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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 22.10.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 2643/04
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 12 Abs. 1 | |
GG Art. 19 Abs. 4 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2643/04 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Oktober 2004 - 4 B 1440/04 -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hier: Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen und Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Bryde, Eichberger, Schluckebier gemäß § 93d Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 34a Abs. 3 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 22. Oktober 2007 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Gründe:
Das Verfahren betraf die sofortige Vollziehung einer ordnungsrechtlichen Untersagungsverfügung hinsichtlich der Vermittlung gewerblicher Sportwetten an einen Veranstalter in Österreich.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist konzessionierter Buchmacher für Pferdewetten und betreibt als solcher unter anderem eine Wettannahmestelle in Mülheim an der Ruhr. Seit Anfang des Jahres 2004 vermittelt er dort zudem Sportwetten mit festen Gewinnquoten, die von einem auf Malta ansässigen Wettunternehmen veranstaltet werden.
Mit Ordnungsverfügung vom 10. Mai 2004 untersagte ihm die Oberbürgermeisterin der Stadt Mülheim an der Ruhr diese Geschäftstätigkeit unter Verweis auf § 284 StGB in Verbindung mit dem nordrhein-westfälischen Sportwettengesetz und ordnete die sofortige Vollziehung an. Mit Verfügung vom 1. Juni 2004 setzte die Behörde gemäß ihrer Androhung gegen den Beschwerdeführer ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 € fest und drohte eine weitere Zwangsgeldfestsetzung an. Mit Verfügung vom 23. August 2004 setzte die Behörde ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 30.000 € fest und drohte die amtliche Versiegelung der Betriebsmittel im Wege unmittelbaren Zwanges an.
Das Verwaltungsgericht lehnte durch Beschluss vom 2. Juli 2004 den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Untersagungsverfügung ab; ebenso lehnte es die zugleich beantragte Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die erste Zwangsgeldfestsetzung ab.
Die dagegen erhobene Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht blieb ohne Erfolg.
In seinem Beschluss vom 22. Oktober 2004 beurteilte das Oberverwaltungsgericht die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs als allenfalls offen. Auf dieser Grundlage gehe die Abwägung des Suspensivinteresses des Beschwerdeführers mit den für die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung streitenden öffentlichen Interessen zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung sprächen keine überwiegenden Gesichtspunkte dafür, dass den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung der Begrenzung des Glücksspiels durch die Mitgliedstaaten nicht entsprochen werde. Dem stünden auch die vielfältigen Werbemaßnahmen staatlicher Sportwetten-Veranstalter nicht entgegen. Es sei zwar davon auszugehen, dass die der Untersagungsverfügung zugrundeliegende Regelung des nordrhein-westfälischen Sportwettengesetzes (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 2) sowie des § 284 StGB eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 49 EG) sowie zugleich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 und 48 EG) bewirkten, die aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müssten. Der Senat gehe insoweit - vorläufig - davon aus, dass mit der Veranstaltung von Sportwetten das dem Glücksspiel eigene Gefahrpotenzial verbunden sei und diese Einschätzung auch den Regelungen des nordrhein-westfälischen Sportwettengesetzes zugrundeliege; ferner, dass den staatlichen Anbietern maßgeblich die Aufgabe obliege, die natürliche Neigung zum Spiel in einem ordnungspolitisch noch vertretbaren Rahmen zu befriedigen und in diesem Sinne zu kanalisieren. Diese Aufgabenstellung könne nur dann effektiv erfüllt werden, wenn für das staatliche Wettangebot geworben werde. Dabei seien Werbemaßnahmen umso notwendiger, als gegenüber gewerblichen Veranstaltern ein "Attraktivitätsgefälle" zu Lasten der staatlichen Veranstalter bestehe. Ferner sei in Rechnung zu stellen, dass in einer durchweg "reizstarken" Werbewelt allzu moderate Werbemethoden grundsätzlich nicht geeignet wären, das von den staatlichen Spielveranstaltern anzusprechende Publikum zu erreichen. Ob unter Zugrundelegung dieser Gesichtspunkte den aufgezeigten rechtlichen Maßstäben noch genügt werde, könne erst nach umfänglicher Aufklärung und einer komplexen Bewertung der dann vorliegenden tatsächlichen Feststellungen im Hauptsacheverfahren beurteilt werden. Gleiches gelte auch im Hinblick auf die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2001 - BVerwG 6 C 2.01 - formulierten verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 12 GG.
2. Gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts erhob der Beschwerdeführer fristgerecht eine mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde, mit der er eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts rügte. Dieses habe die Bedeutung und das Gewicht der Berufsfreiheit sowie des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz grundlegend verkannt. Im Wesentlichen bemängelt der Beschwerdeführer insoweit eine unzureichende Interessenabwägung. Dieser liege schon keine ausreichende Prüfung des tatsächlichen und rechtlichen Streitstoffs zugrunde. Vor allem werde die vom Oberverwaltungsgericht geäußerte Ansicht zum Werbeverhalten der staatlichen Sportwettenanbieter den verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Ferner lasse die Entscheidung den notwendigen Bezug zu konkreten Gefahren im Einzelfall vermissen.
3. Mit Schreiben vom 2. August 2006 sagte die Stadt dem Beschwerdeführer verbindlich zu, auf eine Beitreibung der bereits festgesetzten Zwangsgelder zu verzichten und von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen insgesamt abzusehen.
Daraufhin erklärte der Beschwerdeführer das Verfahren für erledigt. Er verwies insoweit darauf, dass sich die dem Ausgangsverfahren zugrundeliegenden Maßnahmen auch nach Auffassung der Stadt auf ein von ihm inzwischen nicht mehr betriebenes Geschäftslokal beziehen.
Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer abgegebene prozessuale Erklärung und das mit ihr zum Ausdruck gebrachte nicht mehr vorhandene Interesse an einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung wurde das Verfassungsbeschwerdeverfahren eingestellt.
II.
1. Der Beschwerdeführer hat im Zusammenhang mit der von ihm erklärten Erledigung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens beantragt, die Erstattung seiner notwendigen Auslagen anzuordnen. Dies entspreche der Billigkeit, da der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts zu Unrecht ergangen sei.
2. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit, sich zum Verfahren zu äußern.
III.
1. Die Anordnung der Erstattung der dem Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen entspricht der Billigkeit im Sinne von § 34a Abs. 3 BVerfGG. Die angegriffene Entscheidung war bei ihrem Erlass mit dem Grundgesetz unvereinbar. Dem Beschwerdeführer durfte die Erhebung der auf einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG gestützten Verfassungsbeschwerde daher angezeigt erscheinen.
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verkennt die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 GG an die rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung eines staatlichen Sportwettmonopols stellt und deren Wahrung Voraussetzung für eine gerechtfertigte Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung gewerblicher Sportwetten durch private Wettunternehmen und Wettvermittler ist (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 -, BVerfGE 115, 276). Die verfassungsgerichtlichen Aussagen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 treffen dabei in gleicher Weise auf die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen zu. Auch das nordrhein-westfälische Sportwettengesetz kennt keine Regelungen, die gemäß den verfassungsrechtlichen Anforderungen eine konsequente Ausrichtung des staatlich verantworteten Sportwettangebots am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht gewährleisten. Dieses (Regelungs-)Defizit wird auch nicht durch die Regelungen des Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland (vgl. GV. NRW 2004, S. 315) aufgefangen, von deren unmittelbarer Geltung aufgrund des nordrhein-westfälischen Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland (Lotterieausführungsgesetz - LoAG) vom 16. November 2004 (GV. NRW S. 686) auszugehen ist. Auch das staatliche Sportwettmonopol in Nordrhein-Westfalen ist danach in seiner derzeitigen Ausgestaltung als verfassungswidrig anzusehen. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Oberverwaltungsgericht insoweit aber eine - mögliche - unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers schon nicht erwogen.
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.
Ende der Entscheidung
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