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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 21.12.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 2401/04
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2401/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen die überlange Verfahrensdauer des beim Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen in Celle anhängigen Berufungsverfahren L 7 AL 11/02

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 21. Dezember 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde dagegen, dass das Landessozialgericht über die Berufung der Bundesagentur für Arbeit vom Januar 2002 gegen ein für ihn günstiges sozialgerichtliches Urteil noch nicht entschieden habe. Er sieht sich dadurch in seinen Grundrechten verletzt.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne des § 93 a Abs. 2 BVerfGG sind nicht gegeben.

1. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen auf (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt entschieden, dass ein Gerichtsverfahren von Verfassungs wegen in angemessener Zeit beendet sein muss (vgl. z.B. BVerfGE 93, 1 <13>). Es ist ebenfalls geklärt, welche Umstände in die Abwägung zur Bestimmung des angemessenen Zeitraums eingestellt werden müssen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 214 <215> sowie 3. Kammer des Ersten Senats, NVwZ 2004, S. 334 <335>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Rechts erforderlich (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

a) Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, das für die Verfahren bei den Verwaltungsgerichten aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, verlangt, dass Gerichtsverfahren in angemessener Zeit beendet sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es dem Bundesverfassungsgericht obliegt, hinsichtlich jeder einzelnen Maßnahme die Verfahrenshandhabung des Gerichts darauf nachzuprüfen, ob und inwieweit dieses möglicherweise früher hätte entscheiden können. Dies verbietet sich schon im Hinblick auf den Umstand, dass jedes Gericht jeweils mit einer Vielzahl von Verfahren gleichzeitig befasst ist und dass sich hieraus zwangsläufig für das einzelne Verfahren Verzögerungen ergeben, deren Ursachen nicht in diesem Verfahren selbst zu suchen sind (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, HFR 1993, S. 37). Die Entscheidung darüber, wann ein bestimmtes Verfahren vorangetrieben beziehungsweise zum Abschluss gebracht wird, obliegt daher in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht im Rahmen des ihm im Hinblick auf die Verfahrensführung durch die einschlägige Prozessordnung eingeräumten Ermessens. Sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, muss das Gericht hierfür zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festlegen.

Ein Verstoß gegen das aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgende Gebot eines wirkungsvollen Rechtsschutzes liegt erst dann vor, wenn die Verfahrensdauer unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls nicht mehr angemessen ist (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats <Dreier-Ausschuss> vom 29. April 1981 - 2 BvR 348/81, EuGRZ 1982, S. 75). Ob eine Verfahrensdauer noch angemessen ist, hängt von mehreren Faktoren ab. Dies sind die Natur des Verfahrens, die Bedeutung der Sache und die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten (vgl. BVerfGE 46, 17 <29>), die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere durch sie verursachte Verfahrensverzögerungen, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit von Dritten, wie etwa von Sachverständigen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 214 <215> sowie 3. Kammer des Ersten Senats, NVwZ 2004, S. 334 <335>). Im Rahmen ihrer Verfahrensführung haben die Gerichte außerdem die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens insgesamt verdichtet sich die mit dem Justizgewährleistungsanspruch verbundene Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 214 <215>).

b) Die Dauer des Berufungsverfahrens vor dem Landessozialgericht von mittlerweile fast drei Jahren erscheint angesichts des Gebots eines wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht bedenkenfrei. Dies ist vor allem deswegen festzustellen, weil bereits das erstinstanzliche Verfahren fast 5 1/2 Jahre gedauert hat. Allerdings ist das Ausmaß der Verfahrensverzögerung für den Beschwerdeführer noch hinnehmbar. Es deuten keine Umstände darauf hin, dass die Dauer des Rechtsstreits eine besondere Belastung für den Beschwerdeführer bedeutet oder die Verwirklichung seines in Anspruch genommenen Rechts gefährden würde. Gegenstand des hier in Frage stehenden sozialgerichtlichen Verfahrens sind keine laufenden Leistungen, sondern ein Anspruch der Bundesagentur für Arbeit auf Erstattung von in der Vergangenheit an den Beschwerdeführer erbrachten Leistungen. Da der Beschwerdeführer in der ersten Instanz obsiegt hat, drohen ihm schon aus diesem Grund keine Vollstreckungshandlungen der Bundesagentur für Arbeit. Allerdings wäre eine weitere erhebliche Verzögerung der Entscheidung über die Berufung im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG schwerlich noch angemessen.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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