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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 14.02.2005
Aktenzeichen: 1 BvR 1783/02
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
GG Art. 5 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1783/02 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 13. August 2002 - 7 U 106/01 -,

b) das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 26. Oktober 2001 - 324 O 455/01 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs- gerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 14. Februar 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des Persönlichkeitsschutzes einer Minderjährigen gegenüber der Wortberichterstattung der Presse.

I.

Die Beschwerdeführerin berichtete in der von ihr verlegten Zeitschrift "Auf einen Blick" im Jahre 2001 über die Premiere eines Balletts in Monaco, bei dem neben Prinzessin Caroline von Hannover auch ihre Tochter, Charlotte Casiraghi, anwesend war, die Klägerin des Ausgangsverfahrens (künftig: Klägerin).

Die Berichterstattung bestand aus Lichtbildern, die die Klägerin zum Teil an der Seite ihrer Mutter zeigten sowie einer Textberichterstattung, die folgende Aussage enthielt:

Der gleiche sinnliche Mund, die gleichen Augen, der gleiche stolze Blick: Prinzessin Carolines Tochter ist ihrer bildschönen Mama wie aus dem Gesicht geschnitten. Die beiden besuchten die Premiere des Balletts "Oeil pour oeil" in Monaco - und sie waren die absoluten Stars des Abends.

Die im Zeitpunkt der Berichterstattung 14-jährige Klägerin begehrte die Unterlassung der Äußerungen, dass sie den "gleichen sinnlichen Mund" und den "gleichen stolzen Blick" wie ihre Mutter habe. Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der beiden Anträge stattgegeben und dabei den negativen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung darin gesehen, dass die Berichterstattung auf einen erotisierenden, Begehrlichkeiten erweckenden Effekt bei dem Leser abziele und über die Ausprägung und Entwicklung des Charakterbildes der Beschwerdeführerin spekuliere. Dem ist das Oberlandesgericht beigetreten und hat im Zuge der Güterabwägung insbesondere herausgestellt, dass es sich bei dieser Veröffentlichung nicht um eine sachbezogene Erörterung einer Angelegenheit im öffentlichen Interesse handele, sondern lediglich das Bedürfnis der Leserschaft nach Unterhaltung befriedigt werde.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Entscheidungen und macht eine Beeinträchtigung ihrer Grundrechte der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 GG) geltend. Die Gerichte hätten in ihren Entscheidungen unzutreffenderweise den Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch richterliche Rechtsfortbildung dergestalt erweitert, dass jede auch wohl meinende Meinungsäußerung die Privatsphäre der Klägerin beeinträchtige. Die Gerichte hätten in der notwendigerweise durchzuführenden Abwägung die berechtigten Belange der Presse verkannt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt, denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Die Beschränkung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG durch die allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG), zu denen die zivilrechtlichen Normen über den Persönlichkeitsschutz gehören, bedeutet notwendig, dass auch der Inhalt der Äußerungen Schranken unterliegt, die dazu beitragen sollen, dass von ihm keine Rechtsverletzungen ausgehen.

Die Anwendung dieser in der Verfassung als maßgeblich erklärten Schranken durch die Gerichte bedeutet entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin keine "inhaltlich-meinungslenkende Ausgestaltung der Pressefreiheit in 'Meinungsrichtertum'".

a) Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffenen Entscheidungen die Reichweite des Grundrechts der Meinungs- oder Pressefreiheit verkannt und im Zuge der Güterabwägung mit dem besonderen Persönlichkeitsschutz der von der Berichterstattung betroffenen minderjährigen Person verfassungsrechtliche Grundsätze verletzt oder die Ausstrahlungswirkungen von Grundrechten auf einfache Gesetze verkannt hätten, sind nicht ersichtlich. Die Gerichte haben im Zuge der Güterabwägung berücksichtigt, dass der Persönlichkeitsschutz bei Kindern und Jugendlichen in thematischer und räumlicher Hinsicht stärker ausgeprägt ist als bei erwachsenen Personen.

Das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Entwicklung zur Persönlichkeit - auf "Person werden" - umfasst sowohl die Privatsphäre als auch die Entfaltung in öffentlichen Räumen. Zur Entwicklung der Persönlichkeit gehört es, sich in der Öffentlichkeit angemessen bewegen zu lernen. Dies gilt auch für Kinder von prominenten Eltern. Auch ihnen steht ein vor medialer Beobachtung und Kommentierung geschützter Freiraum zur Entwicklung und weiteren Formung ihrer Persönlichkeit zu. Der Schutzbedarf entfällt nicht deshalb, weil die mediale Darstellung durch Wohlwollen geprägt ist. Vom Schutz der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen ist erfasst, dass sie nicht aus Furcht vor einer Medienberichterstattung und der medialen Zuschreibung von persönlichen Eigenschaften oder Charakterzügen die Öffentlichkeit meiden oder sich in ihr in einer dem Alter nicht angemessenen Weise kontrolliert verhalten müssen. Liefern sich Kinder oder Jugendliche allerdings den Bedingungen öffentlicher Auftritte dadurch aus, dass sie im Mittelpunkt öffentlicher Veranstaltungen stehen, ist ihr Persönlichkeitsschutz entsprechend relativiert (vgl. BVerfGE 101, 361 <386>) und den Medien ist es nicht verwehrt, über den entsprechenden Auftritt in der Öffentlichkeit anlassbezogen zu berichten (vgl. BVerfGE 101, 361 <385 f.>; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 31. März 2000 - 1 BvR 1353/99 -, NJW 2000, S. 2191 <2192>; Beschluss vom 29. Juli 2003 - 1 BvR 1964/00 -, NJW 2003, S. 3262 <3263>). Die Art der Darstellung in den Medien hat allerdings auf den besonderen Persönlichkeitsschutz Rücksicht zu nehmen.

b) Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Deutung der Äußerungen des Presseorgans, die der Güterabwägung zu Grunde zu legen ist, und die einfachrechtliche Würdigung ihrer Persönlichkeitsrelevanz sind Sache der Fachgerichte und grundsätzlich der verfassungsgerichtlichen Überprüfung entzogen. Vorliegend besteht kein Anlass, die so genannte Deutungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heranzuziehen. Diese verlangt, dass die Fachgerichte besondere Gründe angeben, wenn sie sich unter mehreren möglichen Deutungen einer Äußerung für die zu einer Bestrafung oder zur Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz führende entscheiden wollen (vgl. BVerfGE 82, 43 <50 ff.>; 93, 266 <295 f.>; stRspr). In dem hier zu entscheidenden Verfahren geht es nicht um die Deutung des Inhalts der Äußerung, sondern um ihre mögliche Auswirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Abwägung dieser Folgen mit den Folgen eines Unterlassungsanspruchs für die Ausübung der Pressefreiheit. Es ist nicht erkennbar, dass die Gerichte bei dieser Abwägung den Schutzgehalt des Grundrechts der Meinungs- und Pressefreiheit verkannt haben, insbesondere von einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite dieser Freiheiten und des Persönlichkeitsschutzes ausgegangen sind (zum Prüfungsmaßstab vgl. allgemein BVerfGE 7, 198 <208>; 18, 85 <93>; 42, 143 <149>). Dass die Abwägung von Rechtspositionen in komplexen Kollisionsfällen im Einzelfall auch anders ausfallen könnte, ist kein hinreichender Anlass für die verfassungsgerichtliche Korrektur der Entscheidung der Fachgerichte.

Es ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, wenn deutsche Gerichte in Übereinstimmung mit deutschem Presserecht und den Regeln des internationalen Privatrechts Rechtsschutz gegenüber der Veröffentlichung von Presseäußerungen auch Personen gewähren, die ihren Wohnsitz nicht in Deutschland haben oder sich nicht in Deutschland aufhalten.

2. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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