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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 19.07.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 2552/04
Rechtsgebiete: BVerfGG, SGB VII, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 23 Satz 2
BVerfGG § 92
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93d Abs. 1 Satz 3
SGB VII § 122 Abs. 2
SGB VII § 122 Abs. 1
SGB VII § 157
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2552/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Bundessozialgericht vom 22. Juni 2004 - B 2 U 372/03 B -,

b) das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Oktober 2003 - L 7 U 2982/00 -,

c) das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Juni 2000 - S 6 U 6752/99 -,

d) den Widerspruchsbescheid der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft vom 28. Oktober 1999 - 84/0529/7982 -,

e) den Beitragsbescheid für 1998 der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft vom 30. April 1999 - 84/0529/7982 -,

f) den Veranlagungsbescheid der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft vom 30. April 1999 - 84/0529/7982 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Präsidenten Papier, und die Richter Steiner, Gaier gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 19. Juli 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die Beschwerdeführerin betreibt gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung. Sie wendet sich gegen die sie betreffende Beitragsfestsetzung.

I.

1. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (zuvor: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats nach Art und Gegenstand der Unternehmen unter Berücksichtigung der Prävention und der Leistungsfähigkeit der Berufsgenossenschaften bestimmen (§ 122 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Eine solche Rechtsverordnung ist bisher nicht erlassen worden. Für diesen Fall ordnet § 122 Abs. 2 SGB VII an, dass jede Berufsgenossenschaft für die Unternehmensarten sachlich zuständig bleibt, für die sie bisher zuständig war.

Da eine Rechtsverordnung im Sinne des § 122 Abs. 1 SGB VII fehlt, wird zur Abgrenzung der Zuständigkeiten in der Praxis bis heute der Beschluss des Bundesrats des Deutschen Reiches vom 21. Mai 1885 (Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts <AN> 1885, S. 143) herangezogen. Zur Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften wird ferner auf das "Alphabetische Verzeichnis der Gewerbezweige" des Reichsversicherungsamts vom 1. Oktober 1885 (AN 1885, S. 254) mit späteren Fortschreibungen, die auch nachfolgende Bundesratsbeschlüsse berücksichtigen, als - nicht bindende - Auslegungshilfe zurückgegriffen. Durch die Verordnung der Reichsregierung vom 30. Oktober 1923 (RGBl I S. 1063) wurde die Weitergeltung des Bundesratsbeschlusses vom 21. Mai 1885 angeordnet.

Gewerbezweige, die in den genannten Grundlagen, insbesondere in den Bundesratsbeschlüssen, nicht genannt sind, werden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jener Berufsgenossenschaft zugewiesen, deren Mitgliedsunternehmen ihnen nach Art und Gegenstand am nächsten stehen (vgl. BSGE 71, 85 <86>).

2. Die sachliche Zuständigkeit für die hier in Frage stehende gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung nimmt die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft gemäß § 3 Abs. 1 ihrer Satzung in Anspruch. Die "Unternehmen zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung" werden dort unter Nummer 61 aufgeführt. Nach Auffassung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft sind diese Unternehmen ein eigener Gewerbezweig, der sich keiner Fach-Berufsgenossenschaft zuordnen lässt. Deshalb greife ihre Auffangzuständigkeit für "besondere Unternehmen" ein.

3. Der Unfallversicherungsträger stellt Beginn und Ende seiner Zuständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid - den so genannten Mitgliedsschein - gegenüber dem Unternehmen fest (§ 136 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Den Bescheid erlässt der Unfallversicherungsträger, sobald ein Unternehmen Vorbereitungstätigkeiten zur Gründung aufgenommen hat (§ 136 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Er veranlagt die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu den Gefahrklassen (so genannter Veranlagungsbescheid; vgl. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Der Unfallversicherungsträger teilt den Beitragspflichtigen ferner den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit (§ 168 Abs. 1 SGB VII).

4. Die Festlegung des Gefahrtarifs regelt § 157 SGB VII. Danach setzt der Unfallversicherungsträger als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest. In dem Gefahrtarif sind zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen. Der ab dem 1. Januar 1998 geltende Gefahrtarif der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (im Folgenden: Gefahrtarif 1998) sah für Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zwei Gefahrklassen vor. Diese unterschieden sich danach, ob die überlassenen Beschäftigten ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen (Gefahrtarifstelle 48: Gefahrklasse 0,57) oder aber in sonstigen, insbesondere also produzierenden oder gewerblichen Unternehmensteilen (Gefahrtarifstelle 49: Gefahrklasse 10,66) eingesetzt werden und entsprechende Tätigkeiten verrichten.

5. Die Beschwerdeführerin ist ein Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft stellte ihre Zuständigkeit für die Beschwerdeführerin fest. Auf Grund des Gefahrtarifs wurde die Beschwerdeführerin für ihre Unternehmensteile zu den beiden Gefahrtarifstellen veranlagt. Die Beschwerdeführerin macht unter anderem geltend, die Rechtsgrundlagen der Beitragsfestsetzung seien verfassungswidrig. Ihre Rechtsbehelfe blieben ohne Erfolg.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

1. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Beitragsveranlagung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft sei ungerecht, weil sie einen überproportionalen Anteil an "DDR-Altlasten" beinhalte, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Denn sie hat die Verfassungsbeschwerde insoweit nicht hinreichend substantiiert gemäß § 23 Satz 2, § 92 BVerfGG begründet.

a) Die Auslegung einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür zuständigen Fachgerichte. Sie unterliegen einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nur insoweit, als Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere des Umfangs seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 19, 303 <310>; 75, 302 <313>).

b) Zu den "DDR-Altlasten" hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 24. Februar 2004 (BSGE 92, 190) ausführlich dargelegt, es verstoße grundsätzlich nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn der Finanzbedarf für die Entschädigung der in der Deutschen Demokratischen Republik eingetretenen Arbeitsunfälle in gleicher Weise wie der übrige Finanzbedarf der Unfallversicherungsträger unter Berücksichtigung des für den jeweiligen Gewerbezweig ermittelten Grades der Unfallgefahr auf die Mitgliedsunternehmen umgelegt wird und wenn deshalb Unternehmen mit einer höheren Gefahrklasse anteilig stärker zur Tragung der Altlasten herangezogen werden als solche mit einer niedrigeren Gefahrklasse. Die ungleiche Belastung der Unternehmen lasse sich aufgrund des besonderen Finanzierungssystems der gesetzlichen Unfallversicherung sachlich begründen; das Gewicht der Rechtfertigungsgründe stehe zur Bedeutung dieser Belastung in einem angemessenen Verhältnis. Wenn die heutigen Unternehmen über ihr in der Gefahrklasse zum Ausdruck kommendes zeitnahes Unfallrisiko die Altlasten-West finanzierten, ohne Rücksicht darauf, inwieweit sie ihnen zurechenbar sind, so sei nicht zu erkennen, wieso bei den Altlasten-Ost etwas Anderes geboten sein sollte (BSGE 92, 190 <196 ff.>).

c) Mit diesen Erwägungen setzt sich die Beschwerdeführerin nicht hinreichend auseinander. Ihre Auffassung, dieses Ergebnis widerspreche dem Solidarprinzip, genügt insoweit nicht den genannten gesetzlichen Anforderungen.

2. Nicht hinreichend substantiiert ist auch die Rüge der Beschwerdeführerin, die angegriffenen Beitragsbescheide seien auch deshalb rechtswidrig, weil die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft anderen Unternehmen zu Unrecht Beiträge erlassen und dadurch mittelbar eine Erhöhung ihrer Beitragsschuld bewirkt habe.

a) Hierzu führte das Bundessozialgericht in dem bereits angeführten Urteil vom 24. Februar 2004 aus, eine Überprüfung insbesondere des von der Beschwerdeführerin beanstandeten Vergleichs zwischen der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft und dem Deutschen Fußballbund über einen teilweisen Erlass der Beiträge der Profi-Fußballvereine könne in einem Verfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung gestritten werde, nicht erreicht werden. Ein etwaiges fehlerhaftes Verwaltungshandeln der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft in anderer Sache vermöge sich auf die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung nicht auszuwirken. Ein Unternehmen könne - ebenso wie andere Mitglieder einer Körperschaft des öffentlichen Rechts - seine Klage gegen die Heranziehung zu Beiträgen nicht auf Einwände gegen bestimmte Ausgaben des für ihn zuständigen Unfallversicherungsträgers stützen. Denn bei einem Erfolg der Klage habe dies unmittelbar keine Auswirkungen auf die betreffenden Ausgaben oder einen teilweisen Beitragserlass (BSG, a.a.O., S. 198 f.).

b) Mit diesen Erwägungen des Bundessozialgerichts setzt sich die Beschwerdeführerin insbesondere unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht hinreichend auseinander. Sie beschränkt sich auf die Wiederholung ihrer entgegenstehenden Rechtsauffassung.

3. Im Übrigen hat die Verfassungsbeschwerde in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin kann nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat die sachliche Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften (§§ 114, 122 SGB VII) nicht in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen widersprechenden Weise geregelt. Ein verfassungswidriges Regelungsdefizit liegt nicht vor. Die gesetzliche Ermächtigung des Unfallversicherungsträgers zur Festsetzung eines Gefahrtarifs (§ 157 SGB VII) ist inhaltlich hinreichend bestimmt und verfassungsgemäß. Auch haben die Sozialgerichte bei der Anwendung des einfachen Rechts die Bedeutung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verkannt. Der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft war es von Verfassungs wegen nicht verwehrt, die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung bei der Festsetzung des Gefahrtarifs als eigenen Gewerbezweig zu qualifizieren und mit zwei unterschiedlichen Tarifstellen zu erfassen. Insoweit wird auf den beigefügten Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2007 - 1 BvR 1696/03 -verwiesen.

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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