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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 06.10.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 414/04
Rechtsgebiete: GG, EMRK


Vorschriften:

GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 25
EMRK Art. 5 Abs. 5
EMRK Art. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 414/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 19. August 2003 - 8 W 139/03 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 13. Mai 2003 - 4 O 43/03 -

und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Frau Rechtsanwältin Dr. Christiane Trüe, Volgersweg 4 A, 30175 Hannover

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Oktober 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Frau Rechtsanwältin Dr. Trüe, Hannover wird abgelehnt.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anwendung deutschen Verjährungsrechts auf den Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685, 953) in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002 (BGBl II S. 1054).

I.

1. Der Beschwerdeführer beantragte im Januar 2003 beim Landgericht Schwerin Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er das Land Mecklenburg-Vorpommern aus § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG sowie aus Art. 5 Abs. 5 EMRK auf Schmerzensgeld von mindestens 420.000 € in Anspruch nehmen wollte. Er machte geltend, er sei von November 1997 bis Dezember 1998 in der Justizvollzugsanstalt B. unter menschenrechtswidrigen Bedingungen, insbesondere in viel zu kleinen Hafträumen, inhaftiert gewesen.

Das beklagte Land erhob die Verjährungseinrede. Das Landgericht wies daraufhin den Prozesskostenhilfeantrag zurück und half auch der sofortigen Beschwerde nicht ab. Es verneinte die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage. Etwaige Ansprüche seien verjährt. Es gelte die dreijährige Frist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. Diese sei auch auf Ansprüche aus Art. 5 Abs. 5 EMRK anwendbar, wie der Bundesgerichtshof (BGHZ 45, 58 ff.) geklärt habe. Die Verjährung habe mit dem Ende der Haft begonnen. Diesen Ausführungen schloss sich das Oberlandesgericht Rostock an und wies die sofortige Beschwerde am 19. August 2003 zurück. Auch mit einer Gegenvorstellung hatte der Beschwerdeführer keinen Erfolg. Eine Rechtsbeschwerde verwarf der Bundesgerichtshof am 20. November 2003 (III ZB 63/03) als unzulässig.

2. Mit seiner gegen die gerichtlichen Entscheidungen gerichteten Verfassungsbeschwerde vom 24. September 2003 rügt der Beschwerdeführer Verletzungen von Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4, 2 Abs. 2, 1 Abs. 1 GG sowie Art. 5 Abs. 5 und Art. 6 EMRK in Verbindung mit Art. 25 GG.

Er trägt vor, die Anwendung nationalen Verjährungsrechts auf Ansprüche aus Art. 5 Abs. 5 EMRK verletze das Ziel der Europäischen Menschenrechtskonvention, einen gleichmäßigen Mindeststandard an Menschenrechtsschutz in Europa zu gewährleisten, und außerdem den Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 14 EMRK. Eine Verjährung sei ausgeschlossen, weil sie nicht in der Konvention selbst angeordnet sei. Aus diesen Gründen seien die angegriffenen Entscheidungen auch mit dem Rechtsstaatsprinzip und mit Art. 25 GG nicht vereinbar.

Außerdem hätten die Gerichte bei der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe überspannte Anforderungen gestellt. Das Urteil des Bundesgerichtshofs, auf das sie sich gestützt hätten, bedürfe der Überprüfung.

Letztlich meint der Beschwerdeführer, die Haft habe seine Freiheit, sein Persönlichkeitsrecht und seine Menschenwürde verletzt. Dass er hierfür keine Entschädigung durchsetzen könne, perpetuiere die ursprüngliche Rechtsverletzung.

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Daher ist auch der Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung einer Anwältin abzulehnen.

1. Soweit eine Verletzung von Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention in Verbindung mit Art. 25 GG gerügt wird, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die Vorschriften der EMRK gehören nicht zu den Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten, die nach § 90 Abs. 1 BVerfGG Maßstab einer Verfassungsbeschwerde sein können (vgl. BVerfGE 41, 88 <105 f.>; 64, 135 <157>). Sie haben in Deutschland keinen Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>). Auch auf eine Verletzung des Art. 25 GG kann eine Verfassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl. BVerfGE 18, 441 <451>).

2. Keinen Erfolg hat der Beschwerdeführer auch mit seiner Rüge, er sei dadurch in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG verletzt, dass ihm der Staat keinen Schadensersatz für die angeblich rechtswidrige Freiheitsentziehung gewähre. Diese Rüge ist schon unzulässig, weil die Gerichte in ihren mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen lediglich den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, nicht aber die geltend gemachten Schadensersatzansprüche rechtskräftig abgewiesen haben. Dessen ungeachtet wäre auch im Ergebnis keine Grundrechtsverletzung zu erkennen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Staat ein Grundrecht - erneut - beeinträchtigt, wenn er keinen effektiven Schadensausgleich wegen einer vorherigen Verletzung dieses Grundrechts einräumt. Sofern eine Verpflichtung zu einem solchen Schadensausgleich unmittelbar aus den Grundrechten abzuleiten ist, wird ihr im vorliegenden Zusammenhang mit den Ansprüchen aus dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz, aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG und Art. 5 Abs. 5 EMRK als unmittelbar geltendes Recht (BGHZ 45, 46 <49 ff.>; 45, 58 <65>) grundsätzlich hinreichend genügt.

3. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen nicht das Grundrecht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz.

a) Dieses Grundrecht verpflichtet den Staat, mit Hilfe eines Instituts wie dem der Prozesskostenhilfe sicherzustellen, dass Unbemittelte und Bemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichgestellt sind (vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.>). Jedoch muss der Unbemittelte nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>). Aus diesem Grunde darf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von den Erfolgsaussichten des beabsichtigten Gerichtsverfahrens abhängig gemacht werden. Allerdings dürfen die Anforderungen innerhalb eines Prozesskostenhilfeverfahrens, insbesondere an den Vortrag der Beteiligten, nicht überspannt werden. So darf das Verfahren nicht dazu benutzt werden, die Klärung streitiger Tatsachenfragen im Hauptsacheverfahren zu verhindern (BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, NJW 2003, S. 576). Vor allem dient es nicht dazu, Rechtsfragen abschließend zu klären, die strittig sind (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 2003, S. 1857 <1858>) oder die ungeklärt und - auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelung und bereits vorliegender anderweitiger Rechtsprechung - schwierig zu beantworten sind (vgl. BVerfGE 81, 347 <358 f.>; BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 2004, 1789).

b) Diesen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen. Die Gerichte durften im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens davon ausgehen, dass der Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK der Verjährung des § 852 BGB Abs. 1 BGB a.F. unterliegt. Diese Rechtsfrage ist höchstrichterlich geklärt und nicht umstritten. Sie ist auch nicht schwierig zu beantworten.

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 31. Januar 1966 (BGHZ 45, 58 <70 ff.>) dargelegt, dass die Europäische Menschenrechtskonvention die Frage der Verjährung des Anspruchs aus Art. 5 Abs. 5 EMRK nicht regelt und dass ergänzend deutsches Recht herangezogen werden darf. Da dieser Anspruch ein deliktischer beziehungsweise - da verschuldensunabhängig - ein quasideliktischer und kein aufopferungsrechtlicher Anspruch sei, könne § 852 Abs. 1 BGB a.F. analog auf ihn angewandt werden.

Auch andere Gerichte ordnen Art. 5 Abs. 5 EMRK als (quasi)deliktischen und nicht als Aufopferungsanspruch oder entschädigungsrechtlichen Anspruch eigener Art ein (vgl. OLG Celle, NJW 2003, S. 2463; OLG Schleswig, InfAuslR 2002, S. 302, <303 f.>). In der Literatur wird - soweit ersichtlich - die Anwendbarkeit deutschen Verjährungsrechts bejaht (Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 1996, Rn. 156 Fn. 372).

Mit seiner Rechtsprechung steht der Bundesgerichtshof zudem im Rechtsraum der EMRK nicht allein. Auch andere Signatarstaaten der Konvention unterwerfen den Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK ihren nationalen Verjährungsregeln (vgl. Österreichischer OHG, ÖJZ 1976, S. 66 f; ÖJZ 1987, 443 <444>) bzw. sonstigen innerstaatlichen Verfahrensvorschriften (Schweizerisches Bundesgericht, BGE 118 I a 101 <103>). Auch die (frühere) Europäische Menschenrechtskommission (vgl. Art. 19 Buchstabe a EMRK a.F.) hat zumindest indirekt bestätigt, dass Ansprüche aus Art. 5 Abs. 5 EMRK nationalen Verjährungsregeln unterworfen werden dürfen (vgl. EKMR, ÖJZ 1993, S. 141 f.).

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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