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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 07.04.2008
Aktenzeichen: 1 BvR 550/08
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 23 Abs. 1 Satz 2
BVerfGG § 90 Abs. 2 Satz 1
BVerfGG § 92
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93d Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 550/08 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 20. November 2007 - B 1 KR 118/07 B -,

b) das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Juli 2007 - L 5 KR 352/05 -,

c) das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Oktober 2005 - S 29 KR 286/04 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Hohmann-Dennhardt und die Richter Gaier, Kirchhof gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 7. April 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Versorgung des an AIDS erkrankten Beschwerdeführers mit einem für diesen Anwendungsbereich nicht zugelassenen Medikament ("off-label-use").

I.

Bei dem 1960 geborenen, bei einer Ortskrankenkasse versicherten Beschwerdeführer besteht eine fortgeschrittene HIV-Infektion im Vollbild AIDS. Sein im Dezember 2003 gestellter Antrag, die Kosten für eine Immunglobulintherapie mit dem Fertigarzneimittel "Flebogamma" zu übernehmen, hatte nur im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes für einen eingeschränkten Zeitraum Erfolg. Im Hauptsacheverfahren ist der Beschwerdeführer vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit dagegen erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen für einen "off-label-use" zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung seien nicht erfüllt, weil es bei der HIV-Infektion keine hinreichend gesicherten Erkenntnisse über die Wirksamkeit einer Behandlung mit Immunglobulinen gebe. Zwar seien die Regelungen des Leistungsrechts dann anspruchserweiternd verfassungskonform auszulegen, wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliege, wovon im Fall des Beschwerdeführers auszugehen sei, bei dem jederzeit lebensbedrohliche Komplikationen auftreten könnten. Hieraus könne der Beschwerdeführer aber keinen Versorgungsanspruch ableiten, da er nach wie vor schulmedizinische Behandlungsmethoden in Anspruch nehmen könne, die die Vermehrung des HIV-Virus bei ihm derzeit weitgehend unterdrückten und zu deren Kostenübernahme sich die Krankenkasse bereiterklärt habe. Auf eine zusätzliche, die medikamentöse Therapie unterstützende Behandlung habe der Beschwerdeführer keinen Anspruch, zumal eine intravenöse Immunglobulintherapie nicht ohne Nebenwirkungen sei. Solange die gesetzliche Krankenversicherung eine lebensverlängernd wirkende Therapie zur Verfügung stelle, sei die Krankenkasse auch aus Wirtschaftlichkeitsgründen nicht gezwungen, sämtliche weitere Therapieoptionen ungesicherter Art zu finanzieren.

Das Bundessozialgericht hat die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landessozialgerichts als unzulässig verworfen.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, er sei auf die Therapie mit Immunglobulinen angewiesen, um sein Leben erhalten zu können. Das Landessozialgericht habe diese Behandlung zu Unrecht als bloße weitere Therapieoption ungesicherter Art angesehen. Das Gericht verkenne die Wirkweise der Medikation mit antiretroviralen Kombinationspräparaten, die nur eine Ausbreitung des Virus im Körper eindämmten. Mit der zusätzlichen Gabe von Immunglobulinen würden die mit der HIV-Infektion einhergehenden weiteren Infektionen bekämpft und vermieden. Weil diese zusätzlichen Infektionen geeignet seien, ein Fortschreiten der HIV-Infektion zu bewirken, sei es von größter Bedeutung, Immunglobuline zusätzlich zum Einsatz zu bringen. Würde die hochaktive antiretrovirale Kombinationstherapie in der Weise wirken, wie das Landessozialgericht unterstelle, hätte er die desolate gesundheitliche Situation, in der er sich derzeit befinde, nicht erreicht.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Damit erledigt sich gleichzeitig der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

1. Es kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist, weil der Beschwerdeführer entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG den Rechtsweg nicht ordnungsgemäß erschöpft hat. Eine Verfassungsbeschwerde ist in der Regel unzulässig, wenn - wie hier - ein an sich gegebenes Rechtsmittel, durch dessen Gebrauch der behauptete Grundrechtsverstoß ausgeräumt werden könnte, aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt (vgl. BVerfGE 74, 102 <114>; BVerfGK 1, 222 <223>). Es ist nicht ersichtlich, dass das Bundessozialgericht an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde überhöhte Anforderungen gestellt hat.

2. Die Verfassungsbeschwerde begegnet Zulässigkeitsbedenken auch im Hinblick auf die Begründungspflicht nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Die Begründung einer Verfassungsbeschwerde muss substantiiert darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert (vgl. BVerfGE 108, 370 <386>). Soweit das Bundesverfassungsgericht bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe formuliert hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit die Grundrechte durch die angegriffenen Maßnahmen verletzt werden (vgl. BVerfGE 101, 331 <346>; 102, 147 <164>).

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2005 (vgl. BVerfGE 115, 25 ff.) für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung verfassungsrechtliche Maßstäbe zum Umgang mit nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlungsmaßnahmen entwickelt, mit denen sich der Beschwerdeführer nicht auseinandersetzt. Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird in der Beschwerdeschrift nicht einmal erwähnt. Der Beschwerdeführer beschränkt sich auf eine Kritik an der Auffassung des Landessozialgerichts, das ausgeführt hat, solange die gesetzliche Krankenversicherung eine Therapie der schweren lebensbedrohlichen Krankheit zur Verfügung stelle, die lebensverlängernd wirke, könne sie auch aus Wirtschaftlichkeitsgründen nicht gezwungen werden, sämtliche weitere Therapieoptionen ungesicherter Art zu finanzieren. Dagegen äußert der Beschwerdeführer "verfassungsrechtliche Bedenken"; welcher Art diese sind, teilt der Beschwerdeführer nicht mit.

3. Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten. Nach den Kriterien, wie sie in der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt worden sind, kann sich aus den Grundrechten ein Anspruch auf nicht allgemein anerkannte medizinische Behandlungsmaßnahmen ergeben, wenn bei einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen und eine medizinisch begründete Erfolgsaussicht der erstrebten Behandlung besteht.

Diese Kriterien haben die Sozialgerichte bei ihren Entscheidungen beachtet. Das Landessozialgericht hat ausgeführt, es stünden schulmedizinische Behandlungsmethoden in Form verschiedener antiretroviraler Medikamente zur Verfügung, welche die Vermehrung des HIV-Virus bei dem Beschwerdeführer derzeit weitgehend unterdrückten und zu deren Finanzierung sich die Krankenkasse bereiterklärt habe. Damit sei der Lebensschutz des Beschwerdeführers aktuell gewährleistet, so dass er weitere Therapieoptionen ungesicherter Art nicht beanspruchen könne.

Dem setzt der Beschwerdeführer keine verfassungsrechtlich relevanten Einwände entgegen. Seine Ausführungen beschränken sich auf eine Kritik an der Beweiswürdigung des Landessozialgerichts, dem er vorwirft, die Wirkweise der Medikation mit antiretroviralen Medikamenten zu verkennen und den zusätzlichen Nutzen des Einsatzes von Immunglobulinen zu übersehen. Einen für den Lebensschutz des Beschwerdeführers bedeutsamen, zusätzlichen Nutzen des Einsatzes von Immunglobulinen haben die angegriffenen Entscheidungen aber nicht festgestellt. Mit der Behauptung, die Tatsachenfeststellung der Fachgerichte sei falsch, kann der Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerdeverfahren jedoch keinen Erfolg haben, denn die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes ist allein Sache der Gerichte (vgl. BVerfGE 22, 267 <273>; 83, 119 <125>). Der Beschwerdeführer legt auch nicht dar, dass die von seiner Sichtweise abweichenden Feststellungen des Landessozialgerichts in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise, insbesondere durch eine unvertretbare Sachverhaltsfeststellung, getroffen worden sind.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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