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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 21.11.2008
Aktenzeichen: 1 BvR 2399/06 (1)
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2399/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. August 2006 - 24 CS 06.1621 -,

b) den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. Mai 2006 - W 5 S 06.418 -,

c) die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch Bescheid der Stadt Aschaffenburg vom 10. April 2006 - 3220 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Bryde, Schluckebier gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 21. November 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die unter Berufung auf die so genannte Übergangszeitregelung des Sportwetten-Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 -, BVerfGE 115, 276 <319>) angeordnete sofortige Vollziehung einer ordnungsrechtlichen Verfügung, mit der die Vermittlung von Sportwetten untersagt wird.

I.

1. Der Beschwerdeführer betrieb in Aschaffenburg ein Wettbüro. Er vermittelte dort Sportwetten, die von der Sportwetten GmbH in Gera unter Berufung auf eine ihr im Jahre 1990 aufgrund des Gewerbegesetzes der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. März 1990 (GBl I S. 138) erteilten Erlaubnis zum "Abschluss von Sportwetten" angeboten wurden.

Mit Bescheid vom 7. Dezember 2004 untersagte die Stadt dem Beschwerdeführer die Vermittlung von Sportwetten ohne behördliche Erlaubnis. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg. Mit Bescheid vom 10. April 2006 ordnete die Stadt unter Berufung auf die Übergangszeitregelung im Sportwetten-Urteil (BVerfGE 115, 276 <319>) die sofortige Vollziehung der Untersagung an.

Den dagegen gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Widerspruchsbescheid erhobenen Klage lehnte das Verwaltungsgericht ab. Der Verwaltungsgerichtshof wies die Beschwerde des Beschwerdeführers zurück.

Der Beschwerdeführer hat nach eigenen Angaben die ihm untersagte Wettvermittlungstätigkeit angesichts der im Zusammenhang mit der Untersagungsverfügung angedrohten Zwangsgeldfestsetzung, an der die Stadt festgehalten habe, Ende August 2006 eingestellt.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 sowie Art. 103 Abs. 2 GG.

3. Den im Rahmen des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 2. Kammer des Ersten Senats mit Beschluss vom 21. September 2006 abgelehnt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Zur Annahme führende Gründe (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht mehr vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Sie wirft keine verfassungsrechtlichen Fragen auf, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lassen oder die noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 f.>).

Dies gilt neben den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die gemäß Art. 19 Abs. 4 GG an einen effektiven - einstweiligen - verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu stellen sind, auch hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit von Beschränkungen der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten mit Art. 12 Abs. 1 GG sowie insbesondere im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das übergangsweise Aufrechterhalten eines - nach seiner rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung defizitären - staatlichen Wettmonopols.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Sportwetten-Urteil des Ersten Senats vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - (BVerfGE 115, 276) anhand der damals in Bayern geltenden Rechtslage entschieden, dass das gewerbliche Veranstalten von Wetten und das Vermitteln von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, trotz der Unvereinbarkeit der gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung des Wettmonopols mit Art. 12 Abs. 1 GG während der Übergangszeit bis zur Neuregelung des Bereichs der Sportwetten als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden dürfen, wenn der Freistaat Bayern in dem von ihm zu verantwortenden Wettangebot unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung seines Monopols andererseits herstellt und er im Hinblick auf ein beabsichtigtes Festhalten am Wettmonopol schon während der Übergangszeit damit beginnt, die zur Unzumutbarkeit des Ausschlusses der privaten Anbieter führenden Umstände in wesentlichen Punkten abzustellen (vgl. BVerfGE 115, 276 <319>).

Diesen Bedingungen für eine verfassungsrechtlich zu rechtfertigende Auslegung und Anwendung von § 284 StGB als ein die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten umfassendes Repressivverbot und dessen ordnungsrechtliche Durchsetzung hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch Beschluss vom 22. November 2007 - 1 BvR 2218/06 - (NVwZ 2008, S. 301), auf dessen ausführliche Gründe insoweit Bezug genommen wird, ergänzend präzisiert: Nur wenn und soweit das geforderte Mindestmaß an Konsistenz tatsächlich hergestellt ist, entspricht die Auslegung von § 284 StGB als Vermittlungsverbot schon einstweilen den verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen und kann eine ordnungsrechtliche Untersagungsverfügung, die allein mit einem - objektiven - Verstoß gegen § 284 StGB, nicht aber (auch) mit anderen Gefahren für ordnungsrechtliche Schutzgüter begründet ist, als verfassungsmäßig beurteilt werden. Ist dies der Fall, so ergibt sich aus dem Vermittlungsverbot auch unabhängig von einer Strafbarkeit zugleich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juli 2006 - 1 BvR 138/05 -, BVerfGK 8, 343 <348>).

2. Zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Rechte ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht mehr angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

a) Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachte Rüge einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG ist unzulässig. Der Beschwerdeführer hat zwar den insoweit eröffneten formalen Rechtsweg durch das Erheben einer Anhörungsrüge (§ 152a VwGO) erschöpft. Die Anfang November 2006 ergangene fachgerichtliche Entscheidung über die Anhörungsrüge hat er aber weder vorgelegt oder inhaltlich dargestellt, noch ausdrücklich oder sinngemäß zum Gegenstand des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens gemacht. Dazu sowie zur Auseinandersetzung mit den Gründen des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs über die Anhörungsrüge wäre der Beschwerdeführer im Hinblick auf Sinn und Zweck des Gebots der Rechtswegerschöpfung aber verpflichtet gewesen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Oktober 2007 - 1 BvR 2208/07 -, juris, dort zu § 78a ArbGG).

b) Im Übrigen führen folgende Erwägungen dazu, dass die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Rechtsdurchsetzung nicht mehr angezeigt ist:

aa) Soweit die mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemachte Beschwer, namentlich die sofortige Vollziehbarkeit der gegenüber dem Beschwerdeführer ergangenen Untersagungsverfügung, in die Zeit ab dem 1. Januar 2008 fällt, entspricht die Verfassungsbeschwerde nicht mehr dem Grundsatz der Subsidiarität, der grundsätzlich eine Ausschöpfung sämtlicher Möglichkeiten fachgerichtlicher Abhilfe verlangt (zum Grundsatz der Subsidiarität vgl. BVerfGE 107, 395 <414>).

Angesichts der durch den Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (BayGVBl 2007 S. 906) in Verbindung mit dem bayerischen Gesetz zur Ausführung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 20. Dezember 2007 (BayGVBl S. 922) erfolgten Änderung der Rechtslage ist der Beschwerdeführer insoweit auf die Möglichkeit eines Abänderungsantrags gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu verweisen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2008 - 1 BvR 2783/06 -, dort zur identischen Situation in Rheinland-Pfalz; vgl. grundlegend bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juli 2006 - 1 BvR 138/05 -, BVerfGK 8, 343, dort zur Auslösung erneuter Subsidiarität durch die Übergangszeitregelung des Sportwetten-Urteils, BVerfGE 115, 276; ferner - zu einem Verfahren aus Bayern - BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. Dezember 2006 - 1 BvR 271/05 -, juris und zur Veröffentlichung in BVerfGK vorgesehen).

bb) Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die während der Zeit bis zum 31. Dezember 2007 - also während der Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung des Bereichs der Sportwetten - gegebene sofortige Vollziehbarkeit wendet, hat sich diese in zeitlicher Hinsicht erledigt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2008 - 1 BvR 2783/06 -, juris und zur Veröffentlichung in BVerfGK vorgesehen).

Zwar hat der Beschwerdeführer die ihm sofort vollziehbar untersagte Wettvermittlungstätigkeit nach eigenen Angaben eingestellt, so dass die infolge der angegriffenen Entscheidungen bestehende sofortige Vollziehbarkeit der gegenüber dem Beschwerdeführer ergangenen Untersagungsverfügung tatsächlich vollzogen wurde und einen realen Nachteil bewirkt hat. Eine etwaige verfassungsgerichtliche Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen könnte aber an der Einstellung der Geschäftstätigkeit in der Zeit bis zum 31. Dezember 2007 faktisch nichts mehr ändern. Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit die vorliegende Verfassungsbeschwerde begründet ist, ist somit eine tatsächlich effektive Rechtsdurchsetzung rückwirkend sowohl im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG, als auch im Hinblick auf die nach Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit und die im Übrigen vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Verfassungsrechte nicht mehr möglich.

Die Frage, ob die schon einstweilen erfolgte Einstellung der Geschäftstätigkeit im Ergebnis der materiellen Rechtslage entsprach, bemisst sich ausschließlich nach der Verfassungsmäßigkeit der gegenüber dem Beschwerdeführer ergangenen Untersagungsverfügung, die Gegenstand des noch anhängigen fachgerichtlichen Hauptsacheverfahrens und vorrangig dort - sowie gegebenenfalls im Rahmen einer an die dortigen Entscheidungen anschließenden Verfassungsbeschwerde - zu klären ist. Dies gilt auch im Hinblick auf eine - für den Beschwerdeführer günstige - etwaige bundesweite Legalisierungswirkung der bei der Sportwetten GmbH in Gera vorliegenden Erlaubnis nach dem Gewerbegesetz der Deutschen Demokratischen Republik.

c) Da die Verfassungsbeschwerde aus den genannten Gründen nicht (mehr) zur Entscheidung anzunehmen ist, kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die im fachgerichtlichen Eilverfahren erfolgte Prüfung den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Sportwetten-Urteils (BVerfGE 115, 276) für die Übergangszeit gerecht wird oder aber einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG darstellt.

Im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren werden die Gerichte aber zu beachten haben, dass die bereits im Dezember 2004 gegenüber dem Beschwerdeführer ergangene Untersagungsverfügung gemäß den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. November 2007 - 1 BvR 2218/06 - (NVwZ 2008, S. 301) angesichts des damals bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltungsdefizits des staatlichen Wettmonopols in Bayern jedenfalls für die Zeit bis zum Ergehen des Sportwetten-Urteils (BVerfGE 115, 276) am 28. März 2006 nicht als verfassungsmäßig beurteilt werden kann und dass etwas anderes nur gelten könnte, wenn für den mit der Anfechtungsklage verfolgten Aufhebungsanspruch nach dem maßgeblichen einfachen Recht nicht auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung - hier also des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2005 -, sondern auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen wäre oder wenn die Untersagungsverfügung durch eine ergänzende Verfügung bestätigt worden wäre, die unter Verweis auf die Herstellung des im Sportwetten-Urteil (BVerfGE 115, 276) geforderten Mindestmaßes an Konsistenz ergangen ist.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung während der so genannten Übergangszeit kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächlich wirksame Umgestaltung des - bayerischen - staatlichen Wettangebots in dem vom Sportwetten-Urteil (BVerfGE 115, 276) genannten Umfang an (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2008 - 1 BvR 2783/06 -). Die in den vorliegend angegriffenen fachgerichtlichen Eilbeschlüssen zugrunde gelegte und in erheblichem Maße auf die Absicht und das erkennbare und ernsthafte Bemühen des Freistaats Bayern gestützte Einschätzung, die im Sportwetten-Urteil (BVerfGE 115, 276) aufgestellten Anforderungen an das staatliche Wettangebot würden beachtet, weil keine ernstlichen Zweifel daran bestünden, dass mit den vom Freistaat Bayern eingeleiteten Maßnahmen ein Mindestmaß an Konsistenz hergestellt werden würde und in weiten Teilen schon hergestellt sei, können - abhängig vom Vorbringen des Beschwerdeführers zum Werbe- und Vertriebsverhalten der bayerischen Staatlichen Lotterieverwaltung - zwar im Rahmen einer nur summarischen Prüfung ausreichen. Im Hauptsacheverfahren wird dies der notwendigen Ausrichtung der Prüfung auf die tatsächliche Herstellung des erforderlichen Mindestmaßes an Konsistenz aber nicht ohne weiteres gerecht.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

III.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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