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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 27.04.2006
Aktenzeichen: 1 BvR 2866/04
Rechtsgebiete: GG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
BGB § 1748 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvR 2866/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

1. unmittelbar gegen

a) den Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 18. November 2004 - 5 W 221/04- 73 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 5. Februar 2004 - 10 XVI H 11/03 -,

2. mittelbar gegen § 1748 Abs. 4 BGB

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Hoffmann-Riem am 27. April 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 18. November 2004 - 5 W 221/04- 73 - und der Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 5. Februar 2004 - 10 XVI H 11/03 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes; sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Saarbrücken zurückverwiesen.

2. Das Land Saarland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu ersetzen.

Gründe:

I.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der leibliche Vater eines nichtehelich geborenen Kindes gegen dessen Adoption durch die Mutter und deren Ehemann (Stiefvater). Die Verfassungsbeschwerde richtet sich mittelbar gegen § 1748 Abs. 4 BGB in der seit In-Kraft-Treten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 geltenden Fassung, soweit danach die Einwilligung des zu keinem Zeitpunkt sorgeberechtigt gewesenen Vaters des nichtehelich geborenen Kindes unter leichteren Voraussetzungen ersetzt werden kann, als dies bei den übrigen Vätern der Fall ist.

1. Der Beschwerdeführer ist der nichteheliche Vater des im Oktober 1999 geborenen Kindes M. Er ist seit 1999 inhaftiert, hat im Jahr 2001 die Vaterschaft anerkannt und nach seinem eigenen Bekunden von seinem Arbeitsentgelt regelmäßig Unterhalt bezahlt. Die Kindesmutter ist gemäß § 1626 a BGB Inhaberin des alleinigen Sorgerechts. Sie heiratete im Juli 2001 einen anderen Mann, der die Adoption des Kindes begehrte. Der Beschwerdeführer erteilte die nach § 1747 BGB grundsätzlich erforderliche Einwilligung in die Adoption nicht.

2. Mit angegriffenem Beschluss vom 5. Februar 2004 ersetzte das Amtsgericht Saarbrücken auf Antrag des Kindes die Einwilligung des Beschwerdeführers in die Adoption. Die Auslegung des § 1748 Abs. 4 BGB sei umstritten. Das Gericht schließe sich der Auffassung an, dass ein unverhältnismäßiger Nachteil im Sinne der Vorschrift bereits vorliege, wenn das Unterbleiben der Adoption für das Kind nachteilig sei und wenn die Abwägung der Interessen des Kindes mit denen des Vaters zu dem Ergebnis führe, dass das Interesse des Kindes an der Adoption überwiege. Vorliegend überwiege das Interesse des Kindes an der Adoption das Interesse an der Beibehaltung der verwandtschaftlichen Beziehung. Denn es sei aufgrund der Inhaftierung des Beschwerdeführers niemals eine Vater-Kind-Beziehung aufgebaut worden. Demgegenüber kenne der Ehemann der Kindesmutter das Kind, seitdem dieses drei Monate alt sei. Das Kind sei mit dem Ehemann der Mutter groß geworden, als wäre dieser sein leiblicher Vater.

3. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers hin änderte das Landgericht Saarbrücken mit Beschluss vom 27. Juli 2004 den Beschluss des Amtsgerichts ab und wies den Antrag auf Ersetzung der Einwilligung zurück. Es genüge nicht, wenn das Unterbleiben der Adoption für das Kind in irgendeiner Form nachteilig sei, es müsse sich vielmehr um einen unverhältnismäßigen Nachteil handeln. Ohne den Ausspruch der Adoption wäre derzeit für das Antrag stellende Kind keine unmittelbare Gefährdung erkennbar. Das Kind trage den Namen der Familie und sei auch in den Familienverband tatsächlich integriert. Der Beschwerdeführer müsse für den Erwerb des Eigengeldes Leistungen in der Justizvollzugsanstalt erbringen. Es sei anzuerkennen, dass er durch diese Arbeitsleistung für den Lebensunterhalt seines Sohnes aufkomme. Auch sei seine Darlegung nicht widerlegt, dass er sich zu dem Kind hingezogen fühle. Dass keine Vater-Kind-Beziehung entstanden sei, liege daran, dass die Kindesmutter einen anderen Mann geheiratet habe und der Beschwerdeführer inhaftiert sei. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung eine achtjährige Freiheitsstrafe verbüße, stelle keine Rechtfertigung für die Ersetzung seiner Einwilligung zur Adoption seines Kindes dar. Die Inhaftierung sei kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG.

4. Diese Entscheidung änderte das Saarländische Oberlandesgericht mit angegriffenem Beschluss vom 18. November 2004 dahingehend ab, dass die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts zurückgewiesen wurde. Für die Ersetzung der Einwilligung nach § 1748 Abs. 4 BGB sei ein Fehlverhalten des Vaters nicht Voraussetzung. Es könne dahinstehen, ob das Landgericht den Vortrag der Kindesmutter nur unzureichend berücksichtigt habe, dass der Beschwerdeführer bei den gemeinsamen Besuchen der Kindesmutter und des Kindes in der Justizvollzugsanstalt nur in Anwesenheit Dritter den liebevollen Vater gespielt und ansonsten keinerlei Interesse am Kind gezeigt habe. Selbst wenn man den vom Landgericht festgestellten Sachverhalt zugrunde legte, würde die Nichtersetzung der Adoption einen unverhältnismäßigen Nachteil darstellen. Das Kind sei vom Säuglingsalter an in einem Familienverband aufgewachsen, der als geradezu idealtypisch anzusehen sei. Das Kind wachse derzeit unter Bedingungen auf, die in jeder Hinsicht denen einer "normalen" Familie entsprächen. Das Landgericht vernachlässige den Gesichtspunkt, dass der Ehemann der Kindesmutter unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet sei, Leistungen für das Antrag stellende Kind zu erbringen. Ob der Beschwerdeführer nach seiner Haftentlassung in gleichem Maße in der Lage und bereit sei, für das Kind zu sorgen wie der Ehemann der Kindesmutter, sei nicht festgestellt. Noch gravierender seien die Veränderungen im persönlichen Bereich, die zu besorgen seien, wenn die Adoption unterbleibe. Der Beschwerdeführer beabsichtige nach eigenem Bekunden, ein Umgangsrecht zu erhalten und auszuüben. Er sei jedoch aus Sicht des Kindes für dieses ein Fremder.

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. § 1748 Abs. 4 BGB verletze den Beschwerdeführer unter anderem in seinem Anspruch auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG, weil es noch immer dem nichtehelichen Vater gesetzlich nicht möglich sei, ohne Zustimmung der Kindesmutter Inhaber oder Mitinhaber des Sorgerechts zu werden. Das Elternrecht des Beschwerdeführers verlange es, dass der Gesetzgeber die Rechtsstellung des leiblichen Vaters gebührend berücksichtige und nicht differenziere zwischen ehelichen Vätern, nichtehelichen Vätern und nichtehelichen Vätern, die abhängig von der Zustimmung der Kindesmutter Mitinhaber des Sorgerechts seien. Evident werde das grundrechtliche Defizit des § 1748 Abs. 4 BGB, wenn man die Rechtsstellung des Vaters eines nichtehelichen Kindes mit derjenigen eines geschiedenen und möglicherweise seit vielen Jahren von seiner Familie getrennt lebenden Vaters eines ehelichen Kindes vergleiche. Selbst wenn er kein Sorgerecht besitzen sollte und seit Jahren keinen Kontakt mehr zum Kind habe, gelte für ihn nicht eine Vorschrift wie die des § 1748 Abs. 4 BGB. Sachliche Rechtfertigungsgründe für eine solche Ungleichbehandlung gebe es nicht. Die vom Beschwerdeführer angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts habe lediglich zwei Elemente: Das Kind lebe in der Familie, der Vater sitze im Gefängnis; er habe keinen Kontakt zum Kind. Damit reduziere die Entscheidung sich darauf, dass letztendlich die Freiheitsstrafe die einzige Ursache für den Verlust des Elternrechts sei.

6. Das Bundesverfassungsgericht hat der saarländischen Landesregierung und der Verfahrensbeteiligten des Ausgangsverfahrens gemäß §§ 94, 77 BVerfGG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

7. Mit einer weiteren Eingabe vom 15. Februar 2006 hat der Beschwerdeführer dargelegt, die Kindesmutter lebe nunmehr seit vier Monaten von ihrem Ehemann - dem Adoptivvater des Kindes - getrennt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, weil ihre Annahme zur Durchsetzung des grundrechtlichen Anspruchs des Beschwerdeführers auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (vgl. § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

1. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen genügen nicht den aus Art. 3 Abs. 1 GG gründenden verfassungsrechtlich gebotenen Auslegungsmaßstäben zu § 1748 Abs. 4 BGB. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1444/01 klargestellt, dass § 1748 Abs. 4 BGB einer Auslegung zugänglich ist, die eine Ungleichbehandlung zwischen ehemals sorgeberechtigten Vätern und nicht sorgeberechtigten leiblichen Vätern vermeidet (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. November 2005, S. 8). Danach hat eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. März 2005 (vgl. BGH, NJW 2005, S. 1781 ff.) die Erwartung begründet, dass die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Ersetzung der Einwilligung in eine Adoption in der fachgerichtlichen Rechtsprechung künftig einheitlich gehandhabt werden. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs gereicht nach der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der Interessen von Vater und Kind das Unterbleiben der Adoption nur dann dem Kind zum unverhältnismäßigen Nachteil, wenn die Adoption einen so erheblichen Vorteil für das Kind bieten würde, dass ein sich verständig um sein Kind sorgender Elternteil auf der Erhaltung des Verwandtschaftsbandes nicht bestehen würde (vgl. BGH, NJW 2005, S. 1781 <1783>). Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf Seiten des Vaters unter anderem zu erwägen sein werde, ob und inwieweit ein gelebtes Vater-Kind-Verhältnis bestehe oder bestanden habe oder welche Gründe den Vater am Aufbau oder an der Aufrechterhaltung eines solchen Verhältnisses gehindert hätten (vgl. BGH, NJW 2005, S. 1781 <1783>). Wie sich aus seinen weiteren Ausführungen ergibt, stellt der Bundesgerichtshof dabei maßgeblich einerseits auf die Beweggründe und Belange des Vaters ab, eine Einwilligung in die Annahme zu versagen, andererseits auf das Verhalten der Kindesmutter. Insbesondere ist danach maßgeblich, ob und inwiefern die Kindesmutter und ihr Ehemann eine Beziehung des Vaters zum Kind zu unterbinden suchen (vgl. BGH, NJW 2005, S. 1781 <1783 f.>). Selbst wenn ein gelebtes Vater-Kind-Verhältnis fehlt, wird danach eine Ersetzung der Einwilligung nach Absatz 4 regelmäßig nur dann in Betracht kommen, wenn der Vater selbst durch sein Verhalten das Scheitern eines solchen Verhältnisses zu verantworten hat. Der Sache nach ist damit fachgerichtlich geklärt, dass § 1748 BGB in Absatz 4 auch eine Berücksichtigung des Vorverhaltens des Vaters verlangt.

2. Den festgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Insbesondere haben das Oberlandesgericht und das Amtsgericht im Wesentlichen nur darauf abgestellt, dass das Kind bei einer Adoption noch fester in einen "idealtypischen", "normalen" Familienverbund integriert werde. Im Zusammenhang mit den fehlenden Umgangskontakten des Beschwerdeführers haben die beiden Gerichte ausdrücklich darauf abgestellt, dass es insoweit auf ein Verschulden des Beschwerdeführers nicht ankomme. Das Oberlandesgericht hat darüber hinaus etwaig zu erwartende künftige Bemühungen des Beschwerdeführers um ein Umgangsrecht negativ als ein "Hineindrängen" des Beschwerdeführers in den "Familienverbund" der Kindesmutter, des adoptionswilligen Ehemanns und des Kindes gewertet, ohne dabei das Elternrecht des Beschwerdeführers angemessen zu berücksichtigen. Die Gründe der angegriffenen Entscheidungen stehen damit im Gegensatz zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die der Bundesgerichtshof in der besagten Entscheidung vom 23. März 2005 für die Ersetzung der Einwilligung in eine Adoption nach § 1748 Abs. 4 BGB festgestellt hat. Insbesondere verstoßen die angegriffenen Entscheidungen gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Rechtsgedanken, dass selbst beim Fehlen eines gelebten Vater-Kind-Verhältnisses die Ersetzung der Einwilligung nach § 1748 Abs. 4 BGB regelmäßig nur dann in Betracht kommen kann, wenn der Vater selbst durch sein Verhalten das Scheitern eines solchen Verhältnisses zu verantworten hat.

Überdies ist keineswegs gesichert, dass die neue Beziehung stets so "idealtypisch" verläuft, wie die Gerichte unterstellt haben. Sollte der - für die angegriffenen Entscheidungen allerdings nicht mehr entscheidungserhebliche - Vortrag des Beschwerdeführers zutreffen, dass die Kindesmutter und ihr Ehemann (der Adoptivvater) seit mehreren Monaten getrennt leben, gäbe es sogar im konkreten Fall Anhaltspunkte dafür, dass es im Interesse des Kindeswohls liegen kann, nicht schon stets dann eine Adoption zu ermöglichen, wenn der leibliche Vater durch äußere Umstände - hier die Verbüßung einer Freiheitsstrafe - am Aufbau einer engen Beziehung zu seinem Kind gehindert ist. Die auch während dieser Zeit mögliche Beziehung kann tragfähiger und dauerhafter sein als die zu einem neuen Partner der Mutter.

Da die Entscheidungen bereits in Ansehung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen einer umfassenden Interessenabwägung genügen, kommt es auf die Begründetheit weiterer Rügen des Beschwerdeführers nicht an. Daher sind die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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