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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 15.11.2001
Aktenzeichen: 1 BvR 289/00
Rechtsgebiete: GG, VereinsG, BVerfGG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1
GG Art. 9 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 2
VereinsG § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 289/00 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. Dezember 1999 - 3 StR 353/99 -,

b) das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 25. März 1999 - 21 KLs/10 Js 803/96 (1/97) -

und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 15. November 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird unbeschadet des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz wird abgelehnt.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot.

I.

1. a) Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er kam 1988 nach Deutschland. Im gleichen Jahr wurde er Mitglied der PKK (Patiya Karkeren Kurdistan = "Arbeiterpartei Kurdistans") und der ERNK (Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan = "Nationale Befreiungsfront Kurdistans"). Mit Verfügung des Bundesministers des Innern vom 22. November 1993 wurde der PKK einschließlich ihrer Teilorganisation ERNK verboten, sich im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes zu betätigen. Das seit 26. März 1994 unanfechtbare Verbot war damit begründet worden, dass die Tätigkeit der PKK/ERNK gegen die Strafgesetze verstoße, sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte, die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde.

b) Der Beschwerdeführer, der das Betätigungsverbot kannte, war neun Monate, von Anfang 1995 bis September 1995, Verwalter eines Depots, in dem vier Tonnen Propagandamaterial der PKK und ihrer Teilorganisationen gelagert wurden. Das Depot befand sich in einem Kellerraum eines ehemaligen Fabrikgeländes in Hannover. Von dort aus wurden die Materialien in den Großraum Hannover verbracht und an Einzelpersonen verteilt. Der Beschwerdeführer führte Bestandslisten über diese Materialien und notierte, in welchen Stückzahlen PKK-Publikationen in welche niedersächsischen Städte und an welche lokalen Ansprechpartner geliefert wurden. Er nahm das Geld für die Lieferungen entgegen, stellte hierüber Quittungen aus und leitete das eingenommene Geld an die deutsche Zentrale der PKK weiter.

c) Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG wegen Zuwiderhandelns gegen ein vollziehbares Verbot nach § 18 Satz 2 VereinsG zu einer Geldstrafe. Die von dem Beschwerdeführer hiergegen eingelegte Revision verwarf der Bundesgerichtshof durch die weiter angegriffene Entscheidung als unbegründet.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 2 GG. Die Verbreitung der Texte sei durch die Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt. Im Übrigen verstoße § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot.

II.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) zu, da sich die aufgeworfenen Fragen der Auslegung von Art. 5 Abs. 1 GG und der Strafbarkeit von Verstößen gegen Vereinsverbote anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantworten lassen (vgl. BVerfGE 25, 44 <55 ff.>; 80, 244 <256 f.>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 sowie Art. 20 Abs. 3 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde mangels einer hinreichenden Begründung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG bereits unzulässig.

2. Im Hinblick auf die im Übrigen als verletzt gerügten Verfassungsrechte hat die Verfassungsbeschwerde in der Sache keinen Erfolg.

a) In der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Vertriebs der Schriften liegt zwar ein Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG. Dabei kann dahinstehen, ob der Eingriff die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG oder die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG betrifft (zum Verhältnis der beiden Kommunikationsfreiheiten vgl. BVerfGE 85, 1 <12>). Jedenfalls ist der Eingriff gerechtfertigt. Das Grundrecht wird durch § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG wirksam eingeschränkt.

aa) Wie die Kammer im Beschluss vom heutigen Tage in dem Verfahren 1 BvR 98/97 dargelegt hat, ist die genannte Vorschrift ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Die dortigen Ausführungen im Zusammenhang mit einem Eingriff in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gelten sinngemäß auch für das vorliegende Verfahren. Hiernach ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof (vgl. BGHSt 42, 30 <35 ff.>) die Anwendung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG davon abhängig macht, ob das Organisationsgefüge - hier der PKK/ERNK - in messbarer Weise stabilisiert und gestärkt wird. Hierbei wird vorausgesetzt, dass dem Verhalten des Täters eine hinreichende Außenwirkung zukommt, aus der ein objektiver Bezug der Handlung des Einzelnen zur Tätigkeit des Vereins eindeutig erkennbar wird. Demgegenüber bleibt dem Einzelnen unbenommen, in der Öffentlichkeit die gleichen inhaltlichen Positionen wie die verbotene Organisation zu vertreten oder auch etwa angesichts veränderter Verhältnisse durch Meinungsäußerung auf die Aufhebung eines Tätigkeitsverbots hinzuwirken. In diesem Sinne ist auch die Verbreitung derartiger Meinungen im Rahmen einer pressemäßigen Betätigung nicht mit Strafe bedroht. Wird die Bestimmung des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG in diesem Sinne ausgelegt, werden weder das Grundrecht auf Meinungsfreiheit noch das auf Pressefreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt.

bb) Die vom Landgericht zu Grunde gelegte Konkretisierung des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG fügt sich in die verfassungsgemäße Auslegung der Vorschrift durch den Bundesgerichtshof ein: Die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Verwalter eines Depots, das als Lager und Vertriebsstelle für Propagandamaterial der PKK diente, ist auf die verbotene Tätigkeit der PKK bezogen und konkret geeignet, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen. Sie stellt sich von außen dar als Fortsetzung der Vereinstätigkeit auf dem Gebiet der Propaganda in eigener Sache. Insbesondere durch den Vertrieb der Parteiorgane der PKK an Bezieher im Großraum Hannover werden die von dem Verein ausgehenden gesellschaftlichen Wirkungen der PKK im Inland entgegen dem Tätigkeitsverbot aufrechterhalten oder gar erweitert.

b) Im Hinblick auf die von den Fachgerichten vertretene Auslegung verletzen die angegriffenen Entscheidungen auch nicht den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG). Auch insoweit gelten die Ausführungen in dem bereits erwähnten Beschluss der Kammer in dem Verfahren 1 BvR 98/97 entsprechend.

3. Da die Verfassungsbeschwerde in der Sache keinen Erfolg hat, bedarf es keiner gesonderten Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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