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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 04.04.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 2941/06
Rechtsgebiete: GG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 88 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvR 2941/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 17. Oktober 2006 - 4 S 219/05 -,

b) das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 13. Juli 2006 - 4 S 219/05 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Bryde, Eichberger, Schluckebier am 4. April 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 13. Juli 2006 - 4 S 219/05 - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben.

Damit wird der Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 17. Oktober 2006 - 4 S 219/05 - gegenstandslos.

Die Sache wird an das Landgericht Neuruppin zurückverwiesen.

Das Land Brandenburg hat den Beschwerdeführern die ihnen im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

I.

1. Die Beschwerdeführer waren Mieter einer der Klägerin des Ausgangsverfahrens gehörenden Wohnung. Die Klägerin klagte nach Beendigung des Mietverhältnisses auf Zahlung angeblich rückständiger Miete. Die Beschwerdeführer verlangten widerklagend Rückzahlung der Kaution. Das Amtsgericht wies die Klage ganz überwiegend und die Widerklage vollständig ab. Die Klägerin legte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts ein, der sich die Beschwerdeführer mit der unselbständigen Anschlussberufung anschlossen.

Im Berufungsverfahren erhoben die Beschwerdeführer die Rüge der fehlenden Vollmacht der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Diese waren von der Hausverwaltungsgesellschaft der Klägerin beauftragt worden. Nach einer mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2006 legten die Vertreter der Klägerin den Beschwerdeführern eine schriftliche Vollmacht vor. Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2006, der im letzten mündlichen Termin vor dem Landgericht am 15. Juni 2006 zur Akte genommen wurde, rügte die Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführer erneut die fehlende Vollmacht mit der Begründung, dass die von der Klägerin an die Hausverwaltungsgesellschaft erteilte Vollmacht nicht die Erteilung einer Prozessvollmacht im Zusammenhang mit der Begründung und Beendigung von Mietverhältnissen umfasst habe.

Das Landgericht verurteilte die Beschwerdeführer zur Zahlung eines Teils der rückständigen Miete. Ihre Vollmachtsrüge greife nicht durch, nachdem ihnen die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Anschluss an die Verhandlung vom 26. Januar 2006 unstreitig jeweils im Original eine Hausverwaltervollmacht zu Gunsten der Verwaltungsgesellschaft und eine von der Verwaltungsgesellschaft an die Prozessbevollmächtigten erteilte Prozessvollmacht vorgelegt hätten.

Gegen dieses Urteil legten die Beschwerdeführer gemäß § 321 a ZPO Anhörungsrüge ein. Das Landgericht wies diese als unbegründet zurück. Die Beschwerdeführer hätten die Rüge der fehlenden Prozessvollmacht konkludent zurückgenommen und insbesondere im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2006 nicht zu erkennen gegeben, dass weiter Bedenken hinsichtlich der Prozessvollmacht bestünden. Insoweit unterliege die Rüge auch dem Missbrauchsverbot.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Klägerin sei mangels erfolgten Nachweises über die Bevollmächtigung nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen. Daher hätte das Landgericht die Berufung als unzulässig verwerfen müssen. Mit in der letzten mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2006 überreichten Schriftsatz vom 14. Juni 2006 sei darauf hingewiesen worden, dass das Gericht auf die Rüge der Beschwerdeführer hin die ordnungsgemäße Vollmacht prüfen müsse. Das Landgericht habe dies jedoch nicht getan und damit den Vortrag der Beschwerdeführer unberücksichtigt gelassen.

3. Das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg und die Klägerin des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

II.

Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung gemäß § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Insbesondere sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt (vgl. BVerfGE 65, 293 <295>; 70, 288 <293>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Rechts der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Insoweit ist die fristgerecht und nach Rechtswegerschöpfung erhobene Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen. Deshalb müssen, damit das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 65, 293 <295>; 70, 288 <293>). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfGE 86, 133 <145 f.>).

Gemessen an diesem Maßstab verstößt das Urteil des Landgerichts gegen den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör. Das Landgericht hat wesentlichen Sachvortrag der Beschwerdeführer nicht zur Kenntnis genommen. Dieser Sachvortrag bestand in der Rüge der fehlenden Bevollmächtigung der Vertreter der Klägerin, die zuletzt noch einmal mit Schriftsatz vom 14. Juni 2006 erhoben wurde. Dieser Vortrag ist erheblich, da das Gericht bei zu Recht gerügter fehlender Bevollmächtigung gemäß § 88 ZPO eine Sachentscheidung zunächst nicht hätte treffen dürfen. Es hätte dann vielmehr entweder gemäß § 89 ZPO den vollmachtlosen Vertreter einstweilen zur Prozessführung zulassen und eine Frist zur Beibringung der Vollmacht bestimmen müssen oder die mündliche Verhandlung vertagen und eine Frist zur Beibringung der Vollmacht bestimmen müssen. Bei Nichtbeibringung der Vollmacht binnen der gesetzten Frist hätte es die Berufung als unzulässig verwerfen müssen (vgl. BGHZ 111, 219 <221> = NJW 1990, S. 3152; Vollkommer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 26. Aufl. 2007, § 89 Rn. 8, § 88 Rn. 6). Auch das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die dem Vortrag der Beschwerdeführer zugrunde liegende Frage der Prozessvollmacht für das Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Es ist darauf in seinen Entscheidungsgründen eingegangen, indem es ausgeführt hat, dass die Beschwerdeführer die Rüge der fehlenden Vollmacht zwar zunächst erhoben, dann jedoch nicht erneuert hätten, so dass sie sich den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten lassen müssten. Diese Begründung zeigt, dass das Landgericht den in der letzten mündlichen Verhandlung vorgelegten Schriftsatz der Beschwerdeführer, in dem erneut die Rüge der fehlenden Bevollmächtigung erhoben und das Landgericht zur Prüfung der Vollmacht aufgefordert wurde, nicht zur Kenntnis genommen hat. Dass die Beschwerdeführer diesen Vortrag in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 2006 dann unter Umständen nicht noch einmal mündlich wiederholt haben, ändert hieran nichts. Das Landgericht hätte den bis zu diesem Tag erfolgten Vortrag jedenfalls zur Kenntnis nehmen müssen und in der Entscheidung über die Gehörsrüge angesichts der im Schriftsatz vom 14. Juni 2006 enthaltenen erneuten Vollmachtsrüge nicht behaupten dürfen, der Hinweis der Klägerin auf die Hausverwaltervollmacht in einem vorangegangenen Schriftsatz sei unwidersprochen geblieben. Das Landgericht konnte den Vortrag auch nicht als verspätet ansehen, weil die Rüge der fehlenden Vollmacht gemäß § 88 Abs. 1 ZPO in jeder Lage des Rechtsstreits erhoben werden kann.

b) Das Urteil des Landgerichts beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen worden wäre, wenn das Landgericht die Bevollmächtigung ihrer Vertreter überprüft hätte und der Klägerin nicht der Nachweis gelungen wäre, dass diese zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung bevollmächtigt waren.

3. Das Urteil ist aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93 c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG). Mit der Aufhebung des Urteils wird der weiter angegriffene Beschluss des Landgerichts gegenstandslos.

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Der nach § 37 Abs. 2 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Entscheidung einer Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 €. Weder die objektive Bedeutung der Sache noch Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit weisen hier Besonderheiten auf, die eine Abweichung veranlassen würden.

5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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