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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 06.02.2003
Aktenzeichen: 1 BvR 188/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 14 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 188/03 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) das Urteil des Kammergerichts vom 2. Dezember 2002 - 26 U 4/02 -,

b) das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. November 2001 - 14 O 380/01 -

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Februar 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.

Gründe:

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen zivilgerichtliche Urteile, die sie zur Erteilung einer Auskunft über den Bestand eines Nachlasses gegenüber einem Pflichtteilsberechtigten verpflichten. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Beschwerdeführerin die Aussetzung der Zwangsvollstreckung.

I.

1. Der am 15. November 2000 im Alter von 85 Jahren verstorbene Erblasser hinterließ sieben leibliche Kinder und zwei Adoptivkinder. Er litt in den Jahren vor seinem Tod an einer Lungenerkrankung und an Herzrhythmusstörungen. In den letzten Jahren vor dem Tod des Erblassers gab es zwischen ihm und dem Kläger des Ausgangsverfahrens - einem Sohn des Erblassers - Auseinandersetzungen über den Umgang des Erblassers mit seinem Enkel. Mit notariellem Testament vom 16. April 1999 bestimmte er seine Ehefrau, die Beschwerdeführerin, zur alleinigen Vorerbin und entzog neben vier weiteren Kindern auch dem Kläger den Pflichtteil. Die Pflichtteilsentziehung wurde damit begründet, dass der Kläger jeden Kontakt zwischen dem Erblasser und seinem Enkel - dem Sohn des Klägers - unterbunden habe.

2. Nach dem Tod des Erblassers machte der Kläger gegen die Beschwerdeführerin seinen Pflichtteilsanspruch geltend und forderte diese zur Auskunftserteilung über den Nachlass auf. Die Beschwerdeführerin wies das Auskunftsbegehren unter Hinweis auf die Pflichtteilsentziehung zurück; der Kläger habe durch sein Handeln auch eine schwere nachteilige Wirkung auf den Gesundheitszustand des Erblassers in Kauf genommen. Er habe es darauf angelegt, ihm ungesunde Aufregungen beizubringen.

3. Das Landgericht Berlin verurteilte die Beschwerdeführerin mit Teilurteil vom 27. November 2001 zur Auskunftserteilung über den Bestand des Nachlasses. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Auskunftserteilung über den Bestand des Nachlasses gemäß §§ 2303 Abs. 1, 2314 Abs. 1 BGB zu. Die Pflichtteilsentziehung sei unwirksam. Der Kläger habe keine vorsätzliche körperliche Misshandlung gegenüber dem Erblasser begangen (§ 2333 Nr. 2 BGB). Eine seelische Misshandlung falle nicht unter § 2333 Nr. 2 BGB.

Das Kammergericht wies mit Urteil vom 2. Dezember 2002 die Berufung der Beschwerdeführerin zurück.

4. Gegen die Urteile des Kammergerichts und des Landgerichts hat die Beschwerdeführerin fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt unter anderem eine Verletzung ihres Grundrechts und das des Erblassers aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.

5. Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2003 hat die Beschwerdeführerin beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG anzuordnen, dass die Zwangsvollstreckung aus den angegriffenen Urteilen bis zur Entscheidung des Hauptverfahrens ausgesetzt wird. Zur Begründung trägt sie vor, dass ihr täglich die Zwangsvollstreckung aus den Urteilen drohe und dass davon auszugehen sei, dass der Kläger die Auskunft bei Nichterteilung zwangsweise erzwingen lassen werde. Bei Verweigerung der Auskunft drohe ihr ein Zwangsgeld oder Zwangshaft nach § 888 ZPO. Demgegenüber trete ein Interesse des Klägers an jetziger Auskunftserteilung nachhaltig zurück.

II.

Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) liegen nicht vor. Die gebotene Beurteilung und Abwägung der Folgen, die im Falle des Erfolgs oder Misserfolgs des Antrags einträten, führt im vorliegenden Verfahren zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen.

1. Nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage kann nicht festgestellt werden, dass die von der Beschwerdeführerin erhobene Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Einzelheiten der gesetzlichen Regelungen des Pflichtteilsrechts, insbesondere die Ausgestaltung der Pflichtteilsentziehungsgründe in § 2333 BGB, bislang noch keiner näheren verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen (vgl. BVerfG, NJW 2001, S. 141 <142 f.>).

Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens richtet sich die Entscheidung darüber, ob eine einstweilige Anordnung ergeht, nach einer Folgenabwägung. Dabei müssen die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, mit den Nachteilen abgewogen werden, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 94, 334 <347>; stRspr). Insbesondere ist dabei auf Seiten der Beschwerdeführerin zu prüfen, ob ihr ein endgültiger und nicht wiedergutzumachender Nachteil entstünde, wenn sich die angefochtenen Entscheidungen als verfassungswidrig erweisen sollten (vgl. BVerfGE 25, 367 <370>; 29, 179 <182>).

2. Bei dieser Abwägung der möglichen Folgen kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin durch die Ablehnung der einstweiligen Anordnung schwere Nachteile im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG erleiden würde. Die angegriffenen Urteile verpflichten die Beschwerdeführerin lediglich zur Erteilung einer Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Ein unmittelbarer Eingriff in ihre Vermögenspositionen erfolgt damit noch nicht. Das die Beschwerdeführerin zur Auskunft verpflichtende Teilurteil des Landgerichts und das dieses bestätigende Urteil des Berufungsgerichts sind lediglich eine Vorstufe zum eigentlichen Streitverfahren, das über die Höhe eines Pflichtteilsanspruchs geführt werden würde. Ob es zu einem solchen Verfahren mit einer entsprechenden Zahlungsklage überhaupt kommt, hängt vom Inhalt der von der Beschwerdeführerin über den Bestand des Nachlasses nach § 2314 BGB zu erteilenden Auskunft ab.

Demgegenüber müssen die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Nachteile der Festsetzung eines Zwangsgeldes und einer Zwangshaft nach § 888 ZPO außer Betracht bleiben. Solche Nachteile drohen ihr nur dann, wenn sie ihrer gerichtlich festgestellten Auskunftsverpflichtung über den Bestand des Nachlasses nicht nachkommt. Die Erteilung der Auskunft selbst ist aber - wie bereits ausgeführt - kein schwerer Nachteil.

Ergeht hingegen die einstweilige Anordnung, ist der Kläger für die Dauer der verfassungsgerichtlichen Prüfung gehindert, die Zwangsvollstreckung aus dem rechtskräftigen Teilurteil zu betreiben. Falls die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis keinen Erfolg haben sollte, träte für ihn eine zeitliche Verzögerung bei der Durchsetzung seiner Pflichtteilsforderung ein. Insbesondere bestünde durch die zeitliche Verzögerung die Gefahr, dass der Bestand und der Wert des Nachlasses möglicherweise infolge des Zeitablaufs schwieriger zu ermitteln wäre, so dass eine entsprechende Auskunft eine geringere Aussagekraft hätte und in ihrem Gehalt mit entsprechenden Unsicherheiten behaftet wäre.

Wägt man die Folgen miteinander ab, fallen die Nachteile, die dem Kläger des Ausgangsverfahrens drohen, schwerer ins Gewicht als die für die Beschwerdeführerin nachteiligen Folgen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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