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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 14.02.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 2721/05
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 10
GG Art. 19 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2721/05 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen das Erste Gesetz zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes vom 22. Dezember 2005 (BGBl I S. 3681)

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 14. Februar 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Verlängerung der Befugnisse des Zollkriminalamts zur präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung nach dem Zollfahndungsdienstgesetz (ZFdG).

I.

1. Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 3. März 2004 die Unvereinbarkeit der damaligen §§ 39 bis 41 des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) mit Art. 10 GG festgestellt und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung bis zum 31. Dezember 2004 aufgefordert hatte (vgl. BVerfGE 110, 33), trat am 28. Dezember 2004 das Gesetz zur Neuregelung der präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung durch das Zollkriminalamt vom 21. Dezember 2004 (BGBl I S. 2603) in Kraft. Die präventive Telekommunikations- und Postüberwachung wurde nunmehr in den §§ 23 a bis 23 f sowie 45 bis 47 ZFdG geregelt. Das Gesetz war bis zum 31. Dezember 2005 befristet. Mit dem hier angegriffenen Ersten Gesetz zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes vom 22. Dezember 2005 (BGBl I S. 3681) wurde die Geltungsdauer der Vorschriften des Zollfahndungsdienstgesetzes bis zum 30. Juni 2007 verlängert. Das Gesetz wurde am 30. Dezember 2005 im Bundesgesetzblatt verkündet und ist am 31. Dezember 2005 in Kraft getreten.

Im Gesetzgebungsverfahren wies die Bundesregierung darauf hin, dass bei der Abfassung der Vorschriften des Zollfahndungsdienstgesetzes offen geblieben sei, ob Regelungen zum Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung geschaffen werden müssten. Mit seiner Entscheidung vom 27. Juli 2005 (BVerfGE 113, 348 ff.) habe das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen an den Kernbereichsschutz bestimmt. Diese Rechtsprechung solle im Rahmen einer Neuregelung umgesetzt werden; wegen der vorgezogenen Bundestagswahl sei es in der letzten Legislaturperiode nicht mehr dazu gekommen, daher sei die Verlängerung der Geltungsdauer der bisherigen Regelungen für eine Übergangszeit erforderlich (vgl. BTDrucks 16/88, Begründung, S. 6). Darüber, dass die derzeitige Regelung änderungsbedürftig sei, herrschte im Bundestag weithin Einigkeit; umstritten war hingegen, ob der Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung des Einzelnen im Bereich der Telekommunikationsüberwachung ebenso weit gehen müsse wie bei der akustischen Wohnraumüberwachung (vgl. BTDrucks 16/252; vgl. auch Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 8. Sitzung vom 15. Dezember 2005, Verh. 16/8, S. 499 <A> ff.).

2. Die Beschwerdeführer, eine Bürgerrechtsvereinigung, ein Journalist sowie ein Rechtsanwalt, der nach seinen Angaben nahezu ausschließlich als Strafverteidiger tätig wird, rügen die Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 10 GG sowie einen Verstoß gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie seien von den Regelungen des Gesetzes betroffen, weil die Befugnisse des Zollkriminalamts weder eine enge tatbestandliche Begrenzung aufwiesen noch die zufällige Betroffenheit von Unbeteiligten ausgeschlossen sei. Im Gegenteil gehöre es zum Charakter von verdeckten Vorfeldbefugnissen jeglicher Art, dass auch in jeder Hinsicht Unverdächtige von den Eingriffen betroffen würden. Die Beschwerdeführer zu 2 und zu 3 - der Journalist und der Rechtsanwalt - müssten mit einer berufsbedingt gesteigerten Betroffenheit ihrer Telekommunikation rechnen, da es jeweils nahe liegend sei, dass sie auch von §§ 23 a ff. ZFdG erfasste Kontakte hätten. Ihre Telefonnummern dienten sämtlich nicht ausschließlich dienstlichen Zwecken, sondern würden auch zur Kommunikation mit nahe Familienangehörigen und anderen Personen des persönliche Vertrauens benutzt. Die Verfassungsbeschwerde sei begründet, weil Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung im Zollfahndungsdienstgesetz vollständig fehlten. Zudem sei das Zitiergebot verletzt. Ferner würden bestimmte Berufsgeheimnisträger nicht von der Überwachung ihrer Kommunikation mit einer Zielperson ausgenommen. Der besondere Schutz von Gesprächen mit dem Strafverteidiger könne nicht erst dann einsetzen, wenn ein Betroffener den Status eines Beschuldigten besitze und der beauftragte Rechtsanwalt als Strafverteidiger tätig werde. Für Gespräche mit dem gewählten Anwalt müsse grundsätzlich gelten, dass eine Ausnahme von der Informationserhebung gelte, um die entsprechende Vertrauensbeziehung mit dem Mandanten effektivieren zu können. Diesem Grundsatz werde die angegriffene Regelung nicht gerecht, weil zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Zeugnisverweigerungsberechtigten nicht hinreichend differenziert werde. Nicht jede der in §§ 53, 53 a StPO genannten Vertrauensbeziehungen diene gleichermaßen dem Schutz der Menschenwürde.

3. Den Antrag der Beschwerdeführer auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die Kammer mit Beschluss vom 5. Januar 2006 abgelehnt.

4. Nach Auskunft des Bundesministeriums der Finanzen befindet sich ein Entwurf von Neuregelungen, die die angegriffenen Bestimmungen ablösen sollen, derzeit in der Abstimmung zwischen den Ressorts der Bundesregierung.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da Annahmegründe im Sinne des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil die Beschwerdeführer entgegen § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht hinreichend dargelegt haben, dass sie durch die angegriffenen Regelungen in eigenen Grundrechten betroffen sein können.

1. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz und ergibt sich die Betroffenheit nicht unmittelbar aus der Norm, sondern erst aus einem Vollzugsakt, ist die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich gegen diesen zu richten (vgl. BVerfGE 100. 313 <354>). Eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz ist nur ausnahmsweise zulässig. Vorausgesetzt wird die Darlegung einer eigenen, unmittelbaren und gegenwärtigen Beschwer (vgl. BVerfGE 1, 97 <101 ff.>; 18, 1 <11 ff.>; 91, 294 <305>; stRspr). Der Beschwerdeführer muss nicht nur eine nach § 92 BVerfGG substantiierte Behauptung aufstellen, durch die Rechtsnorm überhaupt beschwert zu sein, sondern die von ihm angegriffene Rechtsnorm muss nach Struktur und Inhalt geeignet sein, in Grundrechte des Beschwerdeführers einzugreifen, das heißt unmittelbar eine grundrechtlich geschützte Rechtsposition zu seinem Nachteil zu verändern (vgl. BVerfGE 40, 141 <156>; 64, 301 <319>; BVerfGK 4, 317 <320>).

Eine gegen ein Gesetz gerichtete Verfassungsbeschwerde kann dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn der Betroffene von dem Vollzugsakt keine Kenntnis erlangen kann (vgl. BVerfGE 30, 1 <16 f.>; 67, 157 <169 f.>; 100, 313 <354>; 109, 279 <306 f.>; 113, 348 <362>). Die Anforderungen an die Begründung der Verfassungsbeschwerde sind unter diesen Voraussetzungen erfüllt, wenn der Beschwerdeführer substantiiert darlegt, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die auf den angegriffenen Rechtsnormen beruhenden Maßnahmen in seinen Grundrechten berührt wird (vgl. BVerfGE 100, 313 <354>; 109, 279 <307 f.>; 113, 348 <363>; 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 25. April 2001 - 1 BvR 1104/92 u.a. -, NVwZ 2001, S. 1261 <1262>).

2. Diesen Begründungsanforderungen genügen die Ausführungen in der Verfassungsbeschwerde nicht. Eine hinreichende Möglichkeit der Betroffenheit der Beschwerdeführer in eigenen Grundrechten ist nicht zu erkennen.

a) Im Hinblick auf die speziellen Voraussetzungen für Eingriffe nach dem Zollfahndungsdienstgesetz sind die Ausführungen der Beschwerdeführer, die Maßnahmen des Zollkriminalamts nach diesem Gesetz könnten "praktisch jeden" treffen, unsubstantiiert.

aa) Die Beschwerdeführer beschränken sich im Wesentlichen auf die Behauptung, die Bestimmungen des Zollfahndungsdienstgesetzes seien mit der früheren Vorschrift des § 33 a Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds.SOG) zu vergleichen. Dabei übersehen sie jedoch gewichtige Unterschiede zwischen dem Zollfahndungsdienstgesetz und den Regelungen des Niedersächsischen Gesetzes, die das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 27. Juli 2005 für nichtig erklärt hat (vgl. BVerfGE 113, 348 ff.).

Die Bestimmungen des Zollfahndungsdienstgesetzes sehen Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nur vor, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Personen bestimmte, im Einzelnen aufgezählte Straftaten des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen vorbereiten oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Verstoß gegen bestimmte Verordnungen über Waffenausfuhr etc. erheblich gefährden. In Bezug genommen werden spezielle Normen, die in der Praxis nur selten verwirklicht werden dürften. Danach ist der Kreis der potentiellen Betroffenen einer Überwachungsmaßnahme von vornherein deutlich eingeengt.

Für die Beschwerdebefugnis ist es bedeutsam, ob die Norm zu Maßnahmen gegen einen tatbestandlich eng umgrenzten Personenkreis ermächtigt oder zu Maßnahmen mit einer großen Streubreite, die Dritte auch zufällig erfassen kann (vgl. BVerfGE 109, 279 <308>; 113, 348 <363>). Die hier angegriffene Ermächtigung hat einen eng umgrenzten Anwendungsbereich und dementsprechend keine große personelle Streubreite. Im Gegensatz zur Regelung des früheren § 33 a Abs. 1 Nr. 3 und 4 Nds.SOG wird in § 23 a Abs. 2 ZFdG auch das Tatbestandsmerkmal "Vorbereiten von Straftaten" detailliert und konkret definiert, was die Streubreite der Überwachung weiter einschränkt.

Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, warum dennoch mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie Objekt der Überwachungsmaßnahme werden könnten.

bb) Auch die Vorschrift des § 23 a Abs. 4 ZFdG, die die Einbeziehung Dritter in die Überwachung regelt, führt nicht zu einer Ausweitung mit großer Streubreite. Maßnahmen des Zollkriminalamts dürfen außer gegen die Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die in § 23 a Abs. 1 ZFdG in Bezug genommenen Straftaten vorbereiten, oder dass sie unter den Voraussetzungen des § 23 a Abs. 3 ZFdG die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gefährden, nur gegen Personen gerichtet werden, bei denen die Voraussetzungen des § 23 a Abs. 4 ZFdG vorliegen. Das ist der Fall, wenn es sich um Personen handelt, die für die in den Absätzen 1 oder 3 genannten Personen tätig sind, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die letztgenannten an ihrem Postverkehr teilnehmen, ihre Telekommunikationsgeräte benutzen oder für sie Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, ferner, wenn es sich um Personen handelt, deren Telekommunikationsanschluss oder Endgerät von Personen nach Absatz 1 oder Absatz 3 benutzt wird. Es ist nicht erkennbar oder dargelegt, dass diese Voraussetzungen auf die Beschwerdeführer mit einiger Wahrscheinlichkeit zutreffen.

b) Anders als § 33 a Nds.SOG a.F. enthält § 23 a ZFdG in Absatz 5 auch eine ausdrückliche, wenn auch nicht lückenlos wirkende Vorschrift zum Schutz von Zeugnisverweigerungsberechtigten nach §§ 53, 53 a StPO. In der Verfassungsbeschwerde wird nicht ausgeführt, inwiefern diese Regelung dem Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts der Presseangehörigen und damit des Beschwerdeführers zu 2 nicht genügen soll. Hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 3, des Rechtsanwalts, fehlt es an einer substantiierten Darlegung, warum die Vorschrift verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen und die grundsätzlich mögliche verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift unter Berücksichtigung der von den Beschwerdeführern zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeschlossen sein soll.

c) Hinsichtlich der Rüge des Fehlens von Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist eine eigene Betroffenheit der Beschwerdeführer ebenfalls nicht zu erkennen. Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, inwiefern die Normen des Zollfahndungsdienstgesetzes nach Struktur und Inhalt geeignet sein sollen, in grundrechtlich geschützte Positionen der Beschwerdeführer einzugreifen. Dies gilt für die Beschwerdeführerin zu 1, die Bürgerrechtsorganisation (und ihre Mitglieder), bereits aus den oben ausgeführten Gründen (vgl. a aa). Für die beiden anderen Beschwerdeführer fehlt es an einer Darlegung, weshalb gerade sie durch die angegriffenen Regelungen in dem Kernbereich ihrer privaten Lebensgestaltung betroffen sein könnten. Soweit sie geltend machen, dass sie in ihrer - beruflichen - Eigenschaft als Strafverteidiger oder als Journalist in Kontakt mit Personen träten, die von Überwachungsmaßnahmen des Zollkriminalamts betroffen sein könnten, liegt es grundsätzlich fern, dass davon Gespräche erfasst werden könnten, die dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung der Beschwerdeführer zuzuordnen sind. Insofern hätte es besonderen Vortrags bedurft.

Aus den oben (vgl. a bb) genannten Gründen ist auch nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür dargelegt, dass der Telekommunikationsanschluss der Beschwerdeführer und dadurch ihre Kommunikation mit Gesprächspartnern aus ihrem Privatbereich vom Zollkriminalamt gemäß § 23 a Abs. 4 ZFdG überwacht werden könnte.

3. Da die Beschwerdeführer schon die mögliche eigene Betroffenheit in Grundrechten nicht hinreichend dargelegt haben, bedarf die Frage einer etwaigen Verletzung des Zitiergebots keiner Erörterung.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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