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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 01.12.2005
Aktenzeichen: 1 BvR 2/01
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1 | |
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES
- 1 BvR 2/01 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
gegen a) den Beschluss des Landgerichts München II vom 8. Dezember 2000 - 8 S 4570/00 -,
b) das Endurteil des Amtsgerichts Dachau vom 11. Juli 2000 - 2 C 313/00 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Hoffmann-Riem am 1. Dezember 2005 einstimmig beschlossen:
Tenor:
1. Der Beschluss des Landgerichts München II vom 8. Dezember 2000 - 8 S 4570/00 - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Das Urteil des Amtsgerichts Dachau vom 11. Juli 2000 - 2 C 313/00 - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben.
2. Die Sache wird an das Amtsgericht Dachau zurückverwiesen.
3. Der Freistaat Bayern hat den Beschwerdeführern die für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde notwendigen Auslagen zu erstatten.
4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf € 8.000,- (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die zivilgerichtliche Verurteilung, das Aufstellen von Schildern zu unterlassen, die sich inhaltlich gegen eine in der Nachbarschaft befindliche Lackiererei richten.
I.
1. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer eines Gründstücks am K. Ring in D., das in unmittelbarer Nachbarschaft einer Autolackiererei liegt. Sie beteiligten sich in den Jahren 1999 und 2000 an einer Bürgerinitiative, die es sich unter dem Motto "Keine Gifte mehr ins Wohngebiet" zum Ziel gesetzt hat, das Wohngebiet am K. Ring in D. so weit wie möglich von Umweltverschmutzungen freizuhalten. Dieses Ziel sehen sie insbesondere durch den Lackierbetrieb der S. GmbH gefährdet, da nach ihrer Auffassung die technischen Schutzmaßnahmen zur Reinhaltung der Luft nicht ausreichen, um eine Gesundheitsgefährdung der Anwohner auszuschließen. Die Beschwerdeführer stellten im September 1999 auf ihrem Grundstück zwei von der Straße her deutlich sichtbare große Schilder auf, mit denen sie auf die ihrer Ansicht nach schädlichen Emissionen der Autolackiererei hinwiesen. Eines der Schilder hatte den Wortlaut:
"Achtung, diese Autolackiererei bläst an jedem Arbeitstag Gifte in unser Wohngebiet.
Bürgerinitiative: Keine Gifte mehr ins Wohngebiet."
Unmittelbar daneben wurde ein weiteres Schild aufgestellt mit dem Text:
"Die gefährlichen Stoffe können verursachen: Hauterkrankungen, Atemwegserkrankungen, Schädigung des zentralen Nervensystems, Kopfschmerzen usw. und diese bereits bei niedrigen Dämpfen (Geruch).
Angaben: Siehe Sicherheitsdaten bei der Fa. S.
Buch: Akute Vergiftungen
Bürgerinitiative: Keine Gifte mehr ins Wohngebiet".
Die S. GmbH (im Folgenden: die Klägerin) erhob Klage vor dem Amtsgericht und begehrte die Beseitigung dieser Schilder. Ferner beantragte sie, die Beschwerdeführer zu verurteilen, zukünftig das Anbringen derartiger Schilder zu unterlassen. Das Amtsgericht gab dem Antrag mit dem angegriffenen Urteil statt und führte zur Begründung aus: Die aufgestellten Schilder stellten einen unzulässigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin dar. Bei isolierter Betrachtung des ersten Schildes möge es zwar die richtige Aussage enthalten, dass der Betrieb der Klägerin Emissionen freisetze, die nach der Definition des Brockhaus als Gifte anzusehen seien. Es müsse jedoch berücksichtigt werden, dass der Betrieb der Klägerin keinerlei unzulässige Emissionen abgebe. Im nachbarlichen Verhältnis müsse es nicht hingenommen werden, dass plakativ auf Emissionen von "Giften" hingewiesen werde, die unter Zugrundelegung des Verständnisses der Beschwerdeführer auch bei jedem Rasenmäher, jeder Heizung und jedem Personenkraftwagen freigesetzt würden. Das zweite Schild enthalte ein Zitat aus einem Handbuch, das auch bei der Klägerin verwendet werde. Es erwecke aber im Zusammenhang mit dem ersten Schild den Eindruck, dass die von dem Betrieb der Klägerin ausgehenden "Gifte" genau die auf dem Schild genannten massiven Beeinträchtigungen tatsächlich und akut verursachen würden. Dies sei jedoch falsch. Es handele sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nicht um "Meinungsäußerungen", sondern um ganz konkrete, unzutreffende Tatsachenbehauptungen. Es sei das gute Recht der Nachbarn eines Gewerbebetriebs, auf die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften zu achten und bis zu einer Überprüfung der zuständigen Behörden durch Schilder auf eventuelle Missstände hinzuweisen. Wenn aber nach einer behördlichen Überprüfung feststehe, dass keine Verstöße vorlägen, seien derartige Schilder zu entfernen.
Der Streitwert wurde durch das Amtsgericht auf DM 4.500,- festgesetzt. Die Beschwerdeführer legten fristgerecht Berufung ein. Mit Verfügung vom 1. September 2000 - den Beschwerdeführern zugegangen am 5. September 2000 - teilte das Landgericht mit, dass es erwäge, einen niedrigeren Streitwert festzusetzen, der sich allein an den Material- und Aufstellungskosten der Schilder orientiere.
2. Die Beschwerdeführer erhoben am 13. September 2000 Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts und beantragten vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie hätten erst durch die landgerichtliche Verfügung Kenntnis davon erhalten, dass das eingelegte Rechtsmittel eventuell unzulässig sein könne. Zuvor hätten sie darauf vertrauen dürfen, dass auch das Landgericht den von dem Amtsgericht festgesetzten Streitwert zu Grunde lege. Durch Beschluss vom 6. November 2000 entschied das Landgericht, dass der Wert der Beschwer den Betrag von DM 1.500,- - die damalige Berufungssumme - nicht übersteige. Das Interesse der Beschwerdeführer, die Verurteilung abzuwenden, habe keinen höheren Wert als die Kosten für das Material und die Aufstellung der Schilder. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit sei demgegenüber geringfügig, da es den Beschwerdeführern durch das Urteil nicht verboten sei, ihre Meinung in anderer Form zu äußern. Das Landgericht hat die Berufung schließlich durch Beschluss vom 8. Dezember 2000 - den Beschwerdeführern zugestellt am 14. Dezember 2000 - unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 6. November 2000 als unzulässig verworfen. Die Beschwerdeführer haben am 21. Dezember 2000 Verfassungsbeschwerde auch gegen die Entscheidung des Landgerichts erhoben. Mit Beschluss vom 24. Januar 2001 setzte das Landgericht den Streitwert im Berufungsverfahren auf DM 4.500,- fest. Zur Begründung führte es an, der Streitwert richte sich - im Gegensatz zu dem Wert der Beschwer - nach dem Interesse der Klägerin an der Durchsetzung des in zweiter Instanz weiterverfolgten Klageanspruchs.
3. Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sowie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
Die am 21. Dezember 2000 eingelegte Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Die Frist zur Erhebung habe erst mit Zustellung des Beschlusses des Landgerichts am 14. Dezember 2000 zu laufen begonnen. Von einer offensichtlichen Unzulässigkeit der Berufung könne angesichts der Streitwertfestsetzung durch das Amtsgericht nicht die Rede sein. Sofern das Bundesverfassungsgericht dieses anders beurteile, werde beantragt, das Verfahren über die bereits nach der landgerichtlichen Verfügung eingelegte Verfassungsbeschwerde nebst Wiedereinsetzungsantrag fortzusetzen. Damit bringen die Beschwerdeführer zugleich zum Ausdruck, dass diese Verfassungsbeschwerde keine eigenständige Bedeutung haben soll, wenn die spätere, ebenfalls gegen das Urteil des Landgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde zulässig ist.
Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Das Amtsgericht habe nicht erkannt, dass die Äußerungen auf den Schildern dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfielen. Es habe sie als konkrete Tatsachenbehauptungen angesehen, dessen Wahrheitsgehalt nicht bewiesen worden sei. Das erste Schild stelle ein reines Werturteil dar. Durch die Wortwahl "in die Luft blasen" werde der subjektive Charakter der Äußerung deutlich. Auch die Bewertung der Emissionen als "Gifte" sei eine subjektive Einschätzung, die durchaus nachvollziehbar sei. Unbestritten setze der Betrieb täglich 2,5 kg Lösungsmittel frei. Das zweite Schild stelle für sich betrachtet eine Tatsachenbehauptung dar. Es könne jedoch nur im Zusammenhang mit dem ersten Schild gesehen werden. Dadurch ergebe sich eine Äußerung, in der sich Werturteile und Tatsachenbehauptungen vermischten, so dass der Text in seiner Gesamtheit von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt sei. Auch bei Annahme einer reinen Tatsachenbehauptung könne kein Unterlassungsanspruch bestehen, weil lediglich behauptet worden sei, dass die Chemikalien Gesundheitsbeeinträchtigungen verursachen können. Diese Aussage sei jedoch unstreitig und auch unter Beweis gestellt worden. Dass Gesundheitsbeeinträchtigungen tatsächlich von den Emissionen des Betriebs verursacht worden seien, sei durch die Beschwerdeführer nicht behauptet, sondern allein durch das Amtsgericht unterstellt worden. Da das Amtsgericht das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht als tangiert angesehen habe, sei es auch nicht zu einer Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen gekommen. Diese müsse hier zugunsten der Beschwerdeführer ausgehen, weil mit den Äußerungen ein umwelt- und kommunalpolitisches Anliegen verfolgt werde.
Die landgerichtliche Entscheidung verletze die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 sowie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Unter Verkennung des grundrechtlichen Schutzes aus Art. 5 Abs. 1 GG habe das Gericht den Wert der Beschwer auf den Wert des Materials und die Kosten der Aufstellung der Schilder reduziert und den Beschwerdeführern dadurch die Möglichkeit der Berufung verbaut. Mit den Schildern habe die Öffentlichkeit auf das Anliegen der Bürgerinitiative aufmerksam gemacht und der Klägerin signalisiert werden sollen, dass ihr Betrieb im Wohngebiet als störend und gesundheitsbelastend empfunden werde. Das Aufstellen von Schildern sei eine besonders wirksame Form der Meinungskundgabe. Es gehe deshalb nicht um die bloße Entfernung eines Gegenstandes unabhängig von seiner Beschriftung. Streitgegenstand sei vielmehr die Frage, ob eine bestimmte Äußerung auf eine bestimmte Art und Weise verbreitet werden dürfe. Diesen grundrechtsrelevanten und für den Beschwerdewert maßgeblichen Umstand habe das Landgericht übergangen.
4. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz sowie die Klägerin des Ausgangsverfahrens haben zur Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Das Staatsministerium hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Das Amtsgericht habe die Reichweite der Meinungsfreiheit verkannt. Die landgerichtliche Entscheidung sei willkürlich und verstoße deshalb gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Klägerin hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
II.
Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen zur Reichweite von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ebenso bereits entschieden (vgl. BVerfGE 43, 130 <139>; 85, 1 <12 ff.>; 86, 122 <127 ff.>; 94, 1 <8 ff.>; 97, 125 <148 f.>) wie die zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 82, 286 <299>). Auch die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG sind zu bejahen. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt.
1. Die Verfassungsbeschwerde vom 21. Dezember 2000 ist zulässig. Damit besteht kein Anlass für die von den Beschwerdeführern hilfsweise beantragte "Fortsetzung" der Verfassungsbeschwerde vom 13. September 2000.
Die am 21. Dezember 2000 beim Bundesverfassungsgericht eingegangene Verfassungsbeschwerde ist insbesondere fristgerecht erhoben worden. Der letztinstanzliche Beschluss des Landgerichts ist den Beschwerdeführern am 14. Dezember 2000 zugestellt worden. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde ist also innerhalb der Monatsfrist beim Bundesverfassungsgericht eingegangen.
Eine gerichtliche Entscheidung, die - wie hier der angegriffene Beschluss des Landgerichts - ein Rechtsmittel als unzulässig verwirft, setzt die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde nur dann nicht in Lauf, wenn das Rechtsmittel offensichtlich unzulässig war (vgl. BVerfGE 14, 54 <55>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. November 2001 - 2 BvR 1879/01, NStZ-RR 2002, S. 109; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Juli 2005 - 2 BvR 283/05, StV 2005, S. 675). Maßgebend für die Fristberechnung ist dann der Tag der Zustellung der vorangegangenen Entscheidung.
Allerdings muss ein Beschwerdeführer vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf § 90 Abs. 2 BVerfGG von einem Rechtsmittel auch dann Gebrauch machen, wenn zweifelhaft ist, ob es statthaft ist und in dem konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. BVerfGE 68, 376 <381>; 91, 93 <106>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05, NJW 2005, S. 3059). Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch stets betont, dass die berechtigte Ungewissheit über die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs nicht zu Lasten des Rechtsuchenden gehen und daher nicht zur Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde führen darf (BVerfGE 5, 17 <19 f.>; 91, 93 <106>; 107, 299 <309>). Das gilt auch dann, wenn es als offen beurteilt werden kann, ob die Berufungssumme erreicht wird (vgl. BVerfGE 68, 376 <382 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. April 1993 - 2 BvR 818/92, NJW 1993, S. 3130). Die Annahme einer offensichtlichen Unzulässigkeit ist deshalb auf Rechtsmittel zu beschränken, bei deren Einlegung der Rechtsmittelführer nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre über die Unzulässigkeit nicht im Ungewissen sein konnte (vgl. BVerfGE 48, 341 <344>). Wird das Rechtsmittel als unzulässig verworfen, weil die Gerichte eine offene Zulässigkeitsfrage zu Ungunsten eines Beschwerdeführers beurteilen, kann er nach Ergehen der letztinstanzlichen Entscheidung innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG Verfassungsbeschwerde einlegen (vgl. BVerfGE 68, 376 <381>).
So verhält es sich hier. Von einer offensichtlichen Unzulässigkeit der Berufung konnten die Beschwerdeführer nicht ausgehen. Das Amtsgericht hatte den Streitwert auf DM 4.500,- festgesetzt. Damit war der von § 511 a Abs. 1 ZPO in der damaligen Fassung vorausgesetzte Wert des Beschwerdegegenstandes in Höhe von DM 1.500,- deutlich überschritten. Zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung konnte die Zulässigkeit der Berufung zwar nicht als sicher gelten, weil das Berufungsgericht den Wert des Beschwerdegegenstandes selbständig und ohne Bindung an die Vorinstanz festsetzt (vgl. BGH, NJW-RR 1988, S. 836 <837>). Es bestanden jedoch keine offenkundigen Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht den Wert des Beschwerdegegenstandes deutlich niedriger festsetzen würde als das Amtsgericht den Streitwert. Dass das Berufungsgericht allein auf den Materialwert der Schilder und die Kosten ihrer Aufstellung abstellen würde, konnte von den Beschwerdeführern nicht vorhergesehen werden. Vielmehr durften sie erwarten, dass auch das Landgericht das Interesse der Beschwerdeführer gerade an der gewählten Form der Meinungskundgabe (vgl. BVerfGE 93, 266 <289>) bei der Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes berücksichtigen und damit für diesen zu einer vergleichbaren Einschätzung wie das Amtsgericht für den Streitwert gelangen würde. Von einer Gewissheit über die Unzulässigkeit des Rechtsmittels konnte daher zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung unter den gegebenen Umständen nicht die Rede sein. War das Rechtsmittel hier demzufolge ein notwendiger Schritt zur Erschöpfung des Rechtswegs im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG, wird es nicht dadurch offensichtlich unzulässig, dass das Berufungsgericht einen deutlich niedrigeren Wert des Beschwerdegegenstandes festsetzt. Erst die Entscheidung des Landgerichts setzte daher die Verfassungsbeschwerdefrist in Lauf.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
a) Das Urteil des Amtsgerichts verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Es lässt Fehler erkennen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen.
aa) Die mit den streitbefangenen Schildern kundgegebenen Äußerungen fallen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist jedoch nicht vorbehaltlos gewährt (Art. 5 Abs. 2 GG). Zu ihren Schranken gehören die zivilrechtlichen Bestimmungen zum Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. Das Amtsgericht hat diesem Schutzgut Vorrang vor der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführer eingeräumt. Dabei hat es die Reichweite des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verkannt.
(1) Für die Prüfung des verfassungsrechtlichen Schutzes für Meinungsäußerungen hat deren Einordnung als wertende Stellungnahmen oder als Tatsachenbehauptungen weichenstellende Bedeutung. Wertungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt. Sie genießen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankäme, ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, begründet oder grundlos, emotional oder rational ist (vgl. BVerfGE 33, 1 <14>; 61, 1 <7>). Auch Tatsachenbehauptungen nehmen an dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG teil, weil und soweit sie meinungsbezogen sind und damit ihrerseits zur Meinungsbildung beitragen. Anders als bei wertenden Äußerungen ist für die rechtliche Beurteilung von Tatsachenbehauptungen bedeutsam, ob sie wahr oder unwahr sind.
Sind Tatsachenbehauptungen und Werturteile miteinander verbunden, bedarf es der Entscheidung, ob sie gemeinsam oder getrennt zu beurteilen sind. Dafür ist maßgebend, ob sie bei getrennter Betrachtung ihren Sinn verlören. Ergibt sich der Sinn erst bei der Zusammenschau der verschiedenen Elemente der Äußerung, sind sie im Interesse wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung anzusehen (vgl. BVerfGE 85, 1 <15 f.>; 90, 241 <248>). Würden in einem solchen Fall die tatsächlichen Elemente als ausschlaggebend angesehen, könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (vgl. BVerfGE 61, 1 <9>).
(2) Die Aussagen der hier betroffenen Schilder, bei denen sich wertende und tatsächliche Elemente vermischen, sind verfassungsrechtlich als wertende Stellungnahmen einzuordnen.
Die Aussage des ersten Schildes, dass "die Autolackiererei an jedem Arbeitstag Gifte in die Luft bläst", stellt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer kein reines Werturteil dar, weil sie jedenfalls auch die dem Beweis zugängliche tatsächliche Behauptung umfasst, dass der Betrieb schadstoffhaltige Emissionen ausstößt. Hiermit wird eine als solche auch von der Klägerin unbestrittene Tatsachenbehauptung aufgestellt. Die Gesamtaussage des Schildes wird jedoch nicht durch diese Aussage, sondern durch die daran anknüpfende kritische Wertung geprägt. Durch die Formulierung "Gift in die Luft blasen" wird zum Ausdruck gebracht, dass die Klägerin eine für das Wohngebiet schädliche Betätigung ausübe. Das Schild beschränkt sich nicht auf eine Sachinformation, sondern appelliert mit dem Einleitungswort "Achtung" und seinen plakativen Formulierungen an die Bewohner des Stadtteils und weitere Passanten, das Anliegen der Bürgerinitiative zu unterstützen, dass kein Gifte mehr in das Wohngebiet kommen. Die Bewertung der von der Klägerin ausgehenden Emissionen als "Gifte", die "in die Luft geblasen" werden, und die Forderung, dass dies zu unterbleiben habe, prägen die Aussage des Schildes.
Das zweite Schild enthält für sich betrachtet seinem Wortlaut nach eine Tatsachenbehauptung. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts handelt es sich um ein Zitat aus einem auch bei der Klägerin verwendeten Handbuch über Informationen zur Gefährlichkeit der zum Einsatz kommenden Stoffe. Die Einwirkung auf den Rechtskreis der Klägerin erhält diese Information erst in einer Zusammenschau der direkt nebeneinander angebrachten Schilder, die auch durch die gleiche Aufmachung und durch den jeweils gleichen Aufruf der Bürgerinitiative: "Keine Gifte mehr ins Wohngebiet" nahe gelegt wird. Die Tatsachenbehauptung, dass die aufgezählten und bei der Klägerin eingesetzten Stoffe Erkrankungen und ähnliches verursachen können, dient als Untermauerung des auf dem ersten Schild erhobenen Vorwurfs. Die negative Auswirkung, dass es sich bei den von der Klägerin freigesetzten Stoffen um "Gifte" handelt, erhält durch das Zitat aus dem Handbuch einen Beleg, der die möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die eingesetzten gefährlichen Stoffe beschreibt. Eine Trennung dieser Tatsachenbehauptung von ihrem Bezugspunkt nähme ihr den im Vordergrund stehenden anklägerischen Gehalt. Sie würde sich in der Wiedergabe eines Zitats erschöpfen, das von den Rezipienten in keinen Sinnzusammenhang eingeordnet werden könnte. Das Zitat konkretisiert die Aussage auf dem ersten Plakat und gibt an, worin die schädlichen Wirkungen bestehen, die die Beschwerdeführer veranlassen, die emittierten Stoffe als Gifte zu bezeichnen. Die beiden Schilder erhalten ihren die Klägerin belastetenden Gehalt daher in ihrem Wechselbezug. Dementsprechend sind sie auch in der Bezugnahme aufeinander zu bewerten. Prägend für die Gesamtaussage ist die Wertung des von der Klägerin nicht bestrittenen Umstands von Emissionen als "Gifte", die mit der Forderung verbunden wird, dass deren Verbreitung im Wohngebiet unterbleiben muss. Die Aussage genießt den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG insgesamt als wertende Meinungskundgabe. Dies hat das Amtsgericht verkannt, als es ausführte, es handele sich "keineswegs um Meinungsäußerungen", sondern um ganz konkrete Tatsachenbehauptungen.
bb) Die zutreffende Ermittlung des Sinns einer Äußerung ist Voraussetzung einer rechtlichen Würdigung. Daran aber fehlt es in dem Urteil des Amtsgerichts.
Das Amtsgericht hat den Plakaten einen Inhalt unterlegt, der im Wortlaut keinen Anhaltspunkt findet. Es hat die Aussage nämlich dahingehend gedeutet, es werde behauptet, die geschilderten Wirkungen würden tatsächlich und akut verursacht. Das Handbuchzitat handelt jedoch nur davon, welche Wirkungen eintreten können. Der für einen verständigen und unvoreingenommenen Durchschnittsempfänger erkennbare Sinn der Aussage (zu diesem Bezugspunkt vgl. BVerfGE 93, 266 <295>) zielt entgegen der Auffassung des Amtsgerichts im Übrigen auch nicht auf die Frage, ob der klägerische Betrieb alle öffentlich-rechtlichen Vorschriften einhält. Dies wäre eine fern liegende Deutung, die bei der rechtlichen Bewertung außer Ansatz zu bleiben hat (vgl. BVerfGE 93, 266 <296>).
cc) Infolge der fehlerhaften Einordnung der Äußerung als Tatsachenbehauptung sowie infolge der fehlerhaften Deutung der konkreten Vorwürfe geht die vom Amtsgericht - jedenfalls in Ansätzen - durchgeführte Abwägung fehl.
Da keine Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die auf den Schildern enthaltenen Wertungen als Formalbeleidigung oder Schmähkritik einzuordnen wären (dazu vgl. BVerfGE 93, 266 <294>), hätte das Amtsgericht nach zutreffender Feststellung des Aussagegehalts der Schilder in eine Abwägung zwischen dem Äußerungsinteresse der Beschwerdeführer und dem Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin eintreten müssen. Dabei hätte es aufseiten der Beschwerdeführer berücksichtigen müssen, dass es sich um eine wertende Stellungnahme zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelte. Bei ihr streitet eine Vermutung für die freie Rede (vgl. BVerfGE 7, 198, <208, 212>; 61, 1 <11>). Dies gilt auch, wenn es sich um Fragen handelt, die eine lokal begrenzte Öffentlichkeit wesentlich berühren (vgl. BVerfGK 1, 289 <292>). Entsprechende Erwägungen fehlen in dem Urteil des Amtsgerichts.
b) Die Entscheidung des Landgerichts, die inhaltlich die vorangegangene Streitwertfestsetzung vom 6. November 2000 in Bezug nimmt, enthält ebenfalls Fehler bei der Rechtsanwendung, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beruhen und sich bei der Bestimmung des Wertes der Beschwer ausgewirkt haben, die zur Unzulässigkeit der Berufung geführt hat. Dadurch sind die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auf den gesetzlichen Richter verletzt.
aa) Nicht jede fehlerhafte Anwendung von Zuständigkeitsregeln stellt zugleich auch eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Ein Verfassungsverstoß ist bei Zuständigkeitsentscheidungen der Judikative nur gegeben, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm willkürlich erfolgt oder bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, ferner wenn die Gerichte bei ihrer Entscheidung Inhalt und Reichweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennen (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 82, 286 <299>). Letzteres ist der Fall, wenn die Entscheidung eines Gerichts sich bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnorm so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>).
bb) So liegt es hier. Den Wert des Beschwerdegegenstandes einer demonstrativen Äußerung in einer die Öffentlichkeit angehenden Angelegenheit nur an den Material- und Aufstellungskosten der verwendeten Schilder festzumachen und auf diese Weise die Berufung auszuschließen, ist offensichtlich unhaltbar.
Nach den Ausführungen im Beschluss über den Wert der Beschwer vom 6. November 2000 geht das Landgericht zwar von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführer durch das Urteil des Amtsgerichts aus. Es hat die Einschränkung aber nur als geringfügig angesehen, da die Beschwerdeführer nur gehindert seien, ihre Meinung auf Schildern zu äußern, die sie auf ihrem Grundstück aufgestellt haben; die Meinungsäußerung in anderer Form sei ihnen hingegen nicht verboten worden. Den Wert des Beschwerdegegenstandes hat das Landgericht deshalb allein an den Material- und Aufstellungskosten der Schilder festgemacht. Es hat damit die Reichweite des Schutzbereichs und die Deutung der Meinungsfreiheit grundlegend verkannt. Ginge es um die verfassungsrechtliche Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung allein am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, wäre sie aufzuheben. Nichts anderes gilt, wenn die fehlerhafte Entscheidung die Grundlage einer weiteren Entscheidung ist, die zur Verweigerung des Rechtsmittels und damit des Rechtsschutzes zur Durchsetzung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG führt.
Art und Inhalt der Äußerung und damit die Bedeutung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG für den Rechtsstreit müssen auch im Rahmen der Ermittlung des Wertes des Beschwerdegegenstandes hinreichend Berücksichtigung finden (vgl. zur Bedeutung der Grundrechte für die Streitwertfestsetzung nach § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO a.F. LAG Schleswig-Holstein, NZA-RR 2001, S. 384 <387>; speziell zur Bedeutung von Art. 19 Abs. 4 GG für die Streitwertfestsetzung vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 1999 - 1 BvR 1431/90, NVwZ 1999, S. 1104). Der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bezieht sich nicht nur auf den Inhalt der Äußerung, sondern auch auf ihre Form (vgl. BVerfGE 24, 278 <286>; 93, 266 <289>). Geschützt ist gerade auch die Chance, durch die Wahl der Ausdrucksform Aufmerksamkeit auszulösen oder die Resonanz für das kommunikative Anliegen zu erhöhen. Die Untersagung des Aufstellens der Schilder ist für die Beschwerdeführer vorliegend keineswegs eine nur geringfügige Grundrechtsbeeinträchtigung, denn diese Kundgabeform ist in besonderer Weise geeignet, das mit der Meinungsäußerung verfolgte Anliegen zu erreichen, die Bewohner des betroffenen Gebiets auf die angenommenen Missstände wiederkehrend und dauerhaft hinzuweisen.
3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den dargelegten Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass sie für die Beschwerdeführer zu günstigeren Ergebnissen geführt hätten, wenn die Reichweite des Grundrechts der Meinungsfreiheit zutreffend bestimmt worden wäre. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG und die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. zu den dazu entwickelten Grundsätzen BVerfGE 79, 357 <361 ff.>; 79, 365 <366 ff.>; Kunze, in Umbach/Clemens/Dollinger (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2005, § 34 a Rn. 71 ff.).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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