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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 17.07.2006
Aktenzeichen: 1 BvR 618/96
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG
Vorschriften:
BVerfGG § 34 a Abs. 2 | |
BVerfGG § 93 Abs. 1 Satz 1 | |
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b | |
GG Art. 103 Abs. 1 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES
- 1 BvR 618/96 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 6. Februar 1996 - 12 UF 146/95 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Hoffmann-Riem am 17. Juli 2006 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 6. Februar 1996 - 12 UF 146/95 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit es das Urteil des Amtsgerichts Bad Iburg vom 14. August 1995 zu Ziffer IV (Zugewinnausgleich) abändert. Insoweit wird das Urteil (Ziffer I des Tenors) aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen.
Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einem Zugewinnausgleichsverfahren.
I.
1. Die Ehe der Beschwerdeführerin wurde mit Urteil des Amtsgerichts Bad Iburg vom 14. August 1995 geschieden. Im Verbund mit der Scheidung sprach das Amtsgericht der Beschwerdeführerin einen Zugewinnausgleichsanspruch in Höhe von 112.170,20 DM zu. Wesentlicher Streitpunkt im Verfahren über den Zugewinnausgleich war die Bewertung eines hälftigen Anteils des Ehemannes der Beschwerdeführerin an einer Arztpraxis. Das Amtsgericht stützte seine Entscheidung maßgeblich auf ein vom Ehemann der Beschwerdeführerin vorgelegtes Sachverständigengutachten, welches den Anteil des Ehemannes an der Arztpraxis mit 255.625 DM bewertet hatte.
Das Oberlandesgericht Oldenburg änderte mit Urteil vom 6. Februar 1996 die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, dass der Ehemann verpflichtet wurde, an die Beschwerdeführerin einen Zugewinnausgleich in Höhe von 36.017,05 DM zu zahlen. Diesen Betrag hatte der Ehemann anerkannt. Ein weitergehender Anspruch der Beschwerdeführerin bestehe nicht. Für die Bewertung der Arztpraxis könne weder das vom Amtsgericht herangezogene Sachverständigengutachten noch ein weiteres in der zweiten Instanz vom Ehemann vorgelegtes Privatgutachten zugrunde gelegt werden. Der Goodwill der Praxis sei überwiegend nicht dem Ehemann als Wert zuzurechnen, sondern dem Partner der Gemeinschaftspraxis, welcher die Praxis 1981 allein gegründet habe und der die werterhöhenden Faktoren wie die Lage der Praxis in einem Krankenhaus und die damit verbundenen Vorteile begründet habe. Zudem sei zweifelhaft, ob der bei Ausscheiden eines Partners nach dem Praxisvertrag abzugeltende Vermögensanteil überhaupt ideelle Werte mitumfasse. Der Ehemann, welcher nach der Scheidung tatsächlich aus der Praxis ausgeschieden sei, habe auch nicht vorgetragen, welchen Abfindungsbetrag er von seinem Vertragspartner zu beanspruchen habe. Das vorhandene Sachvermögen sei abweichend von dem vorgelegten Sachverständigengutachten nicht hälftig aufzuteilen. Vielmehr gehe der Senat mangels anderweitiger Darstellung davon aus, dass der weit überwiegende Teil dem Partner des Ehemannes zuzurechnen sei. Daher sei der Praxisanteil allenfalls mit einem Betrag von 100.000 DM zu bewerten, was bedeute, dass der Beschwerdeführerin über den anerkannten Betrag und weitere vom Ehemann bezahlte 12.000 DM hinaus kein Zugewinnausgleichsanspruch zustehe.
2. Die Beschwerdeführerin sieht sich insbesondere in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Oberlandesgericht habe sich völlig überraschend von der sachverständigen Bewertung des Praxisanteils gelöst und den Wert mit problematischen Unterstellungen, welche die Parteien nicht hätten voraussehen können, ohne eigene Anschauung und Sachkunde bestimmt. Da hierauf nicht hingewiesen worden sei, habe die Beschwerdeführerin nicht zu den der Schätzung des Praxiswertes zugrunde liegenden Unterstellungen des Oberlandesgerichts Stellung nehmen können. Der Ehemann selbst sei von einem Praxiswert von circa 300.000 DM ausgegangen und habe vor dem Landgericht Osnabrück im Vergleichswege die Zahlung eines Ausgleichsbetrages in Höhe von 150.000 DM erlangt.
3. Der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens und das Land Niedersachsen haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts garantiert Art. 103 Abs. 1 GG den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern (vgl. BVerfGE 1, 418 <429>; 84, 188 <190>). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist aber nicht bloß dann verletzt, wenn ein Beteiligter gar nicht zu Wort gekommen ist oder wenn das Gericht Tatsachen seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, zu denen die Beteiligten nicht haben Stellung nehmen können. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt auch voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei der Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann (vgl. BVerfGE 84, 188 <190>).
2. Diesen Grundsätzen ist die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg nicht gerecht geworden. Sie verletzt daher die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Für die Beschwerdeführerin war in keiner Weise voraussehbar, dass das Oberlandesgericht bei seiner Beurteilung des Wertes des Praxisanteils des Ehemannes abweichend vom übereinstimmenden Vortrag der Parteien und beiden vorliegenden Sachverständigengutachten nicht eine hälftige Beteiligung des Ehemannes am gesamten Praxiswert, sondern eine hiervon abweichende, auf verschiedene tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte gestützte Beteiligung zugrunde legen würde. Daher hätte es eines Hinweises auf diejenigen Gesichtspunkte bedurft, die aus Sicht des Oberlandesgerichts eine Abweichung von der hälftigen Berechtigung des Ehemannes rechtfertigten und die aus seiner Sicht für die Bewertung des Praxisanteils maßgeblich waren.
Der den Parteien bekannte Vertrag zur Ausübung der Gemeinschaftspraxis sah eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit dem Ehemann der Beschwerdeführerin als gleichberechtigtem Partner vor. So wurde auch die Verteilung der Praxiseinnahmen hälftig vorgenommen. Dementsprechend hatten die Parteien im Prozess die hälftige Teilung des Praxiswertes nicht in Frage gestellt. Die Beschwerdeführerin hatte sich auf das in erster Instanz zugrunde gelegte Sachverständigengutachten bezogen, welches bei den Berechnungen zur Ermittlung des Wertes des Praxisanteils des Ehemannes von einer hälftigen Teilung des Praxiswertes ausgegangen war. Der Ehemann und Antragsgegner des Ausgangsverfahrens hatte die Berufung im Wesentlichen mit dem ergänzenden Gutachten begründet und auf die Relevanz der zwischenzeitlich (nach dem Stichtag) ausgesprochenen Kündigung des Praxisvertrages abgestellt, den Ansatz der hälftigen Teilung jedoch nie in Frage gestellt.
Demgegenüber hat das Oberlandesgericht zum einen bezüglich des ideellen Wertes der Praxis festgestellt, sofern dieser überhaupt auszugleichen sei, stehe der Goodwill überwiegend dem Partner des Ehemannes zu, da dieser die Praxis gegründet habe und die besonderen Vorzüge der Praxis (Lage im Krankenhaus, Anbindung, niedrige Miete) auf ihn zurückgingen. Zum anderen hat das Oberlandesgericht, ohne dass der gegenseitige Vortrag dazu Anlass gegeben hatte, die hälftige Aufteilung des Sachvermögens in Frage gestellt. Es hat ohne jede Begründung ausgeführt, "mangels anderweitiger Darstellung" gehe der Senat davon aus, dass der dem verbleibenden Partner zustehende Teil des Sachvermögens erheblich größer als der dem Ehemann zustehende Anteil sei. Nachdem beide Parteien auf der Grundlage des Wertgutachtens von einer hälftigen Aufteilung des Gesamtwertes ausgingen, bestand für die Beschwerdeführerin kein Anlass, zu den Eigentumsverhältnissen an der Praxiseinrichtung vorzutragen. Insbesondere konnte sie auch nicht die vom Oberlandesgericht ohne jede Tatsachengrundlage (im Ergebnis zugunsten des Ehemannes) vorgenommene Unterstellung entkräften, der Anteil seines Partners am Sachvermögen sei "erheblich größer". Diese Unterstellung ist auch deshalb überraschend, weil sie in klarem Widerspruch zur eindeutigen Regelung im Praxisvertrag steht. Nach dessen § 2 Abs. 2 sollten nach dem 1. Januar 1988 angeschaffte Praxisgegenstände im gemeinsamen Eigentum beider Partner stehen. Aus dem Anlagenverzeichnis zum Sachverständigengutachten vom 28. Juli 1994 ergibt sich, dass von der Bewertung des Sachvermögens nur Gegenstände betroffen waren, die nach dem 1. Januar 1988 angeschafft wurden. Wenn das Oberlandesgericht vor dem Hintergrund dieser für eine hälftige Berücksichtigung der Sachwerte sprechenden vertraglichen Regelung ausführt, "mangels anderweitiger Darstellung" sei davon auszugehen, dass der erheblich größere Teil des Sachvermögens dem Vertragspartner des Ehemannes zuzurechnen sei, stellt es Anforderungen an den Sachvortrag der Parteien, mit denen diese angesichts des bisherigen Prozessverlaufs nicht zu rechnen brauchten.
b) Auch soweit das Oberlandesgericht dann im Wege einer nicht näher begründeten Schätzung festgestellt hat, dass weder dargetan noch ersichtlich sei, dass der dem Ehemann am Stichtag zustehende Anteil "höher zu bewerten ist als allenfalls etwa 100.000 DM", konnte die Beschwerdeführerin hierzu nicht vortragen, da schon nicht erkennbar ist, wie das Oberlandesgericht zu dieser Zahl gelangt ist, zumal es die Gutachten des Sachverständigen ausdrücklich nicht für die Wertermittlung zugrunde gelegt hat.
3. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Das Urteil des Oberlandesgerichts wird daher, soweit der Zugewinnausgleichsanspruch der Beschwerdeführerin betroffen ist, aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BVerfGG).
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Ende der Entscheidung
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