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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 31.08.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 285/01
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2
GG Art. 3
GG Art. 14
GG Art. 12
GG Art. 20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 285/01 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. Dezember 2000 - B 12 KR 11/00 R -,

b) den Widerspruchsbescheid der AOK Rheinland vom 15. November 1995 - 2.2.2-fi -,

c) den Bescheid der AOK Rheinland vom 10. August 1995 - 2.1.02.-Schi -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 31. August 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Verhältnis von gesetzlicher Rentenversicherung und berufsständischer Versorgung.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist Arzt. Vom 1. Juli 1989 an war er abhängig beschäftigt und Pflichtmitglied bei der Baden-württembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte. Wegen dieser Pflichtmitgliedschaft befreite die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 22. August 1989 auf seinen Antrag von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Von 1. August 1994 bis 31. März 1996 war der Beschwerdeführer als Managementberater bei der Firma K. in München beschäftigt. Die als Einzugsstelle zuständige Krankenkasse stellte mit Bescheid vom 10. August 1995 gegenüber dem Beschwerdeführer fest, er sei wegen dieser Beschäftigung seit dem 1. August 1994 in der Rentenversicherung der Angestellten versicherungspflichtig. Mit der gegen diesen Bescheid und den ihn bestätigenden Widerspruchsbescheid gerichteten Klage hatte er beim Sozialgericht und beim Landessozialgericht Erfolg. Das Bundessozialgericht wies dagegen die Klage ab, soweit in dem Bescheid für die Zeit ab 1. September 1995 die versicherungspflichtige Beschäftigung des Beschwerdeführers festgestellt wurde. In der Begründung ist unter anderem ausgeführt, der Beschwerdeführer sei während seiner Tätigkeit bei der Firma K. nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI rentenversicherungspflichtig gewesen. Die Befreiung vom 22. August 1989 habe sich nicht darauf erstreckt. Für Personen, die am 31. Dezember 1991 von der Versicherungspflicht befreit gewesen wären, würde § 231 Abs. 1 Satz 1 SGB VI anordnen, dass diese in der jeweiligen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit befreit blieben. Die Versicherungspflicht in Beschäftigungen, auf die sich die Befreiung nicht erstrecke, trete kraft Gesetzes ein. Der Befreiungsbescheid brauche deshalb nicht aufgehoben zu werden.

2. Mit seiner gegen die im Verwaltungsverfahren ergangenen Entscheidungen und gegen das Urteil des Bundessozialgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, seine Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung verstoße gegen Art. 2, Art. 3, Art. 14 in Verbindung mit Art. 12 und gegen Art. 20 GG. Das Bundessozialgericht habe zudem Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Es habe nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer während des streitgegenständlichen Zeitraums nur deshalb nicht Pflichtmitglied des Versorgungswerks der Ärzte in Bayern geworden sei, weil er seine Mitgliedschaft bei der Baden-württembergischen Versorgungsanstalt aufrecht erhalten habe.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen von § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Art. 14 Abs. 1 GG wird durch die Feststellung, der Beschwerdeführer sei im streitgegenständlichen Zeitraum in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig gewesen, nicht berührt. Das Grundrecht vermittelt keinen Anspruch darauf, als abhängig Beschäftigter nicht der Versicherungspflicht zu unterliegen.

a) Die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als solche kann nicht Gegenstand des Eigentumsschutzes sein. Öffentlich-rechtliche Rechtspositionen des privaten Einzelnen sind dann in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG einbezogen, wenn der Einzelne dabei eine Rechtsstellung erlangt, die der des Eigentümers entspricht. Eine derartige eigentumsähnliche Verfestigung ist dann gegeben, wenn nach der gesamten Ausgestaltung des subjektiv-öffentlichen Rechts und nach dem rechtsstaatlichen Gehalt des Grundgesetzes es ausgeschlossen erscheint, dass der Staat dieses ersatzlos entziehen kann (vgl. BVerfGE 45, 142 <170> m.w.N.). Daran fehlt es hier, weil die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nicht auf eigener Leistung, sondern auf staatlicher Gewährung beruht (vgl. BVerfGE 29, 283 <302>; 45, 142 <170>).

b) Das Eigentumsgrundrecht ist aber auch unter anderen Gesichtspunkten nicht beeinträchtigt. Die im Versorgungswerk erworbene Anwartschaft auf Leistungen, der grundsätzlich Eigentumsschutz zukommt, bleibt von der Feststellung der Rentenversicherungspflicht unberührt. Dass ein Betroffener möglicherweise nach Beendigung einer Befreiung wegen nicht erfüllter und nicht erfüllbarer Wartezeiten nicht mehr in der Lage ist, sie zum Vollrecht erstarken zu lassen, bewirkt keinen Eigentumseingriff (vgl. BVerfGE 98, 365 <401>). Die Aussicht, durch Zahlung weiterer Beiträge und Zurücklegung weiterer Versicherungszeiten eine besonders ertragreiche Altersversorgung zu erlangen, ist eigentumsrechtlich nicht geschützt.

2. Die Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verletzt den Beschwerdeführer auch nicht in anderen Grundrechten.

a) Es ist unter keinem grundrechtlichen Gesichtspunkt geboten, dem Beschwerdeführer die aus seiner Sicht optimale Altersversorgung zukommen zu lassen. Ihm steht von Verfassungs wegen kein Wahlrecht zu, das es ihm ermöglichen würde, im Lauf eines Berufslebens die jeweils günstigste Versorgungsmöglichkeit zu wählen oder an ihr festzuhalten und die Anwendung aller anderen Versicherungspflichten auszuschließen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. September 1990, NJW 1991, S. 746 <747>), auch wenn nach dem Vortrag des Beschwerdeführers die weitere Zugehörigkeit zur Versorgungsanstalt erheblich günstiger wäre als ein Wechsel zur gesetzlichen Rentenversicherung. Ebenso wenig können Personen, die das Altersversorgungssystem wechseln, verlangen, dabei von jeglichem rechtlichen Nachteil verschont zu bleiben.

b) Die Pflichtmitgliedschaft und die damit einhergehende Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verletzen grundsätzlich auch bei Höherverdienenden, die anderweitig für ihre Alterssicherung Sorge tragen könnten, nicht Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 29, 221 <235 ff.>). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Versicherungspflicht nicht an die individuelle soziale Schutzbedürftigkeit eines Versicherungspflichtigen anknüpft, sondern lediglich den Tatbestand der Beschäftigung voraussetzt. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass diejenigen Personen, die ihre Arbeitskraft in den Dienst anderer stellen, im Allgemeinen auf diese Beschäftigung zur Erlangung ihres Lebensunterhalts angewiesen und daher sozial schutzbedürftig sind (vgl. BVerfGE 18, 257 <270 f.>).

c) Es kann dahinstehen, ob es Fälle gibt, in denen das geltende Recht, weil es bei einem Wechsel des Versorgungssystems dem Einzelnen Nachteile zumutet, unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes aus Art. 12 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. Jedenfalls kann dies für den Beschwerdeführer nicht festgestellt werden. Da die Versorgungsanstalt keine leistungsrechtlichen Wartezeiten kennt, kann die Anwartschaft des Beschwerdeführers ohne weiteres zum Vollrecht erstarken. Es bedarf keiner Erörterung, ob angesichts dessen die rechtliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers überhaupt über das Maß hinausgeht, das generell mit der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verbunden ist. Jedenfalls erscheinen eventuell verbleibende Nachteile zu geringfügig, als dass man aus dem Grundgesetz einen Anspruch des Beschwerdeführers daraus herleiten könnte, bis auf Weiteres oder gar auf Dauer von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verschont zu bleiben, um seiner Beschwer abzuhelfen.

d) Die Aufhebung des mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteils des Bundessozialgerichts ist auch nicht aus Gründen des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes geboten. Denn der Beschwerdeführer kann gemäß § 28 g Satz 4 SGB IV nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung seiner Auskunfts- und Vorlagepflicht nach § 28 o Abs. 1 SGB IV für eine Beitragsnachforderung persönlich in Anspruch genommen werden. Im Übrigen hat das Bundessozialgericht, indem es die Wirkung der Feststellung der Versicherungspflicht im Bescheid vom 10. August 1995 auf den Zeitraum nach dem 1. September 1995 beschränkt hat, dem schutzwürdigen Vertrauen des Beschwerdeführers hinreichend Rechnung getragen.

3. Auch eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG kann nicht festgestellt werden. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde ist insoweit schon nicht geeignet, die Möglichkeit einer Verletzung des rechtlichen Gehörs plausibel darzulegen. Denn der Beschwerdeführer ist offenbar von einem anderen materiell-rechtlichen Ansatz als das Bundessozialgericht ausgegangen. Der von ihm im Rahmen von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI hervorgehobene Umstand, dass die Beschäftigung im streitgegenständlichen Zeitraum eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Ärzte in Bayern begründet habe, war nach der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts unerheblich.

Es ist ebenso nicht ersichtlich, dass das Bundessozialgericht gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs verstoßen hätte.

a) Der sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergebenden Aufklärungspflicht ist das Bundessozialgericht nachgekommen, indem es den Beschwerdeführer mit Berichterstatterschreiben vom 1. November 2000 auf seine von den Vorinstanzen abweichende Rechtsauffassung aufmerksam gemacht hat. Dadurch ist der Beschwerdeführer in die Lage versetzt worden, eine Gegenrüge zu erheben (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage 2002, § 170 Rn. 4 a). Dass das Bundessozialgericht an die Erhebung der Gegenrüge zu strenge formale Anforderungen gestellt haben könnte, ist nicht erkennbar.

b) Es ergibt sich auch nicht mit der gebotenen Deutlichkeit (vgl. BVerfGE 27, 248 <252>; 65, 293 <295 f.>; 70, 288 <293>), das Bundessozialgericht könnte relevanten Vortrag des Beschwerdeführers nicht in Erwägung gezogen haben. Die konkreten Umstände sprechen vielmehr dafür, dass das Gericht dessen Äußerungen lediglich für rechtlich unerheblich gehalten hat. Dagegen bietet Art. 103 Abs. 1 GG jedoch keinen Schutz (vgl. BVerfGE 11, 343 <349>; stRspr). Vortrag in den Vorinstanzen, auch wenn er sich aus den Verfahrensakten ergeben sollte, muss das Bundessozialgericht als Revisionsgericht grundsätzlich nicht berücksichtigen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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