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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 19.04.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 1995/06
Rechtsgebiete: GG, AktG


Vorschriften:

GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
AktG § 305
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1995/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. Mai 2006 - II ZR 27/05 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Bryde, Eichberger, Schluckebier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 19. April 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den in § 305 AktG geregelten Abfindungsanspruch des außenstehenden Aktionärs im Falle eines so genannten überdauernden Spruchverfahrens.

I.

1. Die im Ausgangsverfahren vom Beschwerdeführer beklagte J... AG ist Rechtsnachfolgerin einer GmbH, die 1993 als herrschendes Unternehmen mit einer Aktiengesellschaft einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag schloss. In dem Unternehmensvertrag verpflichtete sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs der beherrschten Aktiengesellschaft (Minderheitsaktionär) dessen Aktien zu erwerben. Einige Aktionäre leiteten gegen die von den Vertragspartnern des Unternehmensvertrages für den Fall eines solchen Aktienerwerbsverlangens vereinbarte Abfindungshöhe ein gesellschaftsrechtliches Spruchverfahren ein (§ 1 Nr. 1 SpruchG). Dieses endete im September 2005 damit, dass die dem außenstehenden Aktionär zu gewährende Abfindung geringfügig erhöht wurde. Bereits während des laufenden Spruchverfahrens hatte die Beklagte den Unternehmensvertrag gekündigt.

Im April 2002, nach Beendigung des Unternehmensvertrages, aber noch vor Abschluss des Spruchverfahrens, forderte der Beschwerdeführer die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung nebst Zinsen auf, Zug um Zug gegen Übertragung der von ihm gehaltenen Aktien des ehemals beherrschten Unternehmens. Deren Kurs war seit Anfang 2001 kontinuierlich gesunken und lag mittlerweile deutlich unter dem im Unternehmensvertrag vorgesehenen Abfindungsbetrag. Die Beklagte verweigerte die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs, worauf der Beschwerdeführer Klage erhob.

Das Landgericht wies die Klage ab. Der Beschwerdeführer sei beweisfällig dafür geblieben, dass er die Aktien vor Beendigung des Unternehmensvertrages erworben habe und deshalb ein abfindungsberechtigter außenstehender Aktionär sei. Auf die vom Beschwerdeführer eingelegte Berufung hin gab das Berufungsgericht seiner Klage statt (OLG Jena ZIP 2005, S. 525). Der Bundesgerichtshof stellte auf die Revision der Beklagten das landgerichtliche Urteil wieder her (BGHZ 167, 299). Zur Begründung führte er unter anderem aus, bei dem Abfindungsanspruch nach § 305 AktG handele es sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um einen in der Aktie verkörperten Anspruch, der beim Verkauf der Aktie mit auf deren Erwerber übergehe. Vielmehr sei es ein originärer Anspruch, der nur dem außenstehenden Aktionär in Person zukomme. Der Abfindungsanspruch könne nur während des Bestehens des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (Unternehmensvertrag) entstehen, weil es nur in diesem Zeitraum außenstehende Aktionäre im Sinne von § 305 Abs. 1 AktG gebe. Sofern der außenstehende Aktionär seine Aktie nach Beendigung des Unternehmensvertrages, aber während eines noch andauernden, so genannten vertragsüberdauernden Spruchverfahrens veräußere, könne er den Abfindungsanspruch nicht mehr geltend machen; denn er habe mit dem Ende seiner Mitgliedschaft bei der Gesellschaft - nach der Veräußerung der Aktie - seinen Dispositionsschutz als außenstehender Aktionär verloren. In der Person des Erwerbers der Aktie könne ein neuer Anspruch nicht entstehen, weil dieser nach der Beendigung des Unternehmensvertrages die Rechtsstellung des außenstehenden Aktionärs nicht mehr konstitutiv erlangen könne. Deshalb komme es darauf an, ob der Beschwerdeführer seine Aktien vor der Beendigung des Unternehmensvertrages erworben habe. Dies habe er nicht bewiesen.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 sowie aus Art. 3 Abs. 1 GG durch das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs.

Die angegriffene Entscheidung trage dem verfassungsrechtlichen Schutz des in der Aktie verkörperten Anteilseigentums des Aktionärs an der Aktiengesellschaft nicht hinreichend Rechnung. Sie führe im Fall des vertragsüberdauernden Spruchverfahrens zu einem ersatzlosen Verlust an Fungibilität der Aktie und des damit in Zusammenhang stehenden Abfindungsanspruchs. Sie stelle den außenstehenden Aktionär mit der Beendigung des Unternehmensvertrages vor die alleinige Alternative, entweder seine Aktien zu veräußern und damit kompensationslos den Abfindungsanspruch zu verlieren, oder von einem Verkauf der Aktie während des Spruchverfahrens abzusehen. Da allein der Abfindungsanspruch werthaltig sei, führe dies zu einer schlagartigen Einstellung des Handels der Aktie. Zudem werde dem vormals herrschenden Unternehmen die faktische Möglichkeit eingeräumt, das Anteilseigentum - vor Abschluss des Spruchverfahrens - weit unter dem wahren Wert zu erwerben. Ein Spruchverfahren erstrecke sich häufig über mehrere Jahre hinweg. Zugleich könne für den Aktionär die Notwendigkeit bestehen, den Wert seines Anteilseigentums am Unternehmen innerhalb einer angemessenen Zeit zu realisieren. Dann sei er gezwungen, sein Anteilseigentum auf das vormals herrschende Unternehmen zu übertragen, ohne die Entscheidung im Spruchverfahren abwarten zu können und damit die Möglichkeit zu haben, eine in der Höhe angemessene und als solche verfassungsrechtlich gebotene Abfindung zu erhalten.

Zugleich verstoße die angegriffene Entscheidung gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da sie zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung solcher Aktionäre führe, die die Aktien vor der Kündigung des Unternehmensvertrages erworben hätten und solchen Aktionären, die sie erst nach der Beendigung, aber während des noch laufenden Spruchverfahrens erworben hätten.

II.

Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde, der grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zukommt, hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. a) Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet das Eigentum. Hiervon umfasst wird auch das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum, das im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung durch Privatnützigkeit und Dispositionsbefugnis über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet ist (vgl. BVerfGE 14, 263 <276 f.>; 25, 371 <407>; 50, 290 <339>; 100, 289 <301>). Ein Charakteristikum dieser Eigentumsform ist die besonders ausgeprägte Verkehrsfähigkeit der Aktie. Darin unterscheidet sich die Beteiligung an einer Aktiengesellschaft von anderen Unternehmensbeteiligungen (vgl. BVerfGE 100, 289 <305>).

Diese besonders ausgeprägte Verkehrsfähigkeit darf bei der Wertbestimmung des in der Aktie verkörperten Anteilseigentums und damit zugleich bei der Bemessung der Höhe des Abfindungsanspruchs nach § 305 Abs. 1 AktG nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 100, 289 <305 f.>). Der korrekt bemessene Abfindungsanspruch kompensiert für den außenstehenden Aktionär die Einbuße an Verkehrsfähigkeit und die Wertminderung, die aus dem Abschluss des Unternehmensvertrages für sein Aktieneigentum resultieren. Diese verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsposition des außenstehenden Aktionärs erfährt durch die §§ 291 ff. AktG eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung, die verfahrensrechtlich durch die Möglichkeit eines Spruchverfahrens abgesichert ist. Die gesetzlichen Bestimmungen bedürfen einer Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte, die der Bedeutung und der Tragweite des Eigentumsgrundrechts gerecht wird (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 27. Januar 1999 - 1 BvR 1805/94 -, NJW 1999, S. 1699, 1700).

b) Danach ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, im Falle der Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (Unternehmensvertrag) die Verkehrsfähigkeit eines Abfindungsanspruchs sicher zu stellen und diesen als mit der Aktie verfügbar zu gestalten. Die Einbuße an Verkehrsfähigkeit und am Wert der Aktie ist durch den korrekt bemessenen Abfindungsanspruch ausgeglichen. Nach der Beendigung des Unternehmensvertrages ist die sich aus diesem ergebende Einschränkung der in der Aktie verkörperten mitgliedschaftlichen Herrschafts- und Vermögensrechte fortgefallen. Derjenige Aktionär, der den Abfindungsanspruch nicht fristgerecht, das heißt spätestens bis zum Abschluss des Spruchverfahrens geltend gemacht hat (vgl. § 305 Abs. 4 AktG), nimmt damit einen etwaigen - auch unternehmensvertragsbedingten - Kursverlust aufgrund freier Entschließung in Kauf.

Im Falle eines so genannten vertragsüberdauernden Spruchverfahrens kann es freilich zu einer gewissen Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Aktionärs über sein Aktieneigentum kommen, die grundsätzlich durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist. Der Aktionär ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs während des überdauernden Spruchverfahrens gehalten, seine Aktie nicht an einen Dritten zu veräußern, wenn er sicherstellen will, dass sein Abfindungsanspruch nicht untergeht. Diese Einschränkung ist aber von lediglich geringfügiger Bedeutung. Denn dem Aktionär bleibt auch in dieser Phase des überdauernden Spruchverfahrens die Möglichkeit, seine Aktien zur Erzielung liquider Mittel dem vormals herrschenden Unternehmen anzudienen und zunächst die angebotene Abfindung zu vereinnahmen (vgl. § 305 Abs. 4 Satz 3 AktG) oder eine solche - wenn sie nicht angeboten ist - im Spruchverfahren zu erwirken. Eine etwaige Abfindung oder deren Aufstockung kann freilich unter bestimmten Umständen für ihn erst nach Abschluss des Spruchverfahrens verfügbar sein. Die darin liegende Einschränkung - auch hinsichtlich der Auswahl des Erwerbers - ist allerdings faktischer und mittelbarer Natur. Sie ergibt sich letztlich daraus, dass der Aktionär hinsichtlich der angemessenen Höhe der Abfindung Rechtsschutz durch staatliche Gerichte in Anspruch nimmt, der wegen der Dauer des Verfahrens nicht sogleich zu einem Ergebnis führt. Sie kann auch daraus folgen, dass er aufgrund eigener Entschließung - ohne selbst einen Antrag im Spruchverfahren zu stellen - am Ergebnis des andauernden Spruchverfahrens teilhaben möchte. Diese aus prozeduralen Gegebenheiten folgende vorübergehende faktische Einschränkung der Dispositionsmacht hat indessen nur den Charakter eines bloßen Reflexes des verfahrensrechtlichen Schutzes des außenstehenden Aktionärs. Sie ist deshalb im Rahmen der Ausgestaltung der Eigentumsordnung durch den Gesetzgeber hinzunehmen. Die Herstellung der jederzeitigen Verkehrsfähigkeit auch des Abfindungsanspruchs ist mithin von Verfassungs wegen nicht geboten.

c) Danach bedarf keiner Vertiefung, ob die Dispositionsmöglichkeiten des Aktionärs über sein Aktieneigentum während eines überdauernden Spruchverfahrens auch schon deshalb hinreichend gewahrt sind, weil er sich auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarung etwa in Verbindung mit einer Abtretung des Abfindungsanspruchs Liquidität verschaffen kann. Dies würde freilich die Abtretbarkeit des Anspruchs voraussetzen; ob diese gegeben ist (vgl. § 399 BGB), kann hier dahingestellt bleiben.

d) Offen bleiben kann ferner, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen bei anderen Übergangssachverhalten ein Mindestmaß an Verkehrsfähigkeit des Abfindungsanspruchs zu gewährleisten ist. Die angegriffene Entscheidung betrifft lediglich die Frage des Übergangs des Abfindungsanspruchs aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Übertragung der Aktie. Von der Entscheidung unberührt bleibt damit die Frage eines etwaigen Übergangs des Abfindungsanspruchs zusammen mit der Aktie im Rahmen einer nicht rechtsgeschäftlichen Rechtsnachfolge durch Erbschaft oder einer anderweitigen Gesamtrechtsnachfolge.

2. Auch der allgemeine Gleichheitssatz ist nicht verletzt (Art. 3 Abs. 1 GG). Der rechtfertigende Grund für die in der angegriffenen Entscheidung vorgenommene Differenzierung zwischen den Aktionären, die ihre Aktien vor der Beendigung des Unternehmensvertrages erworben haben, und denjenigen, die sie erst nach der Beendigung, aber während des noch laufenden Spruchverfahrens erwerben, besteht in der mit der Beendigung des Unternehmensvertrages entfallenden Verpflichtung zur Gewinnabführung und dem Wegfall der Möglichkeit, der abhängigen Gesellschaft nachteilige Weisungen zu erteilen. Deshalb ist eine Kompensation neuer Aktionäre durch das vormals herrschende Unternehmen verfassungsrechtlich nicht geboten.

III.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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