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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 18.09.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 498/07
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvR 498/07 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 16. Januar 2007 - 9 W 6/07 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Verden vom 4. Januar 2007 - 8 O 449/06 -,

c) den Beschluss des Landgerichts Verden vom 18. Dezember 2006 - 8 O 449/06 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Bryde, Eichberger, Schluckebier am 18. September 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Celle vom 16. Januar 2007 - 9 W 6/07 - und des Landgerichts Verden vom 18. Dezember 2006 - 8 O 449/06 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Verden zurückverwiesen. Damit wird der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts Verden vom 4. Januar 2007 - 8 O 449/06 - gegenstandslos.

Das Land Niedersachen hat der Beschwerdeführerin ihre für das Verfassungsbeschwerdeverfahren notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 15.000 € (in Worten: fünfzehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Zahlungsklage. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Auffassung des Land- und des Oberlandesgerichts, ihre etwaigen Ansprüche seien verjährt; sie hält diese rechtliche Würdigung für grundrechtswidrig.

I.

1. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin und Antragstellerin des Ausgangsverfahrens schloss diese mit dem Antragsgegner am 4. November 1996 einen Vertrag, wonach sie diesem für seinen einzelkaufmännischen Betrieb 30.000 DM zur Verfügung stellte. Im Gegenzug verpflichtete sich der Antragsgegner, ihr eine monatliche Gewinnbeteiligung in Höhe von 4.000 DM ab dem 2. Februar 1997 auszuzahlen. Nachdem der Antragsgegner keine Zahlung erbrachte, focht die Beschwerdeführerin Mitte Februar 1997 den Vertrag an und verlangte die Rückzahlung des von ihr vereinbarungsgemäß zur Verfügung gestellten Betrages. Hilfsweise kündigte sie den Vertrag aus wichtigem Grunde. Im Dezember 1998 erklärte der Antragsgegner ihr gegenüber, dass er zu keiner Zahlung bereit sei.

Im November 2006 erhob die Beschwerdeführerin Klage beim Landgericht unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Sie gedachte, den Antragsgegner auf Rückzahlung des an ihn gezahlten Betrages von 30.000 DM, der nunmehr 15.338,76 € entsprach, in Anspruch zu nehmen. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, der Antragsgegner sei bereits bei Abschluss des Vertrages weder in der Lage noch willens gewesen, die vereinbarte Gewinnbeteiligung an sie zu zahlen.

2. Das Landgericht wies den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Einer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde half es nicht ab und legte sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor. Das Oberlandesgericht wies unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Landgerichts die sofortige Beschwerde zurück. Zu Recht habe das Landgericht die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage verneint und dabei die von der Beschwerdeführerin behauptete vorgerichtliche Äußerung des Antragsgegners, er sei zu keiner Zahlung bereit, mitberücksichtigt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei mutwillig, da - wovon bereits das Landgericht zutreffend ausgegangen sei - alle denkbaren Ansprüche der Beschwerdeführerin verjährt seien. Dies gelte nicht nur für deliktische, sondern auch für bereicherungsrechtliche Ansprüche, da auch diese der regelmäßigen dreijährigen Verjährung nach § 195 BGB unterlägen. Darauf, dass sich der Antragsgegner - der zu dem Antrag keine Stellung genommen hatte - noch nicht auf die Einrede der Verjährung berufen habe, komme es nicht an. Bei der Einschätzung der Erfolgsaussichten sei auch eine potentielle Verteidigung zu berücksichtigen.

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG - auch in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG - durch die Entscheidungen der Fachgerichte.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG): Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind geklärt (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>), und die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

Die angegriffenen Entscheidungen zur Versagung der Prozesskostenhilfe verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG; sie verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Bedeutung als Willkürverbot.

1. Die Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts ist grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Im Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiv willkürlicher Entscheidungen ist ein Richterspruch jedoch dann von Verfassungs wegen zu beanstanden, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Dies ist anhand objektiver Kriterien festzustellen (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 80, 48 <51>; stRspr). Fehlerhafte Rechtsanwendung allein lässt eine Gerichtsentscheidung allerdings noch nicht als in diesem Sinne willkürlich erscheinen. Dies ist erst dann der Fall, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>).

2. Daran gemessen war es im Blick auf § 852 Satz 2 BGB schlechterdings unvertretbar, den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Erwägung zurückzuweisen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete deshalb keine hinreichende Aussicht auf Erfolg und sei überdies mutwillig, weil alle in Betracht kommenden Ansprüche der regelmäßigen dreijährigen Verjährung aus § 195 BGB unterlägen und sie deswegen bereits zum Zeitpunkt der Antragseinreichung verjährt gewesen seien.

Zur Begründung ihres geltend gemachten Anspruchs auf Rückzahlung der hingegebenen 30.000 DM - nunmehr 15.338,76 € - behauptete die Beschwerdeführerin, der Antragsgegner sei von Anfang an nicht zur Vertragserfüllung bereit gewesen und habe sie - wie sich aus dem Zusammenhang ihres Vorbringens ergibt - hierüber getäuscht. Damit trug sie als Ursache für ihre Zahlung von 30.000 DM an den Antragsgegner - von diesem unwidersprochen - die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Eingehungsbetruges nach § 263 StGB sowie einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung im Sinne von § 826 BGB vor. Gemäß § 852 Abs. 3 BGB in der Fassung vom 16. August 1977 (im Folgenden a.F.), der auf den Vertragsschluss im Jahr 1996 Anwendung findet und der bis auf geringfügige redaktionelle Änderungen § 852 Satz 1 BGB heutiger Fassung entspricht, hat derjenige, der durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt hat, dies auch nach Vollendung der Verjährung nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigen Bereicherung herauszugeben.

Ein solcher Schadensersatzanspruch unterliegt entgegen der Auffassung der Fachgerichte nicht der dreijährigen Regelverjährung, sondern verjährt, worauf die Beschwerdeführerin bereits im fachgerichtlichen Verfahren aufmerksam gemacht hatte, gemäß § 852 Satz 2 BGB erst zehn Jahre nach seiner Entstehung. Diese Verjährungsvorschrift ist als die gegenüber der alten, vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 geltenden Regelverjährungsfrist von 30 Jahren kürzere Verjährungsfrist gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB im vorliegenden Fall offensichtlich einschlägig. Aufgrund des Verjährungsbeginns am 1. Januar 2002 (vgl. Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB) tritt hiernach die Verjährung für den Schadensersatzanspruch, den die Beschwerdeführerin geltend machen will, frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2011 ein. Somit erfolgte die Antragstellung der Beschwerdeführerin im November 2006 mit Blick auf den jedenfalls auch geltend gemachten Schadensersatzanspruch nach § 852 Abs. 3 BGB a.F. vor Ablauf der Verjährungsfrist.

Unter diesen Umständen ist es schlechthin unhaltbar, die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe auf den Eintritt der Verjährung auch von deliktischen Ansprüchen zu stützen, ohne die Vorschrift des § 852 BGB zu erwähnen und erkennbar in die Prüfung einzubeziehen. Es ist nicht auszuschließen, dass die angefochtenen Entscheidungen auf dem Übergehen der in § 852 BGB vorgesehenen, von der Regelverjährung abweichenden Verjährungsfrist beruhen.

3. Da die Entscheidungen bereits wegen einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot aufzuheben sind, kann dahingestellt bleiben, ob sie darüber hinaus auch gegen das aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes verstoßen (vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.>, 81, 347 <356>).

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG; die Festsetzung des Gegenstandswertes erfolgt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswertes im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <368>).

Ende der Entscheidung

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