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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 20.02.2006
Aktenzeichen: 1 BvR 268/06
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 1 | |
GG Art. 2 Abs. 1 | |
GG Art. 12 Abs. 1 | |
GG Art. 14 Abs. 1 | |
GG Art. 19 Abs. 4 | |
GG Art. 20 Abs. 1 | |
GG Art. 28 Abs. 1 | |
GG Art. 33 Abs. 1 | |
GG Art. 33 Abs. 2 | |
GG Art. 103 Abs. 1 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 268/06 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen
a) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. November 2005 - B 3 P 10/04 R -,
b) das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. August 2004 - L 14 P 1091/02 -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richter Steiner und Gaier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 20. Februar 2006 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Pflegeversicherung. Konkret geht es um die Versorgung mit einem eigenbedienbaren Rollstuhl mit elektrischem Antrieb als Pflegehilfsmittel.
I.
Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Für privat Krankenversicherte bietet der Versicherer nach § 1 Abs. 1 der Musterbedingungen 1994 Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK 94) Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse. Er gewährt im Versicherungsfall in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 MB/KK 1994 ergibt sich der Umfang des Versicherungsschutzes aus dem Versicherungsschein, späteren schriftlichen Vereinbarungen, den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Musterbedingungen mit Anhang, Tarif mit Tarifbedingungen) sowie den gesetzlichen Vorschriften. Gemäß § 4 Abs. 1 der MB/KK 1994 ergeben sich Art und Höhe der Versicherungsleistungen aus dem Tarif mit Tarifbedingungen.
II.
1. Der 1949 geborene Kläger leidet an Multipler Sklerose. Bei ihm liegen unter anderem ein Funktionsverlust des linken Arms und eine linksbetonte Schwäche beider Beine vor. Seit Mai 2004 ist bei ihm bei einem zeitlichen Aufwand der Grundpflege von mehr als zwei Stunden täglich Pflegestufe II anerkannt. Er wird im häuslichen Umfeld von seiner Frau und seinen Töchtern gepflegt.
Der Beschwerdeführer ist privat bei demselben Unternehmen kranken- und pflegeversichert. Der private Pflegeversicherer lehnte seinen Antrag auf Gewährung eines eigenbedienbaren Rollstuhls mit elektrischem Antrieb unter Hinweis auf den Ausschluss eines solchen Hilfsmittels im Hilfsmittelverzeichnis der privaten Pflegeversicherung ab. Dem Beschwerdeführer wurde die Versorgung mit einem fremdbedienbaren Rollstuhl mit elektrischem Antrieb angeboten. Im Klageverfahren verurteilte das Sozialgericht das private Pflegeversicherungsunternehmen zur Leistung eines eigenbedienbaren Rollstuhls, der dem Beschwerdeführer eine selbständigere Lebensführung ermögliche. Der entsprechende Ausschluss im Hilfsmittelverzeichnis sei unbeachtlich. Dem entsprach das Unternehmen. Auf dessen Berufung hin hob das Landessozialgericht den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid auf und wies die Klage sowie die Anschlussberufung des Beschwerdeführers ab. Das beanspruchte Hilfsmittel unterfalle mit der damit verbundenen Möglichkeit einer selbständigeren Lebensführung nicht der Pflege-, sondern der Krankenversicherung. Insoweit sei es unbeachtlich, dass im konkreten Fall die private Krankenversicherung des Beschwerdeführers vertragsgemäß lediglich zur Gewährung eines Teilbetrags in Höhe von 800 Euro verpflichtet sei. Die dagegen eingelegte Revision des Beschwerdeführers blieb erfolglos.
2. Der Beschwerdeführer hat am 31. Januar 2006 Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er rügt eine Verletzung der Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1, Art. 33 Abs. 1 und 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Eine besondere Dringlichkeit ergebe sich aus dem Herausgabeverlangen des privaten Pflegeversicherungsunternehmens. Dieses habe nach Erlass des Urteils des Bundessozialgerichts den ihm zur Verfügung gestellten Rollstuhl zurückgefordert und zugleich Schadensersatzforderungen gemäß § 945 ZPO angekündigt.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
1. a) Es kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde zulässig ist. Entsprechende Zweifel bestehen im Hinblick auf die Pflicht zur substantiierten Begründung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und auf das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Der Beschwerdeführer hat nicht vorgetragen, ob er im Hinblick auf die gerügte Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG von der nach § 178 a Abs. 1 SGG statthaften Anhörungsrüge Gebrauch gemacht hat (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005, NJW 2005, S. 3059).
b) Zu entscheiden ist auch nicht, ob der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist. Der Beschwerdeführer hat sich gegen das Herausgabeverlangen des privaten Versicherungsunternehmens weder in der Hauptsache noch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durch die Fachgerichte zur Wehr gesetzt. Gründe für die Unzumutbarkeit eines entsprechenden Vorgehens sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
2. Die Annahmevoraussetzungen nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG sind jedenfalls nicht gegeben. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht erkennbar, dass die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen Verfassungsrecht verletzen.
a) Auslegung und Anwendung des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI durch das Bundessozialgericht sind verfassungsrechtlich unbedenklich. Gegen die hierbei vorgenommene Auslegung der Vorschrift am Wortlaut und gegen die ergänzend herangezogenen systematischen Erwägungen zur Abgrenzung der Leistungszuständigkeit von Kranken- und Pflegeversicherung sind vom Beschwerdeführer verfassungsrechtliche Zweifel weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. Das Bundesverfassungsgericht hat die angegriffenen Entscheidungen aber allein am Maßstab des Grundgesetzes zu prüfen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 95, 96 <128>). Gleiches gilt für das Urteil des Landessozialgerichts.
b) Soweit die vom Bundessozialgericht vorgenommene Abgrenzung der Leistungsverpflichtungen der beiden Versicherungssparten im Falle des Beschwerdeführers dazu führt, dass ihm das begehrte Hilfsmittel nicht aus der Pflegeversicherung zu leisten ist, sondern Sache der Krankenversicherung wäre, ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für einen Verfassungsverstoß. Der Beschwerdeführer hat weder ausdrücklich noch sinngemäß eine am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG unzulässige Ungleichbehandlung gegenüber Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung gerügt. Auch äußert sich der Verfassungsbeschwerdeführer nicht zu den Gründen für die im privaten Krankenversicherungsschutz bestehende Sicherungslücke, die offenbar zur Folge hat, dass ihm lediglich ein Zuschuss in Höhe von 800 Euro zu dem begehrten Hilfsmittel zu leisten ist. Es kann daher nicht geprüft werden, ob unter diesem Gesichtspunkt verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angegriffenen Entscheidungen bestehen.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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