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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 19.05.1999
Aktenzeichen: 1 BvR 263/98
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 93 b
BetrVG § 93 a
BetrVG § 93 a Abs. 2
BetrVG § 93 d Abs. 1 Satz 3
BGB § 139
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 263/98 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der Deutschen Post AG,

- Bevollmächtigte:

1. Prof. Dr. Fritz Ossenbühl, Im Wingert 12, Meckenheim,

2. Rechtsanwalt Dr. Jürgen Peter, Goebenstraße 33, Bonn -

gegen

a) das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 7. März 1995 - 3 AZR 583/94 -,

b) das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 7. März 1995 - 3 AZR 625/94 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Steiner gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 19. Mai 1999 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

1. Die beschwerdeführende Deutsche Post Aktiengesellschaft wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Verpflichtung, teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der betrieblichen Altersversorgung den Vollzeitbeschäftigten gleichzustellen (stRspr des Bundesarbeitsgerichts; vgl. BAGE 53, 161 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; BAGE 79, 236 [250 ff.]; BAG, NZA 1996, S. 607 [608 f.]; NZA 1996, S. 939 [940 f.]).

Die Klägerin des einen Ausgangsverfahrens (3 AZR 583/94) war von 1971 bis 1989 bei der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 19,38 Stunden als Angestellte im Schalterdienst beschäftigt. Die Klägerin des anderen Ausgangsverfahrens (3 AZR 625/94) ist seit 1981 bei der Beschwerdeführerin und deren Rechtsvorgängerin mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von unter 18 Stunden als Arbeiterin beschäftigt.

Das Bundesarbeitsgericht kam zum Ergebnis, der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebende Vertrauensschutz führe nicht zum Wegfall oder einer Einschränkung der Verpflichtung zur Gleichstellung der Teilzeitkräfte. Ein Rückwirkungsverbot für richtige Rechtsanwendung komme nur in einem besonders gelagerten Ausnahmefall in Betracht. Ein solcher Fall liege hier nicht vor. Bei einer rückwirkenden Änderung der Rechtsprechung sei zu beachten, daß nicht nur die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit wesentliche Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips seien, sondern dieses auch die Idee der materiellen Gerechtigkeit umfasse. Die betroffenen Rechtsgüter seien nach den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit abzuwägen. Das Interesse der Beschwerdeführerin, von zusätzlichen finanziellen Belastungen und Verwaltungsmehraufwand verschont zu bleiben, verdiene keinen Vorrang gegenüber dem Interesse der benachteiligten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der uneingeschränkten Beachtung des Gleichheitssatzes. Für diese seien Bestehen und Umfang einer Zusatzversorgung von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Eine Überforderung der Beschwerdeführerin sei nicht ersichtlich. Der Überforderungsschutz diene der Verhinderung von Existenzgefährdung und -vernichtung. Eine solche Lage könne bei der Beschwerdeführerin nicht angenommen werden, selbst wenn man die von ihr errechnete zusätzliche Belastung durch eine Gleichbehandlung unterhälftig beschäftigter Teilzeitkräfte in der betrieblichen Altersversorgung in Höhe von rund einer Milliarde Deutsche Mark als richtig zugrunde lege. Anderes ergebe sich auch nicht aus Europarecht.

2. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3 Satz 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Sie sei als Aktiengesellschaft nach Art. 19 Abs. 3 GG Trägerin dieser Grundrechte. Zwar sei der Bund alleiniger Aktionär. Wegen der objektiv-rechtlichen Bedeutung der Grundrechte sei es aber nicht mehr überzeugend, Verfassungsbeschwerden juristischer Personen zurückzuweisen, die sich in öffentlicher Hand befänden.

Bei einer rückwirkenden Änderung der Rechtsprechung seien die Maßstäbe für den Vertrauensschutz bei der rückwirkenden Änderung von Gesetzen zu suchen. Die bei Art. 3 Abs. 1 GG anzuwendenden Vergleichsmaßstäbe würden von Gerichten konkretisiert und weiterentwickelt. Dabei spielten gewandelte gesellschaftliche Anschauungen eine zentrale Rolle. Unter deren Wandel könne sich eine Norm inhaltlich verändern. Die Veränderung der Norm könne nur zurückbezogen werden auf den Zeitpunkt des Entstehens der gewandelten Anschauungen. Die Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten beim Anschluß an die betriebliche Altersversorgung sei jahrzehntelang von keiner Seite als Gleichheitsverstoß angesehen noch sei anderes erkennbar gewesen. Der maßgebliche Zeitpunkt für den Fortfall des Vertrauensschutzes werde durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Oktober 1986 (3 AZR 66/83; BAGE 53, 161 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag) bestimmt.

Das Bundesarbeitsgericht habe zwischen Vertrauensschutz und Gleichheitssatz nicht abgewogen, vielmehr gebe es zu Unrecht dem Gleichheitssatz den absoluten Vorrang vor dem Vertrauensschutz. Eine Abwägung hätte dazu führen müssen, daß in Konkordanz von Gleichheitssatz und Vertrauensschutz die rückwirkende Anwendung des Gleichheitssatzes zeitlich begrenzt werde. Die Nachzahlungen zugunsten der bisher nicht versicherten Teilzeitbeschäftigten beliefen sich auf rund eine Milliarde Deutsche Mark. Ihretwegen müßte die geplante Börseneinführung der Beschwerdeführerin verschoben werden.

Sie sei unter Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ihrem gesetzlichen Richter dadurch entzogen worden, daß das Bundesarbeitsgericht den Rechtsstreit nicht dem Europäischen Gerichtshof zur Beantwortung der Frage vorgelegt habe, ob das für das Lohndiskriminierungsverbot des Art. 119 EGV vom Europäischen Gerichtshof entwickelte Rückwirkungsverbot auch bei deutschen Diskriminierungsverboten Geltung beansprucht.

3. Der Deutsche Gewerkschaftsbund meint, die bezeichneten materiellen Grundrechte seien nach Art. 19 Abs. 3 GG auf die Beschwerdeführerin nicht anwendbar. Es entspreche der zentralen Bedeutung des Gleichheitssatzes, daß grundsätzlich auch für zurückliegende Zeiträume gleiche Entgelte für gleiche Arbeit zu zahlen seien. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei nicht verletzt. Das Bundesministerium für Post und Telekommunikation schließt sich der Beschwerdebegründung an und hebt die Kosten der Gleichstellung hervor.

II.

Die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 90, 22 [24 f.]) liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu.

Ob die von der Beschwerdeführerin als verletzt bezeichneten Grundrechte ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG), obwohl es sich bei ihr um eine Aktiengesellschaft im alleinigen Bundesbesitz handelt, braucht nicht entschieden zu werden (vgl. dazu BVerfGE 21, 362 [368 ff.]; 39, 302 [312 ff.]; 45, 63 [78 ff.]; 61, 82 [100 ff.]; 68, 193 [205 ff., 212 f.]; 75, 192 [195 ff.]). Diese Grundrechte werden durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt. Die in diesem Zusammenhang auftretenden verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Rechte angezeigt. Sie bietet auch dann keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn man die Beschwerdeführerin als Trägerin der von ihr in Anspruch genommenen Grundrechte ansieht.

a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht verletzt (vgl. BVerfG, Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. August 1998 - 1 BvR 264/98 -, NZA 1998, S. 1245; vgl. auch BVerfGE 97, 35 [49]).

b) Auch in der Sache lassen die angegriffenen Urteile Fehler, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]; 65, 317 [322]), nicht erkennen.

aa) Daß ein Ausschluß unterhalbzeitig Beschäftigter von der betrieblichen Altersversorgung den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluß zum Hamburger Ruhegeldgesetz klargestellt (BVerfGE 97, 35 [44 ff.]). Darauf kann hier verwiesen werden. Die Verfassungsbeschwerde gibt insoweit keinen Anlaß zu ergänzenden Ausführungen.

bb) Auch soweit das Bundesarbeitsgericht einen Gleichstellungsanspruch der Klägerinnen für die zurückliegenden Jahre für begründet erachtet, verkennt es Bedeutung und Tragweite der von der Beschwerdeführerin als verletzt bezeichneten Grundrechte nicht.

Die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zur Teilnichtigkeit der Satzung stehen mit Art. 9 Abs. 3 GG im Einklang. In den angegriffenen Urteilen wird unter anderem ausgeführt, daß das gefundene Ergebnis auch dem mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien entspreche. Die dazu angestellten Erwägungen halten sich im Rahmen der zu § 139 BGB allgemein anerkannten Grundsätze und sind von der Sache her einleuchtend. Wenn die Beschwerdeführerin dagegen ins Feld führt, die Tarifvertragsparteien hätten bei richtiger Erkenntnis eine Regelung getroffen, die das Gesamtvolumen der Arbeitgeberbelastung unverändert gelassen hätte, so kann daraus eine grundsätzliche Verkennung der Koalitionsfreiheit nicht hergeleitet werden. Dieser Einwand betrifft die einfachrechtliche Anwendung und Auslegung der genannten zivilrechtlichen Vorschrift.

cc) Die angegriffenen Urteile verletzen die Beschwerdeführerin auch nicht in ihrem rechtsstaatlich verankerten Anspruch auf Vertrauensschutz (Art. 20 Abs. 3 GG).

Für den Zeitraum, um den es in der unter b) angegriffenen Entscheidung des Bundesarbeitsgericht 3 AZR 625/94 geht, kommt ein Vertrauensschutz von vornherein nicht in Betracht. Aufgrund dieses Urteils ist die Beschwerdeführerin verpflichtet, die Klägerin rückwirkend so zu stellen, als ob sie in der Zeit vom 17. August 1981 bis einschließlich 31. März 1991 bei der Versicherungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) versichert gewesen wäre. Im Jahre 1981 hatte aber der Europäische Gerichtshof bereits entschieden, daß ein unterschiedlicher Stundenlohn für Vollzeitarbeitnehmer und Teilzeitarbeitnehmer eine verbotene Diskriminierung darstellt, wenn er in Wirklichkeit nur ein indirektes Mittel dafür ist, das Lohnniveau der Teilzeitarbeitnehmer aus dem Grund zu senken, weil diese Arbeitnehmergruppe ausschließlich oder überwiegend aus weiblichen Personen besteht (Urteil vom 31. März 1981 - Rs. 96/80 -, AP Nr. 2 zu Art. 119 EWG-Vertrag). Nach dieser Entscheidung konnte niemand mehr darauf vertrauen, daß eine Satzung, die unterhälftig Beschäftigte von einer betrieblichen Altersversorgung ausschloß, rechtswirksam sein könne. Zudem hat das Bundesarbeitsgericht im Anschluß an diese Entscheidung bereits im April 1982 anhand statistischer Daten aus den Jahren 1979 und 1980 festgestellt, daß der Ausschluß von Teilzeitbeschäftigten von der betrieblichen Altersversorgung nahezu ausschließlich Frauen treffe (3 AZR 134/79; AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, Bl. 230).

Soweit das Bundesarbeitsgericht in dem unter a) angegriffenen Urteil - 3 AZR 583/94 - einen bis in das Jahr 1971 zurückwirkenden Gleichstellungsanspruch bejaht, gilt im Ergebnis nichts anderes. Es ist bereits fraglich, ob die Beschwerdeführerin insoweit in ihrem Vertrauen auf ihre Beurteilung der Rechtslage von Verfassungs wegen geschützt ist. Höchstrichterliche Rechtsprechung, die diese Beurteilung explizit bestätigt hätte, liegt nicht vor (vgl. dazu im übrigen BVerfG, Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats, NZA 1993, S. 213 f.). Darauf braucht aber nicht näher eingegangen zu werden. Das Bundesarbeitsgericht hat nach den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit geprüft, ob die von der Beschwerdeführerin bezeichnete finanzielle Belastung zu einer Einschränkung der Verpflichtung zur Gleichstellung führen muß. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa BVerfGE 74, 129 [152]; 97, 35 [44]) und tragen dem Grundsatz des Vertrauensschutzes hinreichend Rechnung. Dabei hat es zugunsten der Beschwerdeführerin sogar die Kosten in Rechnung gestellt, die in der Zeit nach der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs angefallen sind, obwohl die Rechtslage nach diesem Urteil soweit geklärt war, daß ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer Betriebsrentenregelung, durch die Teilzeitkräfte diskriminiert wurden, nicht mehr bestehen konnte.

3. Im übrigen wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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