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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 01.12.1999
Aktenzeichen: 1 BvR 1723/97
Rechtsgebiete: BVerfGG, SGB VI, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 c
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 95 Abs. 2
BVerfGG § 34 a Abs. 2
SGB VI § 307 b Abs. 1
SGB VI § 307 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
GG Art. 14
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvR 1723/97 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn Professor Dr. W.

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Karl-Heinz Christoph und Dr. Ingeborg Christoph, Heiligenberger Straße 18, Berlin -

I. unmittelbar gegen

a) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. Dezember 1998 - B 5/4 RA 70/97 R -,

b) den Beschluß des Bundessozialgerichts vom 29. Juli 1997 - 4 BA 122/96 -,

c) das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 6. Juni 1996 - L 1 An 41/95 -,

d) das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. Februar 1995 - S 6 An 191/93 -,

e) den Renten- und Kürzungsbescheid vom 28. Oktober 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 12. Juni 1992, die Bescheide der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 9. April 1992, 26. November 1992, 30. November 1993, 26. Oktober 1994 und 16. Mai 1995 sowie die zum 1. Januar 1996 ergangene Rentenanpassungsmitteilung (Vers. Nr. 48 300729 W 021 BKZ 5902, 5933, 6000) und den Entgeltbescheid vom 11. Februar 1994 (BKZ 2020 und 2021)

II. mittelbar gegen

die den angegriffenen Entscheidungen zugrundeliegenden Rechtsvorschriften

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Steiner gemäß § 93 c und § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 1. Dezember 1999 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. Dezember 1998 - B 5/4 RA 70/97 R - und das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 29. Juli 1997 - L 1 An 41/95 - sowie die Bescheide der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 26. Oktober 1994 und 16. Mai 1995 verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 14 und Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Urteile werden aufgehoben, soweit in den Bescheiden vom 26. Oktober 1994 und 16. Mai 1995 die Rente nach Maßgabe des § 307 b Absatz 1 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch berechnet und der durch den Einigungsvertrag geschützte Zahlbetrag nicht ab 1. Januar 1992 an die Lohn- und Einkommensentwicklung angepaßt ist. Die Sache wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Beschluß des Bundessozialgerichts vom 29. Juli 1997 - 4 BA 122/96 - ist damit gegenstandslos.

Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Das Land Sachsen-Anhalt hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatzversorgungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik in die gesetzliche Rentenversicherung des wiedervereinigten Deutschlands. Sie betrifft vor allem das im Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) geregelte Verfahren für die Berechnung solcher Renten, die aus Bestandsrenten mit Zusatzversorgung der Deutschen Demokratischen Republik abgeleitet werden.

I.

In der Sache greift der Beschwerdeführer die Höhe der Rente an, die in Abänderung früherer Bescheide auf der Grundlage von § 307 b Abs. 1 SGB VI mit den Bescheiden der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 26. Oktober 1994 und 16. Mai 1995 festgesetzt worden ist; diese umfassen auch den Anspruch auf Zusatzversorgung. Daneben werden die Bescheide angegriffen, die aufgrund der Übergangsbestimmungen des § 23 Abs. 1 des Gesetzes zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen (Rentenangleichungsgesetz - RAnglG) vom 28. Juni 1990 (GBl I S. 495), des § 6 der Ersten Verordnung zur Anpassung der Renten in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (1. Rentenanpassungsverordnung - 1. RAV) vom 14. Dezember 1990 (BGBl I S. 2867), des § 8 der Zweiten Verordnung zur Anpassung der Renten und zu den maßgeblichen Rechengrößen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (2. Rentenanpassungsverordnung - 2. RAV) vom 19. Juni 1991 (BGBl I S. 1300) sowie des § 307 b Abs. 5 SGB VI für die Übergangszeit ab 1. September 1991 bis zur Neuberechnung erlassen wurden.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die hierzu ergangenen Entscheidungen der Verwaltung und der Sozialgerichtsbarkeit sowie mittelbar gegen die diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Rechtsvorschriften.

II.

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 14 und Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (Urteile vom 28. April 1999, 1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95 sowie 1 BvR 1926/96 und 1 BvR 485/97).

a) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, die Vorschrift des Einigungsvertrages über die Zahlbetragsgarantie verstoße nicht gegen Art. 14 und Art. 3 Abs. 1 GG, wenn sie verfassungskonform dahin ausgelegt wird, daß der hier garantierte Zahlbetrag für Bestandsrentner ab 1. Januar 1992 an die Lohn- und Einkommensentwicklung anzupassen ist, sofern er über diesen Zeitpunkt hinaus Bedeutung erhält (Urteil vom 28. April 1999, 1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95, Umdruck S. 59 f., 64 f.; Urteil vom 28. April 1999, 1 BvR 1926/96 und 1 BvR 485/97, Umdruck S. 32).

Weiter ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 28. April 1999, 1 BvR 1926/96 und 1 BvR 485/97, Umdruck S. 42 ff.) § 307 Abs. 1 SGB VI mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit danach bei der Neuberechnung von Bestandsrenten aus Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem der Deutschen Demokratischen Republik für die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte (Ost) die während der gesamten Versicherungszeit bezogenen tatsächlichen Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt werden, während für die sonstigen Bestandsrentner im Beitrittsgebiet nach § 307 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI ein 20-Jahres-Zeitraum maßgeblich ist.

b) Nach dieser Rechtsprechung verletzen die Urteile des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts sowie die Bescheide vom 26. Oktober 1994 und 16. Mai 1996 den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 14 und Art. 3 Abs. 1 GG. Aus der verfassungsrechtlich gebotenen Anpassung des Zahlbetrags an die Lohn- und Einkommensentwicklung ab 1. Januar 1992 kann sich für den Beschwerdeführer eine Erhöhung des Zahlbetrags seiner Rente ergeben. Auch ist nicht auszuschließen, daß das Berechnungsverfahren des § 307 b Abs. 1 SGB VI für ihn nachteilig ist.

c) Die angegriffenen Urteile des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts sind aufzuheben und die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Der zugleich mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluß des Bundessozialgerichts ist damit gegenstandslos (vgl. BVerfGE 69, 233 <248>).

2. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie keine grundsätzliche Bedeutung hat. Mit den Urteilen vom 28. April 1999 (1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95, Umdruck S. 74 ff.; 1 BvR 1926/96 und 1 BvR 485/97, Umdruck S. 32 ff., 35 ff., 39 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß die Übergangsvorschriften des § 23 Abs. 1 RAnglG, des § 6 1. RAV, des § 8 2. RAV und des § 307 b Abs. 5 SGB VI mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

III.

Da die Verfassungsbeschwerde nur teilweise Erfolg hat, ist es angemessen, wenn dem Beschwerdeführer die Hälfte der notwendigen Auslagen erstattet wird (§ 34 a Abs. 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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