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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 08.09.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 428/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 428/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 22. Januar 2004 - 3 U 3162/03 -,

b) das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 28. August 2003 - 1 O 1810/00 -

2. mittelbar gegen § 522 Abs. 3 ZPO

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 8. September 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die mit dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1887) erfolgte Änderung des Berufungsverfahrensrechts. Danach kann das Berufungsgericht eine Berufung einstimmig durch unanfechtbaren Beschluss unter anderem dann zurückweisen, wenn sie keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 ZPO n.F.).

I.

Die Beschwerdeführerin war vor dem Landgericht in einem Prozess um eine Versorgungszusage an ihren früheren Geschäftsführer unterlegen. Das Oberlandesgericht wies ihre Berufung nach einem Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO durch Beschluss zurück. Verfassungsrechtliche Einwände gegen diese Entscheidungsform hatte die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren nicht geltend gemacht.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Sie trägt vor, es gebe keinen sachlichen Grund dafür, dass Zurückweisungsbeschlüsse nach § 522 Abs. 3 ZPO n.F. unanfechtbar seien, auf Zurückweisung lautende Berufungsurteile dagegen mit der Revision einer Überprüfung unterzogen werden könnten. Die Handhabung des § 522 Abs. 2 ZPO n.F. in ihrem Fall verstoße gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die unterschiedliche Ausgestaltung der Anfechtbarkeit bei Zurückweisungsbeschlüssen einerseits und auf Zurückweisung lautenden Berufungsurteilen andererseits sei verfassungswidrig, ist sie unzulässig. Insoweit hat die Beschwerdeführerin entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG den Rechtsweg nicht ordnungsgemäß erschöpft.

Der aus dieser Norm abgeleitete Grundsatz der materiellen Subsidiarität verlangt, dass ein Beschwerdeführer verfassungsrechtliche Einwände bereits im Ausgangsverfahren vorbringt (vgl. BVerfGE 68, 384 <388 f.>; 95, 163 <171>). Auch bei einer Verfassungsbeschwerde, die sich gegen eine Norm richtet, muss ein Beschwerdeführer wirkungsvollen Rechtsschutz zunächst durch Anrufung der Fachgerichte zu erlangen suchen. Dies erfordert bereits dort einen substanziierten Vortrag im Hinblick auf die behauptete Verfassungswidrigkeit der in Frage stehenden Norm (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2000, S. 281). Dadurch ist gewährleistet, dass dem Bundesverfassungsgericht nicht nur die abstrakte Rechtsfrage, sondern auch die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein für die Materie speziell zuständiges Gericht unterbreitet wird. Dies entspricht der verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilung zwischen den Fachgerichten und dem Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 74, 69 <74 f.>). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 522 Abs. 2 und 3 ZPO daher spätestens dann vorgebracht werden, wenn das Berufungsgericht nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO mitgeteilt hat, wie es zu entscheiden beabsichtige (vgl. BVerfG, NJW 2003, S. 2738 <2739>). Gerade weil die Verfassungsmäßigkeit des § 522 Abs. 3 ZPO im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG umstritten ist (vgl. Lindner, ZIP 2003, S. 192 ff.; Schneider, AnwBl. 2003, S. 193 f.), ist es geboten, dass die zuständigen Berufungsgerichte Bedeutung und Folgen der angegriffenen Norm sowie die möglicherweise für ihre Verfassungsmäßigkeit sprechenden Gründe ermitteln und dazu Stellung nehmen.

Solche Einwände hat die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren nicht vorgebracht. Auch die der Verfassungsbeschwerde beigefügten Schriftsätze an das Berufungsgericht enthalten entsprechende Ausführungen nicht.

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Das Berufungsgericht hat Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzt. Die Beschwerdeführerin meint, das Oberlandesgericht habe das rechtliche Gehör durch falsche Anwendung der Präklusionsvorschriften des Prozessrechts unzulässig eingeschränkt. Ob dies der Fall ist, kann hier offen bleiben. Das Oberlandesgericht hat zwar seine Entscheidung auch ("zum anderen") damit begründet, der Vortrag der Beschwerdeführerin sei neu und daher nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr berücksichtigungsfähig. Selbstständig tragend hat es aber daneben ausgeführt, das neue Vorbringen widerspreche dem klaren Wortlaut des Vergleichsvertrages. Hieraus ergibt sich, dass das Gericht das Vorbringen der Beschwerdeführerin geprüft hat, dieses aber seiner Ansicht nach eine andere Beurteilung des über die Versorgungszusage geschlossenen Vergleichsvertrages nicht rechtfertigte.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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