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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 18.12.2006
Aktenzeichen: 1 BvR 2868/06
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a Abs. 2
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2868/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 31. Mai 2006 - VII B 42/05 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

den Präsidenten Papier, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 18. Dezember 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, da Annahmegründe nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Insbesondere verstößt der angegriffene Beschluss des Bundesfinanzhofs nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

1. Gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist auch der Europäische Gerichtshof. Es stellt einen Entzug des gesetzlichen Richters dar, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt (vgl.BVerfGE 73, 339 <366 f.>; 82, 159 <194 ff.> ; stRspr). Das Bundesverfassungsgericht beanstandet jedoch die Auslegung und Anwendung von Verfahrensnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl.BVerfGE 82, 159 <194>).

Diesen Maßstab hat das Bundesverfassungsgericht für die Rüge einer Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Nichtvorlage an den Europäischen Gerichtshof präzisiert, indem es Fallgruppen für eine solche Verletzung gebildet hat. Hier kommt dabei allein die Fallgruppe der Unvollständigkeit der Rechtsprechung in Betracht. Liegt danach zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht vor oder hat er die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (vgl. BVerfGE 82, 159 <195 f.>). Zu verneinen ist in diesen Fällen ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG deshalb bereits dann, wenn das Gericht die gemeinschaftsrechtliche Rechtsfrage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet hat (vgl. BVerfGK 4, 116 <118 f.>).

2. Nach diesem Maßstab bestehen gegen die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs, die Nichtzulassungsbeschwerde ohne Vorlage an den Europäischen Gerichtshof sogleich zurückzuweisen, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Beschwerdeführerin hat im Ausgangsverfahren die gemeinschaftsrechtliche Frage aufgeworfen, ob das Gemeinschaftsrecht gebietet, den durch die von ihr behaupteten Manipulationen verzerrten Saldierungsschlüssel nach § 7 b Abs. 2 der Milch-Garantiemengen-Verordnung zeitlich unbegrenzt abzuändern, also den im deutschen Recht vorgesehenen Stichtag für solche Abänderungen außer Acht zu lassen.

Dieser Frage ist der Bundesfinanzhof mit sorgfältigen und nachvollziehbaren Erörterungen ausführlich nachgegangen. Die Annahme des Gerichts, dass eine derartige Vorgabe nicht bestehe, ist nicht zu beanstanden. Den Mitgliedstaaten wird durch die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen in den Verordnungen Nr. 3950/92 und Nr. 536/93 freigestellt, ob eine Saldierung von Unter- und Überlieferungen überhaupt vorgenommen werden soll. Eine Ausnahme für das Gebiet der ehemaligen DDR enthalten diese Regelungen insoweit nicht. Wenn aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen eine Saldierung überhaupt nicht geboten ist, ist die Annahme des Bundesfinanzhofs zumindest vertretbar, dass das Gemeinschaftsrecht bestimmte verfahrensrechtliche Maßgaben wie die umstrittene Stichtagsregelung für die Abänderung eines fehlerhaften Saldierungsschlüssels nicht ausschließt.

Der Verweis der Beschwerdeführerin auf den 11. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 3950/92 begründet keine durchgreifenden Zweifel, ob die Ausführungen des Bundesfinanzhofs tragfähig sind. Diesem Erwägungsgrund lässt sich entnehmen, dass das Gemeinschaftsrecht gewissen Privilegien von Milcherzeugern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nicht entgegensteht. Ein gemeinschaftsrechtliches Gebot, diesen Erzeugern bestimmte verfahrensrechtliche Privilegien einzuräumen, folgt daraus nicht.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



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