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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 05.05.2008
Aktenzeichen: 1 BvR 562/08
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art. 3 Abs. 1 | |
GG Art. 103 Abs. 1 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 562/08 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen
a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 31. Januar 2008 - III ZR 57/07 -,
b) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Dezember 2007 - III ZR 57/07 -,
c) das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 25. Januar 2007 - 21 U 79/06 -,
d) das Urteil des Landgerichts Essen vom 16. Mai 2006 - 17 O 403/04 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Eichberger, Masing gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 5. Mai 2008 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Beschwerdeführerin rügt Verstöße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör und gegen das Willkürverbot in einem Zivilprozess.
I.
Die Beschwerdeführerin klagte aus abgetretenem Recht ihres Sohnes auf Schadensersatz wegen Verletzung eines Alarmaufschaltungsvertrages. Der Sohn hatte am 6. Juli 1992 einen solchen Vertrag mit der Beklagten des Ausgangsrechtsstreits über sein Haus in Stuttgart abgeschlossen, in dem sich Gegenstände im Wert von ca. 400.000 € befanden, die ihm, seinen Firmen oder seiner Mutter gehörten. Unter Vorlage einer Vollmacht, deren wirksame Unterzeichnung durch die Beschwerdeführerin im Berufungsrechtszug bestritten wurde, ließ sich die Tochter der Beschwerdeführerin am 7. September 1995 von der Beklagten die Schlüssel zu dem Haus in Stuttgart aushändigen. In streitigem Umfang wurden in der Folgezeit Wertgegenstände aus dem Anwesen entfernt, die später in Berlin und an anderen Orten zwischengelagert wurden. Am 9. November 1995 richtete der Sohn der Beschwerdeführerin an seine Schwester ein Schreiben, in welchem er sich mit Fragen der Zwischenlagerung durch sie in Berlin befasst.
Die Beschwerdeführerin sieht in der Herausgabe der Schlüssel an die Schwester eine Pflichtverletzung der Beklagten und verklagte sie beim Landgericht erfolglos auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 441.345 €.
Die Berufung wies das Oberlandesgericht mit Urteil vom 25. Januar 2007 zurück. Es führt aus, mit seinem Schreiben vom 9. November 1995 habe der Sohn zu erkennen gegeben, dass er mit dem Verhalten seiner Schwester und damit auch mit der Bereitstellung der Schlüssel an sie einverstanden sei. Die Überlassung der Schlüssel an die Schwester sei im Übrigen nicht ursächlich für den eingetretenen Schaden, weil wenig später auf Veranlassung des Sohnes auch eine dritte Person die Schlüssel erhalten habe und nicht feststellbar sei, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Schwester bereits vor diesem Zeitpunkt Gegenstände aus dem Haus entfernt habe.
Die Beschwerdeführerin legte die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ein, die sie unter anderem auf Verletzungen ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG stützte. Eine Gehörsverletzung seitens des Oberlandesgerichts liege darin, dass über ihre Behauptung, ihr Sohn habe die Aushändigung der Schlüssel an die Schwester und die Entfernung von Gegenständen aus dem Stuttgarter Anwesen nicht genehmigt, der angebotene Zeugenbeweis nicht erhoben worden sei. In willkürlicher Weise sei das Oberlandesgericht von fehlender Kausalität zwischen Schlüsselübergabe und eingetretenem Schaden sowie vom Fehlen einer Pflichtverletzung ausgegangen.
Gegen die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde erhob die Beschwerdeführerin sodann die Anhörungsrüge, welche der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 31. Januar 2008 als unzulässig verwarf. Zur Begründung führt er aus, die Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO sei entsprechend den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 103 Abs. 1 GG nur gegen "neue und eigenständige" Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör zulässig, nicht aber dann, wenn lediglich bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren geltend gemachte Rügen angeblicher Gehörsverletzungen durch das Berufungsgericht wiederholt würden.
Gegen die Entscheidungen der Gerichte richtet sich die Verfassungsbeschwerde. Gerügt wird die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Zu Unrecht habe der Bundesgerichtshof die Anhörungsrüge als unzulässig behandelt, da das Verfahren der Anhörungsrüge auch dann eröffnet sein müsse, wenn lediglich gerügt werde, das letztinstanzlich entscheidende Gericht habe einen Gehörsverstoß der Vorinstanz nicht geheilt. Im Ergebnis habe der Bundesgerichtshof den Verstößen des Oberlandesgerichts gegen das Willkürverbot und gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht abgeholfen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die verfassungsrechtliche Problematik der Rechtsbehelfe gegen Gehörsverstöße ist durch die Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 (BVerfGE 107, 395) in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise ausreichend geklärt. Auch zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin ist die Annahme nicht angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bestehen allerdings im Ergebnis nicht. Insbesondere ist die Verfassungsbeschwerde nicht verfristet (§ 93 Abs. 1 BVerfGG).
a) Die Verfassungsbeschwerde ist zunächst insoweit nicht unzulässig, als sie sich gegen die beiden Urteile und den Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde richtet. Zwar hat die Beschwerdeführerin eine nach Auffassung des Bundesgerichtshofs unzulässige Anhörungsrüge erhoben, statt nach Zustellung des Beschlusses über die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der Monatsfrist Verfassungsbeschwerde zu erheben. Jedoch kann dies der Beschwerdeführerin nicht angelastet werden. Die Einlegung eines unzulässigen Rechtsbehelfs führt nur dann zur Verfristung der Verfassungsbeschwerde, wenn der Rechtsbehelf für den Beschwerdeführer erkennbar offensichtlich unzulässig ist (vgl. BVerfGE 5, 17 <19 f.>; 19, 323 <330>; 63, 80 <85>; 91, 93 <106>). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Frage, was Gegenstand der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO sein kann, war im Zeitpunkt der Erhebung der Anhörungsrüge durch die Beschwerdeführerin nicht in einer Weise abschließend geklärt, nach der sie die Anhörungsrüge im vorliegenden Fall für unzulässig halten musste. Beschlüsse über Nichtzulassungsbeschwerden sind grundsätzlich geeigneter Gegenstand einer Anhörungsrüge. Einschränkungen für Konstellationen, in denen eine Anhörungsrüge lediglich darauf gestützt wird, dass dem in der Vorinstanz entscheidenden Gericht ein Gehörsverstoß unterlaufen sei, finden sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - soweit ersichtlich - erstmals in der Entscheidung des 6. Zivilsenats vom 20. November 2007 - VI ZR 38/07 - (dazu Lindner, JurisPR - BGH Zivilrecht 4/2008, Anmerkung 5), die im Zeitpunkt der Erhebung der Anhörungsrüge in der Fachliteratur noch nicht veröffentlicht war. Bei dieser Sachlage musste die Beschwerdeführerin nicht damit rechnen, dass die Anhörungsrüge für unzulässig erachtet werden würde.
b) Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs über die Anhörungsrüge richtet. Da die Anhörungsrüge der Sicherung des Anspruchs der Prozesspartei auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dient, kann ihre Zurückweisung oder Verwerfung eine eigenständige, verfassungsrechtlich erhebliche Beschwer bewirken, so dass diese fachgerichtlichen Entscheidungen zulässigerweise mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 23. Oktober 2007 - 1 BvR 782/07 -, MDR 2008, S. 223 f.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 14. März 2007 - 1 BvR 2748/06 -, NJW 2007, S. 2241 <2242>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. April 2007 - 1 BvR 66/07 -, NZA 2007, S. 1124; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 2327/07 -).
2. Die Verfassungsbeschwerde hat aber in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
a) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof die Anhörungsrüge für unzulässig erachtet hat. Die Auslegung des Verfahrensrechts durch den Bundesgerichtshof verletzt weder Art. 103 Abs. 1 GG noch den allgemeinen Justizgewährungsanspruch.
aa) Soweit zum Gegenstand der Anhörungsrüge angebliche Gehörsverstöße des Oberlandesgerichts gemacht worden sind, ist das verfassungsrechtliche Gebot, einen fachgerichtlichen Rechtsbehelf in Bezug auf Gehörsverstöße zu eröffnen, schon deshalb nicht verletzt, weil der einschlägige Rechtsbehelf bereits in Form der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Gehörsverstöße geltend gemacht werden können, eröffnet war und von der Beschwerdeführerin auch genutzt worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Juli 2007 - 1 BvR 646/06 -, NJW 2007, S. 3418). Das Bundesverfassungsgericht führt im Plenarbeschluss ausdrücklich aus, es genüge "die Möglichkeit, eine behauptete Rechtsverletzung bei einem gerichtlichen Verfahrenshandeln einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen" (vgl. BVerfGE 107, 395 <411>).
bb) Soweit die Beschwerdeführerin darüber hinaus mit der Anhörungsrüge geltend gemacht hat, der Bundesgerichtshof selbst habe das Recht verletzt, indem er den angeblichen Gehörsverstoß im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht geheilt habe, war es verfassungsrechtlich nicht geboten, einen fachgerichtlichen Rechtsbehelf zu eröffnen. Die verfassungsrechtliche Garantie eines fachgerichtlichen Rechtsbehelfs zur Geltendmachung von Gehörsverstößen erstreckt sich nicht auf Fälle, in denen lediglich geltend gemacht wird, das Fachgericht habe zu Unrecht einen angeblichen Gehörsverstoß der Vorinstanz in dem durchgeführten Rechtsbehelfsverfahren nicht geheilt, ohne dass dabei ein eigenständiger, über die bloße Nichtheilung des behaupteten Gehörsverstoßes hinausgehender Gehörsverstoß gerügt würde. Die Erfolglosigkeit eines Rechtsmittels gegen einen behaupteten Gehörsverstoß der Vorinstanz begründet, für sich genommen, keine neue Gehörsverletzung durch das über das Rechtsmittel entscheidende Gericht. Auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes (hier aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) und der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verlangen nicht die Eröffnung der Anhörungsrüge gegen eine solche Entscheidung. Nach dem erfolglosen Rechtsmittel kann der Betroffene den behaupteten Gehörsverstoß durch die Vorinstanz mit der Verfassungsbeschwerde rügen.
Eine Sichtweise, wonach eine fehlerhafte Nichtheilung des Gehörsverstoßes und damit eine fehlerhafte Behandlung der Rechtsbehauptung über das Vorliegen eines Gehörsverstoßes stets wiederum eine "neue und eigenständige" Gehörsverletzung (vgl. BVerfGE 107, 395 <410>) bedeutet, vermag demgegenüber nicht zu überzeugen. Sie führte dazu, dass der nach der Plenarentscheidung gerade nicht notwendige weitere fachgerichtliche Rechtsbehelf eröffnet werden müsste (s. im Ergebnis auch Schnabl, Die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO, 2007, S. 160 ff, der aber annimmt, einfachrechtlich sei in derartigen Fällen Anhörungsrüge eröffnet; im Ergebnis anders Zuck, NVwZ 2005, S. 739; ders., AnwBl 2008, S. 168 <171>; vgl. auch Sangmeister, NJW 2007, S. 2363 <2364>).
cc) Dass der Bundesgerichtshof im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und damit einen eigenständigen Gehörsverstoß begangen habe, der den Anspruch auf Gewährleistung eines fachgerichtlichen Rechtsbehelfs auslösen könnte, macht die Verfassungsbeschwerde nicht geltend.
b) Hinsichtlich der angegriffenen Urteile und des Beschlusses über die Nichtzulassungsbeschwerde ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls ohne Aussicht auf Erfolg, weil die gerügten Verletzungen von Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG nicht vorliegen. Auslegung und Anwendung des Rechts auf den Einzelfall sind der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht weitgehend entzogen. Die ihnen durch das Verfassungsrecht gesetzten Grenzen haben die Fachgerichte im vorliegenden Fall nicht überschritten.
aa) Die unterbliebene Vernehmung des angebotenen Zeugen zur Frage der Nichtgenehmigung der Schlüsselübergabe verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, da Gründe des formellen oder materiellen Rechts der Beweisaufnahme entgegenstanden (vgl. insoweit BVerfGE 85, 386 <404>). Der Beweisantritt bezog sich, sofern er in der Berufung überhaupt zulässig gewesen sein sollte (§§ 529, 531 ZPO), jedenfalls nicht auf konkrete Tatsachen. Dass die Beschwerdeführerin ihre Rechtsbehauptung des Fehlens einer Genehmigung mit ausreichend konkretem Sachvortrag untermauert hätte, ist nicht ersichtlich.
bb) Die Annahme des Oberlandesgerichts, eine zur Schadenersatzpflicht führende Vertragsverletzung ergebe sich nicht bereits daraus, dass mit der Aushändigung der Schlüssel eine "Kardinalpflicht" des Vertrages verletzt sei, verletzt nicht das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Alarmaufschaltungsvertrag nur dann sachgerecht erfüllt werden konnte, wenn die Beklagte durch Besitz der Schlüssel in die Lage versetzt wird, das Haus des Sohnes jederzeit betreten zu können.
cc) Ebenso wenig liegt Willkür darin, dass das Oberlandesgericht in Ermangelung einer konkreten Absprache davon ausgeht, eine Schlüsselübergabe führe nicht zwangsläufig zu einer Pflichtverletzung, wenn sie ohne Nennung von Code-Nummer und Passwort erfolge, da Code-Nummer und Passwort nur für den Alarmfall vereinbart seien.
Von einer weitergehenden Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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