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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 12.11.1997
Aktenzeichen: 1 BvR 2000/96
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2000/96 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn K...,

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Udo Kornmeier, Wolfsgangstraße 83, Frankfurt/Main -

gegen das Urteil des Landgerichts Aurich vom 16. August 1996 - 3 S 136/96 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs- gerichts durch den Vizepräsidenten Seidl, die Richterin Haas, und den Richter Hömig gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 12. November 1997 einstimmig beschlossen:

Das Urteil des Landgerichts Aurich vom 16. August 1996 - 3 S 136/96 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

G r ü n d e :

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld wegen einer Äußerung in einer Fernseh-Talk-Show.

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Fernsehmoderator. Er moderierte die "RTL-Nacht-Show", eine sogenannte Talk-Show mit humoristisch-satirischem Charakter. Ende Juni 1994 war die Klägerin des Ausgangsverfahrens, Prinzessin Erna von Sachsen, gegen Zahlung eines Honorars von 1.000 DM Gast in der Talk-Show. Vor der Aufzeichnung ihres Auftritts wirkte sie an der Produktion eines kurzen Einspielfilms mit, der sie bei der "Spende blauen Blutes" zeigt ("Blutspende-Sketch") und im Anschluß an das Talk-Show-Gespräch gesendet wurde.

Die Klägerin ist keine geborene Adelige, sondern hat ihren Titel durch Heirat erworben. Sie hat danach Herrn O.M., den Witwer der Schauspielerin Helga Feddersen, adoptiert und durch Auftritte in der Öffentlichkeit und Interviews in der Boulevardpresse einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt.

In dem Gespräch zwischen dem Beschwerdeführer und der Klägerin ging es in erster Linie um die Einheirat der Klägerin in den sächsischen Adel. Da die Klägerin früher Numismatikerin war und ihren Ehemann auf einer Münzentagung kennengelernt hatte, erwähnte der Beschwerdeführer, es sei ihm aus dem Publikum zugerufen worden, die Klägerin habe "auch den Namen 'Münzen-Erna' gehabt". Außerdem sprach der Beschwerdeführer Eheschließungen und Adoptionen der Klägerin an und stellte dabei finanzielle Motive heraus.

2. Die Klägerin verklagte den Beschwerdeführer auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sie machte geltend, der Beschwerdeführer habe sie vor den Zuhörern und Zuschauern der Sendung als eine Person des Hochadels und gewinnsüchtige Person ohne jegliche Moral "vorführen" wollen. Vor allem rügte sie, daß der Beschwerdeführer unterstellt habe, sie habe ihren Ehemann allein wegen seines Titels geheiratet und mache mit dem so erlangten Titel Geschäfte, daß der Beschwerdeführer entgegen einer vorher getroffenen Absprache die Adoption von Herrn O.M. erwähnt und daß er sie - aufgrund eines erfundenen Zurufs aus dem Publikum - als "Münzen-Erna" bezeichnet habe. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat den Beschwerdeführer unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin im übrigen wegen der zuletzt genannten Bezeichnung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 3.000 DM verurteilt:

Der Beschwerdeführer habe das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin widerrechtlich verletzt. Es bedürfe der umfassenden Würdigung, ob der Eingriff befugt gewesen sei. Dabei fließe auf seiten des Schädigers in die Abwägung ein, aus welchem Motiv und zu welchem Zweck der Eingriff erfolgt sei, wobei den Grundrechten (insbesondere aus Art. 5 GG) besondere Beachtung geschenkt werden müsse. Die Zubilligung eines Schmerzensgeldes sei nur gerechtfertigt, wenn es sich um eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts handele und eine Genugtuung auf andere Weise nicht zu erreichen sei.

Diese Voraussetzungen seien erfüllt, soweit der Beschwerdeführer in dem Gespräch geäußert habe, die Klägerin habe "auch den Namen Münzen-Erna gehabt". Die Nennung dieses angeblichen Spitznamens sei in der konkreten Situation objektiv geeignet und auch dazu bestimmt gewesen, die Klägerin vor einem Millionenpublikum der Lächerlichkeit preiszugeben. Das anwesende Publikum habe - erwartungsgemäß - mit Applaus reagiert. Der "Gag" als solcher habe keinerlei Informationswert gehabt. Dem Beschwerdeführer sei es allein darum gegangen, den Spitznamen irgendwie in das Gespräch einzubringen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Hierfür spreche entscheidend, daß die Darstellung des Beschwerdeführers in der Sendung, der Name "Münzen-Erna" sei ihm aus dem Publikum zugerufen worden, unstreitig falsch sei. Vielmehr habe es sich um eine vom Beschwerdeführer bewußt und gewollt in das Gespräch eingeführte Bezeichnung gehandelt, die, was hinzukomme, in den Gesamtkontext der Sendung hineinpasse. Dem Wortlaut des Gesprächs lasse sich unschwer entnehmen, daß dem Beschwerdeführer von vornherein daran gelegen habe, die Beziehung der Klägerin zu Geld und Titeln hervorzuheben. Obwohl dies nicht offen, sondern "versteckt" in Form von Andeutungen und Fragen geschehen sei, sei die Tendenz für jeden verständigen Zuschauer mehr als deutlich gewesen. Mit der Bezeichnung "Münzen-Erna" sei der Klägerin ein eingängiger Titel gegeben worden, der den Eindruck habe erwecken können, daß es sich bei ihr um eine kleinkarierte und geldversessene Person handele, die erst mit "kleiner Münze" gehandelt und sich dann aus finanziellen Gründen in den Adel eingeheiratet habe. Spätestens durch diese Titulierung sei die Klägerin in ihrem Ehranspruch erheblich verletzt worden. Sie habe in die Ehrverletzung nicht eingewilligt. Zwar habe sie an der Sendung, deren satirischer Charakter ihr bekannt gewesen sein dürfte, aus freien Stücken mitgewirkt. Auch Gäste einer Talk-Show seien jedoch nicht rechtlos. Sie müßten es insbesondere nicht hinnehmen, von dem Gastgeber beleidigt zu werden.

II. 1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Landgerichts. Er rügt eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 und 3 GG. Das Landgericht habe Bedeutung und Tragweite dieser Grundrechte verkannt. Außer auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG könne er sich wegen des satirischen Gehalts der in Rede stehenden Sendung auf die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG berufen. Auch die Bezeichnung der Klägerin als "Münzen-Erna" habe eindeutig satirischen Charakter. Darauf sei das Landgericht überhaupt nicht eingegangen.

2. Dem Niedersächsischen Justizministerium und der Klägerin ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Sie haben davon keinen Gebrauch gemacht.

III. 1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt ist (vgl. § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

a) Prüfungsmaßstab für die angegriffene Entscheidung ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

Die vom Beschwerdeführer moderierte Talk-Show und die vom Landgericht beanstandete Bezeichnung der Klägerin als "Münzen-Erna" sind allerdings durch satirische Verfremdung geprägt. Dies hebt sie aber nicht notwendig in den Rang eines durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Kunstwerks. Satire kann Kunst sein; nicht jede Satire ist jedoch Kunst. Das ihr wesensmäßige Merkmal, mit Verfremdungen, Verzerrungen und Übertreibungen zu arbeiten (vgl. BVerfGE 75, 369 <377>), kann ohne weiteres auch ein Mittel der einfachen Meinungsäußerung oder der Meinungsäußerung durch Massenmedien (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG) sein. Bei der Anwendung dieser Grundrechte muß der satirische Charakter der einzelnen Meinungskundgabe berücksichtigt werden. Auch Erklärungen, die lediglich unter Art. 5 Abs. 1 GG fallen, darf kein Inhalt unterschoben werden, den ihnen ihr Urheber erkennbar nicht beilegen wollte; das gilt besonders bei satirischer oder glossierender Meinungsäußerung (vgl. BVerfGE 86, 1 <9>).

Im übrigen erfordert die rechtliche Beurteilung von Satire die Entkleidung des "in Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes", um ihren eigentlichen Inhalt zu ermitteln (vgl. BVerfGE 75, 369 <377 f.> unter Hinweis auf RGSt 62, 183). Dieser Aussagekern und seine Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Mißachtung gegenüber der betroffenen Person enthalten. Dabei muß beachtet werden, daß die Maßstäbe im Hinblick auf das Wesensmerkmal der Verfremdung für die Beurteilung der Einkleidung anders und im Regelfall weniger streng sind als die für die Bewertung des Aussagekerns (vgl. BVerfGE 75, 369 <377 f.>; 86, 1 <12>).

b) Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob die Bezeichnung der Klägerin als "Münzen-Erna" wegen der satirischen Einkleidung dieser Äußerung auch den Schutz der Kunstfreiheit genießt. Auch wenn auf sie nur das nicht vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG angewendet wird, hält das angegriffene Urteil der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand (vgl. BVerfGE 68, 226 <233>; 86, 1 <9>).

2. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist verletzt, weil sich der Begründung des Landgerichts nicht entnehmen läßt, daß es bei seiner Beurteilung der Äußerung des Beschwerdeführers Maßstäbe angelegt hat, die dem satirischen Gehalt der Äußerung gerecht werden.

a) Das angegriffene Urteil läßt nicht erkennen, daß das Landgericht sich der Bedeutung und des Gewichts der für den Beschwerdeführer streitenden Grundrechtspositionen bewußt gewesen ist. Lediglich zu Beginn der Entscheidungsgründe - im Rahmen der abstrakten Darstellung des rechtlichen Prüfungsmaßstabs - wird erwähnt, daß eine Abwägung vorzunehmen sei ("Bei der Abwägung ..."). Auch wird dabei betont, daß auf seiten des Beschwerdeführers "den Grundrechten (insbesondere aus Art. 5 GG) besondere Beachtung geschenkt werden" müsse. Der dann folgenden Subsumtion und Würdigung des Landgerichts ist jedoch nicht zu entnehmen, daß sich dieses an das derart umschriebene Prüfprogramm tatsächlich auch gehalten und dabei den satirischen Charakter der inkriminierten Äußerung in Rechnung gestellt hat.

Das Landgericht spricht zwar davon, daß die Klägerin "an der Sendung, deren satirischer Charakter ihr bekannt gewesen sein dürfte, aus freien Stücken mitgewirkt" habe. Daraus wird deutlich, daß es den satirischen Charakter der vom Beschwerdeführer moderierten Sendung nicht verkannt hat. Das angegriffene Urteil läßt jedoch nicht erkennen, daß diese Prägung auf die in Rede stehende Äußerung erstreckt und im Rahmen der Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen des Beschwerdeführers und der Klägerin berücksichtigt worden ist. Die gesamten übrigen Ausführungen im Subsumtionsteil des Urteils sind allein Begründungselemente zu Lasten des Beschwerdeführers und dienen der Bejahung einer Persönlichkeitsverletzung der Klägerin; dabei wird aber nicht erkennbar beachtet, daß mit diesen Ausführungen gleichzeitig Umstände angesprochen werden, die für eine Charakterisierung der Äußerung als Satire sprechen und unter diesem Blickwinkel zu würdigen waren. Dies zeigt sich etwa, wenn das Landgericht ausführt, der Beschwerdeführer habe die Klägerin der Lächerlichkeit preisgeben wollen, es habe sich bei der Verwendung der Bezeichnung "Münzen-Erna" um einen "Gag" gehandelt, der Spitzname sei um des gewünschten Effekts beim Publikum willen in das Gespräch eingebracht worden, die Hinweise des Beschwerdeführers auf das Grundthema des Gesprächs (Beziehung der Klägerin zu Geld und Titeln) seien nicht offen, sondern "versteckt" in Form von Andeutungen und Fragen erfolgt, die Tendenz gleichwohl mehr als deutlich gewesen, und die inkriminierte Bezeichnung "Münzen-Erna" sei ein eingängiger Titel für eine vermeintlich "kleinkarierte und geldversessene Person" gewesen, die erst mit "kleiner Münze" gehandelt und sich dann aus finanziellen Gründen in den Adel eingeheiratet habe. Daß es der Satire wesenseigen ist, Personen und Vorgänge zu überzeichnen, daß sie, wie erwähnt, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen arbeitet, auch um dadurch beim Zuhörer und Zuschauer Lacheffekte hervorzurufen (vgl. BVerfGE 86, 1 <11>), ist dabei offenbar nicht gesehen worden. Das führt zu einer inhaltlich einseitigen Würdigung der beanstandeten Äußerung.

b) Das angegriffene Urteil genügt darüber hinaus auch nicht dem Erfordernis, satirische Äußerungen ihres in Wort und Bild gewählten Gewandes zu entkleiden und sodann ihren Aussagekern und ihre Einkleidung gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Mißachtung der betroffenen Person enthalten (vgl. oben III 1 a). Es trifft zwar Aussagen, die dahin verstanden werden können, das Landgericht habe den Aussagekern des gesamten Gesprächs wie speziell der Bezeichnung der Klägerin als "Münzen-Erna" darin gesehen, daß die Klägerin "aus finanziellen Gründen in den Adel eingeheiratet habe". Es fehlt aber auch hier eine Würdigung und Auseinandersetzung mit den aufgezeigten Elementen der Satire, die gegen die Annahme sprechen könnten, es liege zum Nachteil der Klägerin eine Persönlichkeitsverletzung vor, zumal eine von solcher Schwere, daß sie des Ausgleichs durch Zubilligung eines Schmerzensgeldes bedarf.

c) Das angegriffene Urteil beruht auf der Verletzung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, daß das Landgericht, wenn es die Grundrechtsabwägung nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze vorgenommen hätte, zu einem dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Seidl Haas Hömig Hömig

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