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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 16.01.2008
Aktenzeichen: 1 BvR 2392/07
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2392/07 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 20. August 2007 - 3 UR II 763/07 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 14. August 2007 - 3 UR II 763/07 -,

c) den Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 2. August 2007 - 3 UR II 763/07 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, und die Richter Hoffmann-Riem, Eichberger gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 16. Januar 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Beratungshilfe und hier die Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 4 des Gesetzes über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz - BerHG).

Das Amtsgericht hat die angegriffenen Entscheidungen sämtlich damit begründet, dass die Beschwerdeführerin Beratungshilfe nicht vor der anwaltlichen Beratung beantragt habe. Es hat für die Bewilligung der nach § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG beantragten Beratungshilfe gefordert, dass das für einen schriftlichen Beratungshilfeantrag vorgesehene Formular vor Beginn der anwaltlichen Beratung, jedenfalls aber in engem zeitlichen Zusammenhang mit dieser, ausgefüllt und unterzeichnet werde.

Die Beschwerdeführerin rügt insofern die Verletzung ihres Rechts aus Art. 3 Abs. 1 GG insbesondere in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu, noch ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Grundrechts angezeigt. Ein Erfolg der Verfassungsbeschwerde ist nicht erkennbar. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die vom Amtsgericht vertretene Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür verstößt.

Willkürlich im Sinne des in Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür ist ein Richterspruch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Von einer willkürlichen Missdeutung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>).

Der tragenden Erwägung des Amtsgerichts zu dem für den unmittelbaren Zugang zu anwaltlicher Beratung und für die nachträgliche Beantragung von Beratungshilfe maßgebenden § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG liegt keine krasse Missdeutung der Norm zugrunde. Das Amtsgericht hat sich mit seiner Rechtsauffassung vielmehr einer in der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht angeschlossen, die zwar in einfach-rechtlicher Hinsicht nicht überzeugend sein mag, für die es aber auch nachvollziehbare Gründe gibt.

So leiten Teile der Rechtsprechung und Literatur aus dem Wortlaut des "Sich-an-den-Rechtsanwalt-Wendens wegen Beratungshilfe" in § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG die Forderung ab, dass bereits bei Beginn der anwaltlichen Tätigkeit klargestellt werden müsse, ob diese aufgrund eines normalen Anwaltsvertrages zu den Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz erfolgen solle oder auf der Grundlage des Beratungshilfegesetzes (vgl. AG St. Wendel, Beschluss vom 23. August 2001 - II 484/00 -, Rpfleger 2001, S. 602 <602 f.>; Eckert, in: FamRZ 2001, S. 536 <536 f.>; Hellstab, in: Rpfleger 2004, S. 337 <344>; dagegen LG Oldenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2000 - 8 T 668/00 -, FamRZ 2001, S. 558 <559>). Diese Auffassung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil diese Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG mit dem Zweck der Beratungshilfe begründet werden kann, wonach der Gesetzgeber mit der Einführung der Beratungshilfe lediglich hat sicherstellen wollen, dass Bürger mit geringem Einkommen und Vermögen nicht durch ihre finanzielle Lage daran gehindert werden, sich außerhalb gerichtlicher Verfahren, für die das Institut der Prozesskostenhilfe besteht, sachkundigen Rechtsrat zu verschaffen (vgl. BTDrucks 8/3311 S. 1; BTDrucks 8/3695 S. 1). Hingegen sollte nicht den beratend tätigen Rechtsanwälten das mit der Übernahme eines Mandats eingegangene Risiko der Zahlungsunfähigkeit ihres Mandanten abgenommen werden. Letzteres wäre aber der Fall, wenn man die nachträgliche Umwandlung von "Normalmandaten" in "Beratungshilfemandate" gestattete. Denn Beratungshilfebedarf besteht nach Gewährung der Beratungshilfe durch den aufgesuchten Rechtsanwalt nicht mehr.

Das Amtsgericht ist hierüber noch hinausgegangen, indem es die "Antragstellung", das heißt nach seinem Verständnis das Ausfüllen und die Unterzeichnung des auf § 11 BerHG in Verbindung mit der Verordnung zur Einführung von Vordrucken im Bereich der Beratungshilfe vom 17. Dezember 1994 (Beratungshilfevordruckverordnung - BerHVV -, vgl. BGBl I, S. 3839) beruhenden Antragsformulars vor der anwaltlichen Beratung, jedenfalls aber in engem sachlich-zeitlichen Zusammenhang damit verlangt hat. Auch diese in der Rechtsprechung und Literatur verbreitete Rechtsauffassung (vgl. LG Hannover, Beschluss vom 9. Juli 1999 - 2 T 1223/99 -, FamRZ 2000, S. 1230 <1231>; AG Bad Kissingen, Beschluss vom 27. März 2000 - 2 UR II 19/00 -, FamRZ 2001, S. 558; Kreppel, in: Rpfleger 1986, S. 86 <87 f.>) ist vertretbar und gibt ungeachtet insofern bestehender Zweifel in Rechtsprechung und Literatur (vgl. LG Oldenburg, Beschluss vom 13. Oktober 2000 - 8 T 668/00 -, FamRZ 2001, S. 558 <559>; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, in: dies., Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Auflage 2005, Rn. 984; Schoreit, in: ders./Dehn, Beratungshilfe/Prozess-kostenhilfe, 8. Auflage 2004, § 4 Rn. 12) keinen Anlass für die Annahme sachfremder Motive des Amtsgerichts. Denn sie lässt sich auf § 7 BerHG und die dieser Bestimmung zugrundeliegenden Vorstellungen des Gesetzgebers stützen. § 7 BerHG regelt nämlich, was der Rechtsuchende, wendet er sich unmittelbar an einen Rechtsanwalt, dem aufgesuchten Rechtsanwalt zu dessen Entscheidung über die Gewährung von Beratungshilfe mitzuteilen hat. Dadurch soll dem Rechtsanwalt, der das Risiko einer späteren Ablehnung der Beratungshilfe durch das Amtsgericht tragen soll, die Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe ermöglicht werden (vgl. BTDrucks 8/3695 S. 9). Die in § 7 BerHG vorgesehenen Erklärungen sollen also der anwaltlichen Beratungshilfe vorangehen. Für schriftliche Anträge ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BerHVV das auch von der Beschwerdeführerin gebrauchte Antragsformular zwingend vorgesehen. Es enthält die nach § 7 BerHG erforderlichen Angaben, darunter auch die Versicherung, dass in derselben Angelegenheit Beratungshilfe bisher weder gewährt noch durch das Amtsgericht versagt worden ist.

Im Hinblick auf die bei dieser Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG sowie des § 7 BerHG gebotene Abfolge des Beratungshilfegeschehens ist es dementsprechend vertretbar, auch die Ausfüllung und Unterzeichnung des Formulars vor der anwaltlichen Beratung zu verlangen, oder, wie es das Amtsgericht annimmt, einen engen sachlich-zeitlichen Zusammenhang genügen zu lassen. Ebenso wenig vermag die - allerdings naheliegende - Möglichkeit der Rückdatierung eines anfangs nicht ausgefüllten und unterzeichneten Antragsformulars sowie die damit verbundene zweifelhafte Wirksamkeit zeitlicher Anforderungen an die Antragsunterzeichnung hinsichtlich der Verhinderung eines befürchteten Rechtsmissbrauchs die Verfassungswidrigkeit der vom Amtsgericht befürworteten Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG zu begründen.

Mit seiner Auffassung begründet das Amtsgericht auch nicht eine im Gesetz nicht vorgesehene Frist für die Einreichung des Antrags auf Bewilligung von Beratungshilfe bei Gericht (zur Verfassungswidrigkeit einer solchen Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 4 BerHG vgl. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 1984/06 u.a. -). Das Amtsgericht hat hier vielmehr eine zeitliche Abfolge bei der durch das vorgesehene Formular dokumentierten Absicht der Inanspruchnahme von Beratungshilfe, deren tatsächlicher Inanspruchnahme und der nachträglichen Antragstellung bei Gericht gefordert, die auf §§ 4, 7 BerHG rückführbar und jedenfalls nicht willkürlich ist.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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