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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 05.02.2002
Aktenzeichen: 1 BvR 2029/00
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3
GG Art. 6
GG Art. 101
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2029/00 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. Oktober 2000 - 2 UF 1504/00 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts München vom 26. Januar 2000 - 564 F 06058/99 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richterinnen Haas, Hohmann-Dennhardt

am 5. Februar 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. Oktober 2000 - 2 UF 1504/00 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes soweit hierdurch der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - München vom 26. Januar 2000 - 564 F 06058/99 - aufgehoben und der Antrag Nummer 2 des Beschwerdeführers vom 21. Juli 1999 zurückgewiesen wird (Ziffer II). Der Beschluss wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

2. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein umgangsrechtliches Verfahren.

1. Der Beschwerdeführer ist der Vater von zwei 1991 und 1993 geborenen Kinder. 1995 zog die Ehefrau des Beschwerdeführers mit den Kindern aus der gemeinsamen Wohnung in B. aus und wohnt seitdem in M. Die Ehe wurde geschieden und der Kindesmutter die alleinige Sorge für die Kinder übertragen.

Mit Antrag vom 21. Juli 1999 begehrte der Beschwerdeführer eine Änderung der gerichtlichen Umgangsregelung. Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 26. Januar 2000 wurde die Kindesmutter antragsgemäß verpflichtet, die Kinder zum Flughafen M. zu bringen beziehungsweise dort abzuholen, falls der Beschwerdeführer die Beförderung der Kinder per Flugzeug beabsichtigt und dies mindestens eine Woche vorher angekündigt hat. Diese Regelung sei praktikabel und im Interesse der Kinder. Die verhältnismäßig geringe zusätzliche Belastung sei der Mutter zumutbar. Das Oberlandesgericht München hob diese Entscheidung durch Beschluss vom 10. Oktober 2000 mit der Begründung auf, dass die der Kindesmutter auferlegte Verpflichtung mangels gesetzlicher Rechtsgrundlage nicht habe angeordnet werden können. Das geltende Recht kenne keine Regelung, nach welcher die Kindesmutter auf ihre eigenen Kosten Leistungen zur Erleichterung des Finanzbudgets des Umgangsberechtigten zu erbringen habe.

2. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner gegen beide Beschlüsse gerichteten Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 3, Art. 6, Art. 101 und Art. 103 Abs. 1 GG. Mit der Verlegung ihres Wohnortes nach M. habe ihm die Kindesmutter die Umgangsausübung erheblich erschwert. Durch das Bringen und Holen der Kinder zum beziehungsweise vom Flughafen würde die Reisebelastung für die betroffenen Kinder erleichtert sowie die Kalkulierbarkeit und Zuverlässigkeit der Ankunfts- und Abreisezeiten verbessert werden. Da der Sorgeberechtigte verpflichtet sei, an der Durchführung des Umgangs aktiv mitzuwirken, könne der Kindesmutter die Verpflichtung zur Übergabe der Kinder am Flughafen auferlegt werden. Das Oberlandesgericht habe hingegen lediglich auf die Tragung der Umgangskosten abgestellt, welche der Kindesmutter nicht auferlegt werden könnten.

3. Das Bundesverfassungsgericht hat der Landesregierung des Freistaates Bayern und der Beteiligten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Seitens der Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist eine Stellungnahme nicht erfolgt. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz vertritt die Ansicht, dass die Verfassungsbeschwerde unbegründet sei. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts sei mit Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar. Die Entscheidung betreffe nicht die Dauer und die Häufigkeit des Umgangsrechts, sondern lediglich die Übergabemodalitäten im Fall der Flugreisen der Kinder. Eine wesentliche Bedeutung für das Kindeswohl sei hierbei nicht erkennbar. Trotz der erheblichen Belastung des Beschwerdeführers aufgrund der weiten Entfernung und der damit verbundenen Kosten sei die Abwägung des Oberlandesgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens nicht zu einer Verringerung der Aufwendungen des Beschwerdeführers auf eigene Kosten verpflichtet werden könne.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 6 Abs. 2 GG.

1. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 31, 194 <206 f.>; 64, 180 <187 f.>; Kammerbeschluss, FamRZ 1993, S. 662 ff.).

a) Das Umgangsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils steht ebenso wie die elterliche Sorge des anderen Elternteils unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Beide Rechtspositionen erwachsen aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und müssen von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden. Der sorgeberechtigte Elternteil muss demgemäß grundsätzlich den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ermöglichen. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt (BVerfGE 31, 194 <206 f.>; 64, 180 <187 f.>). Die Gerichte müssen sich daher im Einzelfall um eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte bemühen (BVerfG, Kammerbeschluss, FamRZ 1993, S. 662 ff.). Dabei müssen sie auch beachten, ob die konkrete Umgangsregelung im Einzelfall dazu führt, dass der Umgang für den nichtsorgeberechtigten Elternteil unzumutbar und damit faktisch vereitelt wird. Hierzu kann es insbesondere dann kommen, wenn der Umgang aufgrund der unterschiedlichen Wohnorte der Eltern nur unter einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand ausgeübt werden kann. In diesen Fällen obliegt es den Gerichten zu prüfen, ob der sorgeberechtigte Elternteil anteilig zur Übernahme an dem für das Holen und Bringen der Kinder zur Ausübung des Umgangsrechts erforderlichen zeitlichen und organisatorischen Aufwandes zu verpflichten ist, um hierdurch einer faktischen Vereitelung des Umgangsrechts vorzubeugen.

b) Nach diesen Maßstäben ist die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht vereinbar.

Das Oberlandesgericht hat sich in seiner Entscheidung mit der Problematik einer etwaigen faktischen Vereitelung des Umgangsrechts nicht befasst. Es hat die vom Beschwerdeführer beantragte und vom Amtsgericht beschlossene Verpflichtung der Kindesmutter zum Bringen und Holen der Kinder zum beziehungsweise vom Flughafen lediglich mit dem Hinweis abgelehnt, dass es hierfür keine gesetzliche Rechtsgrundlage gebe. Aufgrund des Vortrags des Beschwerdeführers hätte das Oberlandesgericht jedoch prüfen müssen, ob im Hinblick auf die erhebliche Entfernung zwischen den verschiedenen Wohnorten die Ausübung des Umgangsrechts faktisch ausgeschlossen oder aber dem Beschwerdeführer unzumutbar erschwert wird, wenn dieser auch bei Anreise mit dem Flugzeug selbst die Kinder von der Wohnung der Kindesmutter abholen und auch wieder dorthin zurückbringen muss.

c) Die angegriffene Entscheidung beruht auf der festgestellten Verletzung des Art. 6 Abs. 2 GG. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht bei Beachtung der sich aus Art. 6 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

d) Da der angegriffene Beschluss schon wegen einer Verletzung des Art. 6 Abs. 2 GG aufzuheben ist, kann dahinstehen, ob die Entscheidung darüber hinaus gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 101 und Art. 103 Abs. 1 GG verstößt.

2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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