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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 12.07.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 2041/02
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES
- 1 BvR 2041/02 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Oktober 2002 - I ZR 312/01 -,
b) das Urteil des Kammergerichts vom 13. Juli 2001 - 5 U 10232/00 -,
c) das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. November 2000 - 102 O 174/00 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs- gerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Hoffmann-Riem am 12. Juli 2007 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das Urteil des Kammergerichts vom 13. Juli 2001 - 5 U 10232/00 - und das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. November 2000 - 102 O 174/00 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Oktober 2002 - I ZR 312/01 - ist gegenstandslos.
Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Gegenstandswert wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zivilrecht-liche Entscheidungen, mit denen dem Beschwerdeführer die Verbreitung dreier Publikationen untersagt worden ist.
1. Der Beschwerdeführer ist Mediziner. Er vertritt die Auffassung, zahlreiche Krankheiten würden durch einen Mangel an Vitaminen, insbesondere an Vitamin C, ausgelöst und könnten sich weitgehend problemlos durch die Einnahme von entsprechenden Vitaminpräparaten vermeiden lassen. Seine Thesen verbreitet der Beschwerdeführer öffentlich in Büchern, Broschüren und auf Veranstaltungen. Dabei führt er auch eine Auseinandersetzung mit der Arzneimittelindustrie, dem von ihm so genannten "Pharmakartell". Er meint, die Arzneimittelhersteller seien bestrebt, aus Gewinninteresse neue medizinische Erkenntnisse zu unterdrücken.
Der Beschwerdeführer ist auch Geschäftsführer und Gesellschafter einer Firmengruppe mit Sitz in den Niederlanden, die Vitaminpräparate herstellt und vertreibt.
2. Anlässlich einer Sitzung des Codex-Alimentarius-Komitees der Weltgesundheitsorganisation in Berlin im Juni 2000 machte der Beschwerdeführer mit einem Plakat, das in großen Buchstaben hervorhob: "Kein Vitaminverbot! Stoppt das Pharmakartell!", auf sein Anliegen aufmerksam und verteilte im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Konferenz die Broschüren "Stoppt die Codex-Pläne des Pharmakartells!" und "Codex Alimentarius: Stoppt das Pharmakartell!".
Das Plakat enthält in kleinerer Schrift zunächst Ausführungen über die gesundheitsfördernde Kraft von Vitaminen und fügt dann an:
Diese medizinische Tatsache macht Pharmapräparate, die nur Symptome lindern, aber die Ursache nicht behandeln können, überflüssig.
Durch ein internationales Kartell versucht die Pharmaindustrie, einen Milliardenmarkt an unnützen Präparaten künstlich aufrecht zu erhalten.
Aus Gewinnsucht sollen Gesundheitsinformationen zu Vitaminen und anderen nicht patentierbaren Naturtherapien weltweit verboten werden.
Diese Pläne sind Thema einer Zusammenkunft, die unter der Bezeichnung "Codex Alimentarius" vom 19. - 23. Juni 2000 in Berlin stattfindet.
Anschließend wird ein Coupon für die kostenlose Bestellung eines Buchs des Beschwerdeführers wiedergegeben.
In der Broschüre "Stoppt die Codex-Pläne des Pharma-Kartells!" wird unter den Worten "Das müssen wir verhindern! Widerstand lohnt sich!" dagegen protestiert, dass unter Führung der deutschen Pharmalobby die Verbreitung hochdosierter, wirksamer Vitamine und die Information über ihre Heilwirkung weltweit blockiert werden solle, und zwar auf dem Treffen der Codex Alimentarius Kommission vom 19. bis 23. Juni 2000 in Berlin. Es heißt unter anderem: "Nein zu den Zensur-Plänen des Pharmakartells", und in Teil 3 der Broschüre werden einzelne mögliche Protestaktionen zur Verhinderung des Codex Alimentarius aufgeführt. Die Broschüre befasst sich ferner kritisch mit der Pharmaindustrie. Dabei wirft der Beschwerdeführer den Arzneimittelherstellern die Bestechung von Politikern und Regierungen vor und zieht Parallelen zwischen dem Verhalten der Chemiekonzerne in der NS-Zeit und dem Verhalten heutiger Pharmakonzerne. Die Kritik an der Pharmaindustrie wird durch Hervorhebung der positiven Wirkungen von Vitaminen kontrastiert.
Die Broschüre enthält in diesem Zusammenhang unter anderem folgende Aussagen:
Die Codex-Alimenatarius-Kommission ist nur die letzte und brutalste Form, mit der die Finanziers des "Milliardengeschäfts mit der Krankheit" entschlossen sind, ihre Pfründe zu verteidigen.
Existenzgrundlage der Pharmaindustrie ist das "Geschäft mit der Krankheit". Wie jeder andere Industriezweig versucht auch die Pharmaindustrie, ihren Markt - die Krankheiten - auszuweiten. Die Vorbeugung, Heilung und Ausmerzung von Krankheiten sind geschäftsschädigend für die Pharmaindustrie und werden daher von ihr bekämpft.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat die Pharma-Industrie die Geschichte Deutschlands mitgeschrieben wie kein anderer Industriezweig. Kaum ein Kanzler, der nicht unmittelbares Ziehkind des deutschen Pharmakartells war.
Die IG Farben, der Zusammenschluss von BASF, Bayer und Hoechst, waren die größten Einzelsponsoren von Hitlers Machtergreifung.
In der Broschüre "Codex Alimentarius: Stoppt das Pharmakartell!" werden diese Aussagen nochmals zusammengefasst.
3. Der Verband S. e.V. aus Berlin, der sich der Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs widmet, nahm den Beschwerdeführer vor dem Landgericht Berlin auf Unterlassung der Verbreitung dieser Publikationen in Anspruch. Das Landgericht gab der Klage mit Urteil vom 14. November 2000 statt. Diese Verurteilung bestätigte das Kammergericht in seinem Berufungs-urteil vom 13. Juli 2001. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers wies der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 2. Oktober 2002 zurück.
Die Gerichte stützten ihre Entscheidungen auf § 1 UWG a.F. unter dem Gesichtspunkt der "unsachlich herabsetzenden Werbung" (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 UWG a.F.).
Die Verbreitung der verfahrensgegenständlichen Publikationen sei als Handeln im geschäftlichen Verkehr anzusehen. Nur scheinbar sei das Anliegen des Beschwerdeführers die Teilnahme am politischen Meinungskampf. Er wolle damit erreichen, dass der Verkehr seinen Beiträgen unkritischer gegen-überstehe als erkennbar rein kommerzieller Werbung. Tatsächlich handle er jedoch nicht ausschließlich als Wissenschaftler und Schriftsteller, sondern vorwiegend als Hersteller und/oder Vertreiber von Vitaminpräparaten.
Die Veröffentlichungen seien als unsachlich herabsetzend und damit wettbewerbswidrig anzusehen, da sie die Hersteller von Arzneimitteln als Mitbewerber des Beschwerdeführers in zum Teil schwerwiegender Weise herabwürdigten. Die Veröffentlichungen enthielten ferner die als feststehende Tatsache dargestellte, vom Beschwerdeführer jedoch nicht bewiesene Aussage, dass die Produkte der konkurrierenden Arzneimittelhersteller nutzlos seien.
Eine Güterabwägung ergebe, dass auch der Schutz des Art. 5 GG der Verurteilung des Beschwerdeführers nicht entgegen-stehe. Zwar hätten Informationen zur Heilung von Krankheiten große gesellschaftspolitische Bedeutung. Dies erlaube aber nicht die pauschale Herabsetzung der Konkurrenz. Die Äußerungen des Beschwerdeführers gingen weit über das Angemessene hinaus, da die pauschalen Behauptungen des Beschwerdeführers nicht eindeutig belegt werden könnten. Ob die Äußerungen dem Beschwerdeführer auch außerhalb des geschäftlichen Verkehrs untersagt werden könnten, bedürfe keiner Klärung.
II.
Gegen die Urteile des Land- und des Kammergerichts und gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde. Er rügt eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Seine Äußerungen seien als Meinungsäußerungen anzusehen; selbst soweit sie auch tatsächliche Ausführungen enthielten, dienten diese der Meinungsbildung und unterfielen daher ebenfalls dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Die Schranke des § 1 UWG a.F. sei im vorliegenden Fall schon deshalb nicht einschlägig, weil kein Wettbewerbsverhältnis vorliege. Ein solches könne nur angenommen werden, wenn eine Äußerung ganz überwiegend kommerzielle Zwecke verfolge. Das sei jedoch nicht seine Absicht gewesen. Mit dem Plakat und den Broschüren habe er darauf aufmerksam machen wollen, dass aufgrund der Politik der Arzneimittelhersteller die Verhältnisse auf dem Gesundheitsmarkt nicht offen seien für neue Erkenntnisse. Diese Frage liege im öffentlichen Interesse. Die Gerichte hätten seine Äußerungen verkürzt und losgelöst vom Kontext einseitig zu seinen Lasten gedeutet.
Soweit man gleichwohl von einem Wettbewerbsverhältnis ausgehen wolle, sei jedenfalls § 1 UWG a.F. nicht richtig angewandt worden, denn auch bei der Frage der etwaigen Sittenwidrigkeit seines Verhaltens hätte die Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Abs. 1 GG beachtet werden müssen. Insoweit fehle es an Feststellungen zu einer konkreten Gefährdung des Wettbewerbs durch seine Äußerungen. Die erforderliche Abwägung mit den wechselseitig betroffenen Interessen fehle vollständig.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde hat der Kläger des Ausgangsverfahrens Stellung genommen. Er hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b, § 93c BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt. Die Voraussetzungen einer stattgebenden Kammerentscheidung nach § 93c BVerfGG liegen vor.
1. Das Urteil des Landgerichts Berlin und das Urteil des Kammergerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
a) Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist betroffen. Bei den Publikationen des Beschwerdeführers handelt es sich um Meinungsäußerungen.
Meinungsäußerungen sind durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnete Äußerungen (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>). Dazu gehören auch Meinungsäußerungen in einem kommerziellen Kontext sowie Wirtschaftswerbung, wenn sie einen wertenden, auf Meinungsbildung gerichteten Inhalt hat (vgl. BVerfGE 30, 336 <352>; 71, 162 <175>; 102, 347 <359>). Dies gilt auch für den Bereich der gesundheitsbezogenen Werbung (vgl. BVerfGE 71, 162 <175>; 85, 248 <263>).
Die drei verfahrensgegenständlichen Publikationen enthalten einen Protest gegen die geplante Sitzung der Codex Alimentarius Kommission und werben für die Gegenposition des Beschwerdeführers. Sie sind Teil einer Auseinandersetzung zwischen einem medizinischen Außenseiter und den Vertretern pharmazeutischer Unternehmen. In diesem Zusammenhang problematisieren sie die vom Beschwerdeführer behauptete Beeinflussung politischer Entscheidungen durch Arzneimittelhersteller und bewerten deren behauptetes Verhalten in teil-weise scharfer Form als Missstand. Ferner wird auf Forschungen des Beschwerdeführers hingewiesen, die als erfolgreich bewertet werden. Derartige Aussagen sind Meinungsäußerungen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Soweit die Broschüren Ausführungen tatsächlicher Art enthalten, nehmen auch diese grundsätzlich am Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG teil, da sie die Meinungsäußerungen des Beschwerdeführers stützen sollen. Ob einzelne Äußerungen des Beschwerdeführers als bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG herausfallen könnten, bedarf für die hier vorliegende Verfassungsbeschwerde keiner Klärung. Das Plakat und die Broschüren waren nicht hinsichtlich einzelner Äußerungen, sondern in ihrer Gesamtheit Gegenstand des fachgerichtlichen Verfahrens und sind insgesamt untersagt worden, ohne dass die Gerichte auf einzelne Äußerungen eingegangen wären. Die betroffenen Publikationen sind daher auch für die vorliegende Verfassungsbeschwerde als ganze zu beurteilen. Sie fallen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
b) In der Untersagung der weiteren Verbreitung der Publikationen liegt ein Eingriff in das Grundrecht.
c) Dieser Eingriff ist durch die von den Gerichten herangezogene Vorschrift des § 1 sowie des § 2 Abs. 2 Nr. 5 UWG a.F. als allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigt.
aa) Nach § 1 UWG a.F. kann auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs gegen die guten Sitten verstößt. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 UWG a.F. wird in vergleichender Werbung ein Verstoß gegen die guten Sitten gesehen, wenn die Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabgesetzt oder verunglimpft werden. Diese Normen sind allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 62, 230 <245>; 85, 248 <263>; 102, 347 <360>). Sie dienen dem Schutz der Konkurrenten, der Verbraucher und sonstigen Marktbeteiligten sowie der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 102, 347 <360>). Die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung soll nicht dazu führen dürfen, dass Einzelne sich durch unzulässige Praktiken Vorteile im Wettbewerb verschaffen. Diese Ziele stehen mit der Wertordnung des Grundgesetzes in Einklang (vgl. BVerfGE 32, 311 <316 f.>; 102, 347 <360 ff.>).
Berührt eine zivilrechtliche Entscheidung die Meinungsfreiheit, so fordert Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, dass die Gerichte der Bedeutung dieses Grundrechts bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 7, 198 <206 ff.>; 102, 347 <362>; stRspr). Auslegung und Anwendung der von den Fachgerichten angewandten Vorschriften sind vom Bundesverfassungsgericht allerdings nur eingeschränkt zu überprüfen. Der insoweit anzuwendende verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab hängt von der Intensität der in Frage stehenden Grundrechtsbeeinträchtigung ab: Je nachhaltiger eine Maßnahme im Ergebnis in die Grundrechtssphäre des Betroffenen eingreift, desto strengere Anforderungen sind an die Begründung dieses Eingriffs zu stellen und desto weiter reichen die Nachprüfungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 42, 143 <149>; 43, 130 <136 f.>).
bb) Im vorliegenden Fall wiegt der Eingriff in das Grundrecht schwer, da die gerichtlichen Entscheidungen dem Beschwerdeführer den öffentlichen Protest gegen eine von ihm inhaltlich abgelehnte Veranstaltung und in diesem Zusammenhang die von ihm gewählte Art der Teilhabe an einer ihm wichtigen Auseinandersetzung über Fragen des Gesundheits-wesens, also zu einem gesellschaftlich und politisch relevanten Gegenstandsbereich, untersagen. Zu diesem Ergebnis sind die Gerichte gekommen, weil sie den konkreten Protestanlass der Aktion als nachrangig eingeordnet haben. Sie haben die Äußerung stattdessen mit Rücksicht darauf, dass - so das Kammergericht - sie auch eine Wettbewerbshandlung darstellt, beziehungsweise - so das Landgericht - dass ein wettbewerblicher Zweck nicht völlig hinter anderen Beweggründen zurücktritt, allein am Maßstab des Wettbewerbsrechts gemessen und als sittenwidrig eingeordnet. Dadurch haben die Gerichte das Gewicht der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers nicht ausreichend berücksichtigt.
(1) Der Ausgangspunkt der Gerichte, dass ein Handeln in Wettbewerbsabsicht auch dann vorliegen kann, wenn eine Äußerung nicht ausschließlich wirtschaftlichen Zwecken dient, sondern einen darüber hinausgehenden meinungsbildenden Inhalt hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings darf die Teilhabe an Auseinandersetzungen über gesellschaftspolitische, hier gesundheitspolitische, Fragen einem Grundrechtsträger nicht deshalb erschwert werden, weil er sich in dem betreffenden Bereich selbst beruflich und wettbewerblich betätigt und dies nicht verschweigt.
Bei einer Protestaktion als Teil einer öffentlichen Aus-einandersetzung über eine gesundheitspolitische Angelegenheit liegt es keineswegs nahe, dass es sich um eine Handlung im geschäftlichen Verkehr handelt, bei der der wettbewerbliche Zweck ungeachtet der beabsichtigten Einwirkung auf Dritte im Rahmen einer öffentlichen Kontroverse im Vordergrund steht.
An der Richtigkeit dieser Einordnung der Äußerungen bestehen schon angesichts des Inhalts der verfahrensgegenständ-lichen Publikationen Bedenken. In ihnen wird nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass und welche Präparate der Beschwerdeführer oder dessen Firma selbst vertreibt. Dies kann lediglich durch Inanspruchnahme weiterer Informationsmöglichkeiten, insbesondere durch Internetabruf oder Anforderung weiterer Publikationen, erschlossen werden.
Bei der Bewertung des Handelns des Beschwerdeführers haben die Gerichte zudem dem situativen Kontext keine maßgebende Bedeutung beigemessen, in dem er seine Publikationen verbreitet hat, und dadurch dem Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht hinreichend Rechnung getragen.
Anlass der beanstandeten Publikationen war eine Sitzung der Codex Alimentarius Kommission, an der die von ihm kritisierten Arzneimittelhersteller wesentlichen Anteil haben. Es lag also ein von außen gesetzter Grund vor, sich mit den vom Beschwerdeführer angesprochenen allgemeinen Fragen auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung über ein allgemeines gesundheitspolitisches Anliegen bildet einen wesentlichen Gegenstand der hier verfahrensgegenständlichen Publikationen. Dann aber liegt es fern, die Aktion insbesondere deshalb, weil es möglich ist, über die angeführten Internetadressen Informationen über die Produkte des Beschwerdeführers zu erhalten, als Handlung im geschäftlichen Verkehr einzuordnen und zu folgern, sie sei zu Zwecken des Wettbewerbs geschehen.
(2) Im Zusammenhang einer Auseinandersetzung um eine Frage von allgemeiner gesellschaftspolitischer Bedeutung ist das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ferner bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Sittenwidrigkeit (§ 1 UWG a.F.) zur Geltung zu bringen. Dies ist nicht in hinreichender Weise geschehen.
(a) Die Vorschriften des § 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Nr. 5 UWG a.F. schützen nicht die guten Sitten als solche, sondern nur als Grundlage der Funktionsfähigkeit des Leistungswettbewerbs. Missbilligt werden durch die Norm im Interesse des Schutzes der Wettbewerber und der sonstigen Marktbeteiligten, allen voran der Verbraucher, Verhaltensweisen, welche die Funktionsfähigkeit des an der Leistung orientierten Wettbewerbs im wettbewerblichen Handeln einzelner Unternehmen oder als Institution stören, so zum Beispiel unlautere Einflussnahmen auf die freie Entschließung der Kunden (vgl. BGHZ 51, 236 <242 f.>; 81, 291 <295>; 82, 375 <395 ff.>; 140, 134 <138 f.>; 144, 255 <265>). Diese Schutzgutbestimmung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit im Interesse dieses Schutzguts setzt daher die eigenständige Feststellung einer Gefährdung des Leistungswettbewerbs im konkreten Fall voraus (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. August 2001 - 1 BvR 1188/92 -, NJW 2001, S. 3403 <3404 f.>; vom 6. Februar 2002 - 1 BvR 952/90 und 1 BvR 2151/96 -, NJW 2002, S. 1187 <1188 f.>; vom 7. November 2002 - 1 BvR 580/02 -, NJW 2003, S. 277 <278>). An einer solchen Feststellung fehlt es vorliegend.
(b) Auch die Abwägung, ob der Eingriff in die Meinungsfreiheit gemessen am Gewicht der betroffenen Schutzgüter verhältnismäßig ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
(aa) Das Erfordernis einer solchen Abwägung entfiele allerdings in Fällen, in denen die in § 2 Abs. 2 Nr. 5 UWG a.F. aufgeführte Herabsetzung oder Verunglimpfung des Mitbewerbers in einer Weise erfolgt, die einer Schmähkritik im Bereich der Persönlichkeitsverletzungen vergleichbar ist (zur Schmähkritik vgl. BVerfGE 82, 43 <52>; 82, 272 <283 f.>; 93, 266 <294, 303>). Eine solche Vergleichbarkeit ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
Eine Schmähkritik liegt nur dann vor, wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; BVerfGK 3, 337 <345>). Der Begriff ist im Interesse der Meinungsfreiheit eng zu fassen (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>). Die bloße Überspitztheit oder teilweise Unsachlichkeit einer Äußerung führt nicht dazu, dass sie ohne weitere Abwägung der wechselseitig betroffenen Belange als unzulässig angesehen werden könnte. Privatpersonen unterliegen anders als der Staat (vgl. BVerfGE 105, 252 <272 f.>) nicht generell einem Sachlichkeitsgebot. Eine Äußerung ist nicht allein deshalb unzulässig, weil sie weniger scharf oder sachlicher hätte formuliert werden können. Das gilt auch dann, wenn nicht individuelle Personen, sondern Unternehmen angegriffen werden.
Die verfahrensgegenständlichen Publikationen enthalten weitgehend Äußerungen, mit denen die angesprochenen Hersteller von Arzneimitteln pauschal und in scharfen Worten kritisiert werden. Die Äußerungen haben gleichwohl einen sach-lichen Bezug zu dem Anliegen, die Sichtweise der Schulmedizin über die Ursachen von Krankheiten und das darauf aufbauende Verhalten der Pharmaunternehmen anzugreifen und die öffentliche Meinung im Hinblick auf den gesundheitlichen Wert von Vitaminen zu beeinflussen. Ob einzelne in den Broschüren enthaltene Aussagen bei gesonderter Betrachtung die Grenzen des Zulässigen überschreiten, bedarf hier keiner Klärung, da die Broschüren insgesamt, ohne Differenzierung nach einzelnen Äußerungen, Gegenstand der fachgerichtlichen Beurteilung gewesen sind.
In einer auf die Sache bezogenen Auseinandersetzung wurzelt auch das Plakat, auch wenn es in seinem Text, anders als die beiden Broschüren, auf eine in Tatsachen fundierte Anknüpfung und Begründung der herabsetzenden Äußerungen verzichtet. Bei der rechtlichen Prüfung ist zu berücksichtigen, dass eine eingehende Auseinandersetzung und Begründung der Äußerungen in der Publikationsform des Plakats allenfalls sehr eingeschränkt möglich ist. Das vorliegend zu beurteilende Plakat fordert in großen Buchstaben "Kein Vitaminverbot!" und "Stoppt das Pharmakartell!". Der Einordnung, es sei ausschließlich eine gegen die Pharmakonzerne und ihre Vertreter gerichtete Herabwürdigung, steht bereits entgegen, dass auf dem Plakat - durch Großdruck hervorgehoben - ausdrücklich zusätzliche Informationen angeboten werden und ein "Coupon" für die kostenlose Bestellung weiterer Publikationen abgedruckt ist. Damit wird deutlich, dass der Beschwerdeführer die Verbreitung seiner Kritik an den im Gesundheitswesen herrschenden Verhältnissen sowie der von ihm angenommenen Erkenntnisse erstrebte, also neben der Herabsetzung der Pharmaunternehmen durchaus sachliche Anliegen verfolgte.
(bb) Scheidet eine Vergleichbarkeit mit Schmähkritik aus, bedarf es einer abwägenden Zuordnung der betroffenen Rechtsgüter im konkreten Fall.
(() Auf Seiten des Beschwerdeführers ist zu berücksichtigen, dass er sich zu Fragen des Gesundheitswesens und damit zu einem im besonderen öffentlichen Interesse liegenden Gegenstand äußert und für eine andere als die unter Schulmedizinern übliche Ansicht wirbt. Damit beteiligt er sich an einer öffentlichen Auseinandersetzung unter Einbringung der von ihm vertretenen, gegen die Mehrheit gerichteten Minderheitenposition. Art. 5 Abs. 1 GG schützt kritische Meinungsäußerungen zu gesellschaftlichen oder politischen Fragen in besonderem Maße (vgl. BVerfGE 102, 347 <363>; 107, 275 <281>), darunter auch solche Meinungsäußerungen, die von herrschenden Vorstellungen abweichen (vgl. BVerfGE 33, 1 <15>; 71, 162 <180>). Dies hat das Bundesverfassungsgericht gerade auch im Falle eines Arztes herausgestellt, der eine von der Schulmedizin nicht anerkannte Behandlungsmethode praktiziert (vgl. BVerfGE 71, 162 <180>). Dabei hat es ausgeführt, dass der Kampf um die Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode, deren Wirkung mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht oder noch nicht beweisbar ist, notwendig mit einem Kampf um die eigene Anerkennung verbunden sein kann (vgl. BVerfGE 71, 162 <182>).
Auf Seiten der Arzneimittelhersteller als Mitbewerber des Beschwerdeführers ist andererseits zu berücksichtigen, dass die Publikationen herabsetzende Wertungen enthalten, die nach Auffassung der Fachgerichte geeignet sind, das Ansehen des Wirtschaftszweiges zu beeinträchtigen. Auf Seiten der Verbraucher ist einerseits der Schutz vor irreführenden Informationen, aber andererseits auch ihr Interesse an Informationen über eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Positionen oder Schulen im Gesundheitsbereich von Belang.
(() Soweit die Gerichte die abwägungserheblichen Belange überhaupt in ihre Bewertung einbezogen haben, haben sie der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers jedenfalls nicht das ihr gegenüber den übrigen Belangen zukommende Gewicht beigemessen.
Bei der Gewichtung der Meinungsfreiheit gegenüber anderen Grundrechtspositionen ist zu berücksichtigen, ob vom Grundrecht der Meinungsfreiheit im Rahmen einer privaten Aus-einandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird (vgl. BVerfGE 61, 1 <11>; 93, 266 <294>). Auch an wirtschaftlichen Fragen kann ein Informationsinteresse der Allgemeinheit, insbesondere der vom Verhalten eines kritisierten Unternehmens betroffenen Kreise, bestehen (BVerfGK 3, 337 <345>). Je mehr das Interesse des sich Äußernden auf politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit gerichtet ist, desto eher ist die Äußerung in Abwägung mit anderen Belangen gerechtfertigt.
Die Entscheidung des Kammergerichts ist maßgeblich auf die Überlegung gestützt worden, die pauschale Herabsetzung der Konkurrenz sei zur Verfolgung des Anliegens des Beschwerdeführers nicht erforderlich gewesen. In diesem Zusammenhang geht das Kammergericht unter Ausblendung des situativen Kontextes und damit unvollständiger Würdigung der abwägungs-erheblichen Umstände davon aus, die Maßnahme des Beschwerdeführers habe nicht primär der Unterrichtung der Verbraucher, sondern einer allgemeinen gegenseitigen Herabsetzung gedient. In den gerichtlichen Entscheidungen wird nicht deutlich, dass hier eine Abwägung zwischen dem vom Beschwerdeführer verfolgten öffentlichen Informationsinteresse einerseits und der Art der Schädigung der Konkurrenten andererseits erfolgt ist, die zu einem Überwiegen der Interessen der Konkurrenten in der Weise führt, dass das Urteil der Sittenwidrigkeit gerechtfertigt ist. Auf diese Weise wird das über wirtschaftliche Belange hinausgehende, dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in besonderer Weise unterliegende Anliegen einer Information der Öffentlichkeit und der Aufforderung zu Protesten unzureichend gewichtet. Damit sind die grundrechtlich geschützten Positionen des Beschwerdeführers im Zuge der Abwägung verkannt worden.
2. Die angefochtenen Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Kammergerichts beruhen auf dieser Grundrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei zutreffender Gewichtung der geschützten Belange und vollständiger Berücksichtigung der abwägungsrelevanten Gesichtspunkte anders entschieden hätten.
3. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs war angesichts des Fortfalls des Gegenstandes der Nichtzulassungsbeschwerde für gegenstandslos zu erklären.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Ende der Entscheidung
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