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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 26.01.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 1918/99
Rechtsgebiete: GG, BEG, BVerfGG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
BEG § 35
BEG § 35 Abs. 2
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1918/99 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der Frau L...

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Wolfram-Dietrich v. Moers, Fasanenstraße 72, Berlin -

1. unmittelbar

gegen

a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. September 1999 - IX ZB 47/99 -,

b) das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. März 1999 5 U (WG) 51/98 -,

c) das Urteil des Landgerichts Trier vom 3. Juni 1998 - 5 O (WG) 36/98 -,

2. mittelbar gegen § 35 Abs. 2 BEG

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 26. Januar 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt. Weder die mittelbar angegriffene Vorschrift des § 35 des Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschä-digungsgesetz - BEG) in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG-Schlußgesetz) vom 14. September 1965 (BGBl I S. 1315) noch deren Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte begegnen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

1. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Es verletzt das Grundrecht, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 95, 143 <154 f.>). Dabei kann es den allgemeinen Gleichheitssatz auch verletzen, wenn eine Verschiedenbehandlung von Personengruppen lediglich mittelbar dadurch bewirkt wird, dass Sachverhalte ungleich behandelt werden, obwohl es dafür keinen rechtfertigenden Grund gibt (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>). Für die Beurteilung, ob in einer gesetzlichen Regelung ein Gleichheitsverstoß zu sehen ist, kommt es maßgeblich auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhalts an (vgl. BVerfGE 99, 165 <178>). Im Bereich der Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber wegen der Besonderheit der Sachmaterie seit jeher einen besonders weiten Gestaltungsspielraum zugebilligt (vgl. BVerfGE 13, 39 <42 f.>).

Gemessen an diesen Maßstäben lässt sich eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht feststellen. § 35 BEG führt nicht zu einer Ungleichbehandlung von Personengruppen. Die Vorschrift betrifft alle Verfolgten, die als Entschädigung eine Rente erhalten. Sie regelt die Voraussetzungen für eine Änderung der Rente für alle Normadressaten in grundsätzlich gleicher Weise. Lediglich mittelbar führt § 35 BEG zu einer Ungleichbehandlung von jüngeren und älteren Verfolgten. Die Ungleichbehandlung ist allerdings nicht sehr gravierend, wenn man in Rechnung stellt, dass auch die jüngeren Verfolgten ab ihrem 68. Lebensjahr von § 35 Abs. 2 BEG betroffen sind.

Die von der Regelung ausgehende mittelbare Differenzierung erscheint angesichts des Regelungsziels nicht unangemessen. Der Gesetzgeber verfolgte mit § 35 Abs. 2 BEG das Ziel, die Renten im Alter so weit als möglich zu "versteinern". Die Regelung soll, insbesondere im Interesse der Verfolgten selbst, der Vereinfachung der Praxis für alle Beteiligten dienen (vgl. den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Wiedergutmachung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes <2. ÄndG - BEG>, BTDrucks IV/3423, S. 5 f.). Das ist ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen.

Es ist auch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber seinen im Bereich des Entschädigungsrechts weiten Gestaltungsspielraum überschritten hätte. Er ist allerdings offensichtlich davon ausgegangen, die Regelung werde sich vornehmlich zu Gunsten der älteren Verfolgten auswirken. Das ist im vorliegenden Fall anders. Dieses Ergebnis ist jedoch als Konsequenz der wegen des Gesetzgebungsziels notwendig pauschalierenden Regelungstechnik hinzunehmen. Denn es ist weder in der Verfassungsbeschwerde substantiiert vorgetragen worden noch aus Rechtsprechung und Schrifttum ersichtlich, dass die Annahme des Gesetzgebers, § 35 Abs. 2 BEG wirke sich in der Mehrzahl der Fälle zu Gunsten der Betroffenen aus, grundlegend falsch war oder mittlerweile wegen veränderter Umstände in gravierendem Umfang nicht mehr stimmt.

2. Auch auf der Rechtsanwendungsebene ist eine Verletzung von Verfassungsrechten nicht ersichtlich. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Bundesentschädigungsgesetzes durch die Fachgerichte ist einer Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (BVerfGE 18, 85 <92>). Dass die Anwendung des § 35 Abs. 2 BEG im vorliegenden Fall gegen spezifisches Verfassungsrecht, etwa das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Willkürverbot verstieße, kann ausgeschlossen werden. Die angegriffenen Entscheidungen halten sich innerhalb der durch den Wortlaut der Vorschrift gezogenen Grenzen. Allerdings ist der Beschwerdeführerin zuzugestehen, dass die Regelung ausweislich der Gesetzesmaterialien eher auf eine begünstigende Wirkung ausgerichtet war. Auf der anderen Seite lässt sich aber nicht feststellen, dass der Gesetzgeber eine Auslegung von § 35 Abs. 2 BEG, die - wie im vorliegenden Fall - zu Lasten der Betroffenen geht, unter allen Umständen vermeiden wollte. Angesichts des eindeutigen Wortlauts besteht auch in Anbetracht der Gesetzgebungsmaterialien für das Bundesverfassungsgericht kein Anlass, die fachgerichtliche Rechtsanwendung aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



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