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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 18.10.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 2057/02
Rechtsgebiete: Tierschutz-NutztierhaltungsVO, BVerfGG, GG


Vorschriften:

Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 13 Abs. 1
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 13 Abs. 2
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 13 Abs. 3
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 13 Abs. 4
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 13 Abs. 5
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 13 Abs. 6
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 13 Abs. 7
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 13 Abs. 8
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 13 Abs. 9
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 17 Abs. 3
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 17 Abs. 4
Tierschutz-NutztierhaltungsVO § 17 Abs. 5
BVerfGG § 90 Abs. 2 Satz 2
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 b
GG Art. 100 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2057/02 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) § 13 Abs. 1 in Verbindung mit § 13 Abs. 2 bis 9 Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 25. Oktober 2001 (BGBl I S. 2758), eingefügt durch die Erste Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 28. Februar 2002 (BGBl I S. 1026) und das darin ausgesprochene generelle Käfighaltungsverbot,

b) § 17 Abs. 4 Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 25. Oktober 2001 (BGBl I S. 2758), eingefügt durch die Erste Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 28. Februar 2002 (BGBl I S. 1026) und die darin vorgesehene Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2006,

c) § 17 Abs. 5 Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 25. Oktober 2001 (BGBl I S. 2758), eingefügt durch die Erste Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 28. Februar 2002 (BGBl I S. 1026) und die darin vorgesehene Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2002

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Haas und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 18. Oktober 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 ff.>). Sie genügt nicht dem Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine Entscheidung vor Erschöpfung des Rechtswegs liegen nicht vor (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).

1. Der Grundsatz der Subsidiarität erfordert, dass ein Beschwerdeführer auch dann, wenn kein fachgerichtlicher Rechtsweg unmittelbar gegen eine Norm selbst eröffnet ist, zunächst versuchen muss, Rechtsschutz durch Anrufung der Fachgerichte zu erlangen (vgl. BVerfGE 68, 319 <325 f.>; 71, 305 <335 ff.>; 74, 69 <74>; 97, 157 <165>). Dabei hat ein Beschwerdeführer alle diejenigen Rechtsbehelfe einzulegen, die nicht offensichtlich unzulässig sind (vgl. BVerfGE 68, 376 <379 ff.>).

Als Rechtsbehelf, der die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer bundesrechtlichen Rechtsverordnung ermöglicht, kommt insbesondere eine Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten in Betracht, mit welcher die Feststellung begehrt wird, dass ein zwischen Kläger und Hoheitsträger bestehendes Rechtsverhältnis von der für nichtig gehaltenen Rechtsverordnung nicht bestimmt wird. Das Bundesverwaltungsgericht hält derartige Feststellungsklagen ausdrücklich für zulässig (vgl. BVerwGE 111, 276 <278>).

Auch eine Feststellungsklage, die ein zukünftiges Rechtsverhältnis betrifft, ist nicht offensichtlich unzulässig. Zukünftige Rechtsverhältnisse werden als feststellungsfähig angesehen, wenn sie bereits hinreichend konkretisiert, also die maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen schon gelegt sind (vgl. Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand September 2003, § 43 Rn. 21). Die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen in einer Konstellation wie der vorliegenden gegeben sind, in der bestehende Betriebe neuen rechtlichen Anforderungen unterworfen werden, die nach einer Übergangsfrist in Kraft treten, obliegt den Verwaltungsgerichten. Bevor diese Frage in der Rechtsprechung geklärt ist, kann eine entsprechende Feststellungsklage jedenfalls nicht als offensichtlich unzulässig angesehen werden.

2. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor Erschöpfung des Rechtswegs gem. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG kommt nicht in Betracht. Ob der Grundsatz der Subsidiarität ausnahmsweise durchbrochen wird, ergibt sich aufgrund einer Abwägung, in der das Bundesverfassungsgericht im Einzelfall die für und wider eine Entscheidung vor Erschöpfung des Rechtswegs sprechenden Umstände gegeneinander abwägt (vgl. BVerfGE 8, 222 <226 f.>; 76, 248 <252>; 86, 15 <26>; stRspr). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist, ob für die angegriffene Rechtsnorm ein verfassungsgerichtliches Verwerfungsmonopol besteht, ob eine weitere fachgerichtliche Klärung der Sach- und Rechtsfragen erreichbar ist, ob Rechtsschutz auch gegenüber den unmittelbaren Normwirkungen zeitgerecht erlangt werden kann und ob die angegriffene Regelung zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 43, 291 <386>; 60, 360 <372>; 71, 305 <336>; 74, 69 <74 ff.>; 79, 1 <19 f.>).

Demnach kann hier auf eine Befassung der Fachgerichte vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht verzichtet werden. Zwar sind von der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Normen eine Vielzahl von Betrieben betroffen. Angesichts des langen Zeitraums zwischen dem In-Kraft-Treten der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung am 13. März 2002 und dem Ablauf der Übergangsfristen der § 17 Abs. 3 und Abs. 4 Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung mit dem 31. Dezember 2011 und dem 31. Dezember 2006 besteht für die Betroffenen aber ohne weiteres die Möglichkeit, rechtzeitig verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Da die Verwaltungsgerichte die Verfassungsmäßigkeit von Rechtsverordnungen selbst überprüfen können, verlängert sich die Verfahrensdauer auch nicht um ein Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG. Zudem können in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren die tatsächlichen Fragen geklärt werden, welche das Vorbringen der Beschwerdeführer aufwirft, etwa hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Belastung durch die Neuregelung oder hinsichtlich der Möglichkeit, bestehende Anlagen weiterhin zu nutzen.

Der bisherige Verlauf der von den Beschwerdeführern betriebenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar ist bislang noch keine verwaltungsgerichtliche Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ergangen. Dies beruht jedoch auch darauf, dass der Beschwerdeführer zu 1 eine seiner Feststellungsklagen bereits in der ersten Instanz zurückgenommen hat und dass die Klagen erst ein drei viertel Jahr nach InKraft-Treten der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und auch erst nach Einleitung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens erhoben worden sind. In den durch die Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführer geführten Parallelverfahren dürfte von Bedeutung gewesen sein, dass die dortigen Kläger durch die Stellung von Ruhensanträgen ihr fehlendes Interesse an einer zügigen Entscheidung dokumentiert haben. Daher entbehrt der Vorwurf der Beschwerdeführer, die Verwaltungsgerichte verweigerten effektiven Rechtsschutz, jeder Grundlage. Vielmehr genügt die Prozessführung der Bevollmächtigten der Beschwerdeführer nicht den sich aus dem Grundsatz der Subsidiarität ergebenden Anforderungen. Anstatt durch ein zügiges Betreiben der verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor einer Befassung des Bundesverfassungsgerichts den Rechtsweg auszuschöpfen, haben sie versucht, vorab eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen, indem sie dieses über die fachgerichtlichen Verfahren zunächst nicht informiert und bei den Verwaltungsgerichten Ruhensanträge gestellt haben.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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