundige Verletzung europäischen Gemeinschaftsrechts im Ausgangsverfahren eine Pflicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof schon deshalb nicht auslösen, weil es auf die Vereinbarkeit der überprüften Verordnung mit Europarecht für die angegriffene Entscheidung nicht ankam.

Ob die materiellrechtliche Maßstabbildung durch den Verfassungsgerichtshof mit der Landesverfassung in Einklang steht, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu beurteilen. Dass er bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abgewichen wäre, ist ebenso wenig ersichtlich. Schließlich war der Verfassungsgerichtshof auch nicht gehalten, wegen einer Unvollständigkeit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorzulegen. Auch insoweit scheidet eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schon deshalb aus, weil die Frage, ob die angegriffene Verordnungsregelung mit europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, aus der allein maßgeblichen Sicht des Verfassungsgerichtshofs nicht entscheidungserheblich war. Insoweit hätte ebenfalls nur eine offensichtliche Unvereinbarkeit der Regelung mit Gemeinschaftsrecht Auswirkungen auf das landesverfassungsgerichtliche Verfahren haben können. Eine solche Unvereinbarkeit zeigt die Beschwerdeschrift jedoch nicht auf.

bb) Die angegriffene Entscheidung verletzt schließlich nicht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Eine derartige Verletzung ist nicht erkennbar, soweit die Beschwerdeführerin die Nichtdurchführung der im Ausgangsverfahren nach dem angegriffenen Urteil nur angeregten, also nicht förmlich beantragten Beweiserhebung gerügt hat. Beweisthema sollte nach der insoweit nicht angegriffenen Darstellung des Verfassungsgerichtshofs die Frage sein, ob die Gefährlichkeit eines Hundes nach Rassemerkmalen beurteilt werden kann. Auf diese Frage kam es aber nach der Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofs nicht an. Denn danach hatte sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Normgebers auf die Prüfung zu beschränken, ob der Verordnungsgeber sich einen hinreichenden Überblick über die Fachmeinungen verschafft hat und seine Auffassung vertretbar ist.

Die Rüge schließlich, der Verfassungsgerichtshof sei auch im Übrigen seiner Sachaufklärungspflicht nicht nachgekommen, lässt eine Gehörsverletzung ebenfalls nicht erkennen. Die Feststellung des Sachverhalts ist wie die Würdigung der Beweise Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Die Behauptung allein, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfGE 27, 248 <251>). Dementsprechend zeigt die Behauptung der Beschwerdeführerin, der Verordnungsgeber habe fachwissenschaftliche Literatur missdeutet, keinen Gehörsverstoß auf.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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