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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 22.10.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 2642/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2642/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Oktober 2004 - 4 B 1875/04 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hier: Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen und Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Bryde, Eichberger, Schluckebier gemäß § 93d Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 34a Abs. 3 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 22. Oktober 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

Das Verfahren betraf die sofortige Vollziehung einer ordnungsrechtlichen Untersagungsverfügung hinsichtlich der Vermittlung gewerblicher Sportwetten an einen Veranstalter in Österreich.

I.

1. Die Beschwerdeführerin betreibt in Hagen eine Wettannahmestelle, in der sie Sportwetten mit festen Gewinnquoten vermittelt, die von einem in Österreich ansässigen Wettunternehmen veranstaltet werden.

Mit Ordnungsverfügung vom 18. Mai 2004 untersagte ihr der Oberbürgermeister der Stadt Hagen diese Geschäftstätigkeit unter Verweis auf § 284 StGB in Verbindung mit dem nordrhein-westfälischen Sportwettengesetz und ordnete die sofortige Vollziehung an. Mit Verfügung vom 24. Mai 2004 setzte die Behörde gemäß ihrer Androhung gegen die Beschwerdeführerin ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 Euro fest.

Den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Untersagung eingelegten Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. August 2004 ab. Auch die im Anschluss daran erhobene Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht blieb ohne Erfolg.

Im seinem Beschluss vom 22. Oktober 2004 beurteilte das Oberverwaltungsgericht die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs als allenfalls offen. Auf dieser Grundlage gehe die Abwägung des Suspensivinteresses der Beschwerdeführerin mit den für die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung streitenden öffentlichen Interessen zu Lasten der Beschwerdeführerin aus. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung sprächen keine überwiegenden Gesichtspunkte dafür, dass den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung der Begrenzung des Glücksspiels durch die Mitgliedstaaten nicht entsprochen werde. Dem stünden auch die vielfältigen Werbemaßnahmen staatlicher Sportwetten-Veranstalter nicht entgegen. Es sei zwar davon auszugehen, dass die der Untersagungsverfügung zugrundeliegende Regelung des nordrhein-westfälischen Sportwettengesetzes (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 2) sowie des § 284 StGB eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 49 EG) sowie zugleich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 und 48 EG) bewirkten, die aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müssten. Der Senat gehe insoweit - vorläufig - davon aus, dass mit der Veranstaltung von Sportwetten das dem Glücksspiel eigene Gefahrpotenzial verbunden sei und diese Einschätzung auch den Regelungen des nordrhein-westfälischen Sportwettengesetzes zugrundeliege; ferner, dass den staatlichen Anbietern maßgeblich die Aufgabe obliege, die natürliche Neigung zum Spiel in einem ordnungspolitisch noch vertretbaren Rahmen zu befriedigen und in diesem Sinne zu kanalisieren. Diese Aufgabenstellung könne nur dann effektiv erfüllt werden, wenn für das staatliche Wettangebot geworben werde. Dabei seien Werbemaßnahmen umso notwendiger, als gegenüber gewerblichen Veranstaltern ein "Attraktivitätsgefälle" zu Lasten der staatlichen Veranstalter bestehe. Ferner sei in Rechnung zu stellen, dass in einer durchweg "reizstarken" Werbewelt allzu moderate Werbemethoden grundsätzlich nicht geeignet wären, das von den staatlichen Spielveranstaltern anzusprechende Publikum zu erreichen. Ob unter Zugrundelegung dieser Gesichtspunkte den aufgezeigten rechtlichen Maßstäben noch genügt werde, könne erst nach umfänglicher Aufklärung und einer komplexen Bewertung der dann vorliegenden tatsächlichen Feststellungen im Hauptsacheverfahren beurteilt werden. Gleiches gelte auch im Hinblick auf die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2001 - BVerwG 6 C 2.01 - formulierten verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 12 GG.

2. Gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht eine mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde, mit der sie eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG rügte. Dieses habe die Bedeutung und das Gewicht der Berufsfreiheit sowie des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz grundlegend verkannt. Im Wesentlichen bemängelte die Beschwerdeführerin insoweit eine unzureichende Interessenabwägung. Dieser habe das Oberverwaltungsgericht schon keine ausreichende Prüfung des tatsächlichen und rechtlichen Streitstoffs zugrundegelegt. Vor allem werde aber die vom Oberverwaltungsgericht geäußerte Ansicht zum Werbeverhalten der staatlichen Sportwettenanbieter den verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Ferner lasse die Entscheidung den notwendigen Bezug zu konkreten Gefahren im Einzelfall vermissen.

3. Mit Beschluss vom 13. Juni 2006 stellte das Verwaltungsgericht auf entsprechenden Antrag der Beschwerdeführerin nach § 80 Abs. 7 VwGO die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs unter Aufhebung seines Beschlusses vom 16. August 2004 wieder her.

Daraufhin erklärte die Beschwerdeführerin das Verfahren für erledigt.

Im Hinblick auf die prozessuale Überholung des Beschwerdegegenstands und das bei der Beschwerdeführerin nicht mehr vorhandene Interesse an einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung wurde das Verfassungsbeschwerdeverfahren eingestellt.

II.

1. Die Beschwerdeführerin hat im Zusammenhang mit der von ihr erklärten Erledigung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens beantragt, die Erstattung ihrer notwendigen Auslagen anzuordnen. Dies entspreche der Billigkeit, da der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts zu Unrecht ergangen sei.

2. Der Landesregierung Nordrhein-Westfalen wurde Gelegenheit gegeben, sich zum Antrag auf Anordnung der Auslagenerstattung zu äußern.

III.

1. Die Anordnung der Erstattung der der Beschwerdeführerin im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen entspricht der Billigkeit im Sinne von § 34a Abs. 3 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung war bei ihrem Erlass mit dem Grundgesetz unvereinbar. Der Beschwerdeführerin durfte die Erhebung der auf einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG gestützten Verfassungsbeschwerde daher angezeigt erscheinen.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verkennt die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 GG an die rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung eines staatlichen Sportwettmonopols stellt und deren Wahrung Voraussetzung für eine gerechtfertigte Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung gewerblicher Sportwetten durch private Wettunternehmen und Wettvermittler ist (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 -, BVerfGE 115, 276). Die verfassungsgerichtlichen Aussagen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 treffen dabei in gleicher Weise auf die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen zu. Auch das nordrhein-westfälische Sportwettengesetz kennt keine Regelungen, die gemäß den verfassungsrechtlichen Anforderungen eine konsequente Ausrichtung des staatlich verantworteten Sportwettangebots am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht gewährleisten. Dieses (Regelungs-)Defizit wird auch nicht durch die Regelungen des Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland (vgl. GV. NRW 2004, S. 315) aufgefangen, von deren unmittelbarer Geltung aufgrund des nordrhein-westfälischen Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland (Lotterieausführungsgesetz - LoAG) vom 16. November 2004 (GV. NRW S. 686) auszugehen ist. Auch das staatliche Sportwettmonopol in Nordrhein-Westfalen ist danach in seiner derzeitigen Ausgestaltung als verfassungswidrig anzusehen. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Oberverwaltungsgericht insoweit aber eine - mögliche - unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin schon nicht erwogen.

2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.

Ende der Entscheidung

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