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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 14.05.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 730/07
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 730/07 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 14. Februar 2007 - 30 C 1839/06-45 -,

b) das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 16. Januar 2007 - 30 C 1839/06-45 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Gaier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 14. Mai 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Unterlassen einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof.

1. a) Die Beschwerdeführerin betreibt eine internationale Fluglinie. Der Kläger des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Kläger) hatte bei ihr für den 2. März 2006 einen Flug von Düsseldorf nach Dubai gebucht. Der Kläger konnte wegen eines technischen Problems erst am Folgetag fliegen. Er verlangte von der Beschwerdeführerin die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs in Höhe von 600 € wegen der nach seiner Ansicht erfolgten Annullierung des von ihm gebuchten Fluges.

b) Das Amtsgericht gab der Klage gestützt auf Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchstabe c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46) statt und ließ die Berufung nicht zu. Der Flug vom 2. März 2006 sei nicht nur verspätet gestartet, sondern annulliert worden. Für die Abgrenzung der Verspätung von der Annullierung sei nicht der Zeitfaktor das Entscheidende; sie sei vielmehr danach vorzunehmen, ob ein neues Ticket oder eine neue Bordkarte ausgestellt wurde, eine neue Flugnummer vergeben wurde, nochmals eingecheckt werden musste oder andere Passagiere auf dem Flug befördert wurden. Hier liege keine Identität der Passagierlisten vor und die beiden Flüge hätten verschiedene Flugnummern gehabt, so dass der Flug vom 2. März 2006 nicht - im Übrigen unverändert - lediglich zeitlich verschoben worden sei. Die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung, weswegen die Berufung nicht zuzulassen sei. Auch sei der Rechtsstreit nicht dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Art. 234 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im Folgenden: EG-Vertrag) sei nicht einschlägig; denn es gehe weder um die Auslegung des EG-Vertrages, noch um die Gültigkeit und die Auslegung von Handlungen der Organe der Gemeinschaft oder der Europäischen Zentralbank oder die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen, sondern um Detailprobleme der EG-Verordnung Nr. 261/2004.

Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin Anhörungsrüge. Dabei rügte sie, die Nichtzulassung der Berufung und die unterbliebene Vorlage an den Europäischen Gerichtshof würden ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen. Das Amtsgericht wies die Rüge als unbegründet zurück.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen beide Entscheidungen des Amtsgerichts und rügt die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Amtsgericht hätte unter anderem die entscheidungserhebliche Frage, mit welchen Merkmalen die Annullierung von der Flugverspätung abzugrenzen sei, dem Europäischen Gerichtshof vorlegen oder die Berufung zulassen müssen. Da gegen das Urteil des Amtsgerichts nach innerstaatlichem Recht kein Rechtsmittel statthaft sei, seien das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfahrensgrundrechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts ist unzulässig, weil sie entgegen § 93 Abs. 1 BVerfGG nicht binnen eines Monats ab Zustellung des angegriffenen Urteils erhoben wurde.

Für den Beginn der Beschwerdefrist ist hier der Zeitpunkt maßgebend, an dem das Urteil des Amtsgerichts zugestellt wurde. Zwar gehört die gegen dieses Urteil erhobene Anhörungsrüge (§ 321 a ZPO) jedenfalls in Bezug auf die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ebenfalls zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, NJW 2005, S. 3059). Im vorliegenden Fall war die Anhörungsrüge jedoch wegen ihrer offensichtlichen Unzulässigkeit nicht geeignet, die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten.

a) Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verpflichtet den Beschwerdeführer auch dazu, von einem Rechtsbehelf Gebrauch zu machen, dessen Zulässigkeit im konkreten Fall unterschiedlich beurteilt werden kann (vgl. BVerfGE 47, 168 <175>). Erweist sich in einem solchen Fall der Rechtsbehelf im Nachhinein als unzulässig, so beginnt der Lauf der Monatsfrist aus § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erst mit der Entscheidung, durch die der unzulässige Rechtsbehelf verworfen wird. Anders liegen die Dinge jedoch im Fall eines offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfs. Anderenfalls würde sich für den Beschwerdeführer die Möglichkeit ergeben, durch Einlegung eines offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfs den Ablauf der mit der letztinstanzlichen Entscheidung in Gang gesetzten Frist zu verhindern (vgl. Desens, NJW 2006, S. 1243 <1246>). Dabei ist als offensichtlich unzulässig ein Rechtsmittel anzusehen, über dessen Unzulässigkeit der Beschwerdeführer nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht im Ungewissen sein konnte (vgl. BVerfGE 28, 1 <6>).

b) Die von der Beschwerdeführerin erhobene Anhörungsrüge war offensichtlich unzulässig.

aa) Zwar hat das Amtsgericht die Anhörungsrüge nicht als unzulässig verworfen (§ 321 a Abs. 4 Satz 2 ZPO). Die vom Ausgangsgericht vorgenommene Zurückweisung als unbegründet ist für die Bewertung der Zulässigkeit dieses Rechtsbehelfs mit Blick auf die Monatsfrist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde aber nicht von Bedeutung. Kommt es darauf an, ob ein gegen die Ausgangsentscheidung eingelegter Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig war, so ist diese Prüfung vom Bundesverfassungsgericht ohne Bindung an die Entscheidung des Fachgerichts vorzunehmen. Ein prozessual einheitliches Schicksal des mit der Anhörungsrüge geltend zu machenden Gehörsverstoßes einerseits und weiterer mit der Verfassungsbeschwerde zu rügender Grundrechtsverletzungen andererseits ist nur geboten, wenn nach dem Vortrag des Beschwerdeführers in der fachgerichtlichen Anhörungsrüge die Möglichkeit einer Gehörsverletzung überhaupt in Betracht kommt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. März 2007 - 2 BvR 120/07 -) und daher die Anhörungsrüge nicht offensichtlich unzulässig ist.

bb) Bei Einlegung der Anhörungsrüge bestand aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei - auf die es insoweit ankommt (vgl. BVerfGE 91, 93 <107>) - nach dem Stand der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (1) und der Literatur (2) kein Zweifel an der Unzulässigkeit der Anhörungsrüge.

(1) Die Anhörungsrüge nach § 321 a Abs. 1 ZPO bezweckt die Heilung einer behaupteten Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, a.a.O.). Art. 103 Abs. 1 GG ist ein Prozessgrundrecht mit herausragender Bedeutung, das als grundsätzlich unabdingbares objektivrechtliches Prinzip für ein gerichtliches Verfahren und als prozessuales Urrecht des Menschen (vgl. BVerfGE 70, 180 <188>) die Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards in gerichtlichen Verfahren sichert (vgl. BVerfGE 107, 395 <407>). Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass die vom Fachgericht zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die auf mangelnder Kenntnisnahme oder Erwägung des Sachvortrags der Prozessbeteiligten beruhen (vgl. BVerfGE 50, 32 <35>; 65, 305 <307>; stRspr). Der Schutzbereich des grundrechtsgleichen Rechts ist daher auf das vom Gericht einzuhaltende Verfahren, nicht aber auf die Kontrolle der Entscheidung in der Sache ausgerichtet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG daher keine Pflicht der Gerichte, der von einer Partei vertretenen Rechtsansicht zu folgen (vgl. BVerfGE 64, 1 <12>; 80, 269 <286>; 87, 1 <33>).

(2) Auch in der Literatur wird herausgestellt, dass Art. 103 Abs. 1 GG die Art und Weise der Gehörsgewährung, nicht aber das Ergebnis der richterlichen Entscheidungsfindung betrifft (vgl. Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl. 2005, Art. 103 Rn. 96; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 2000, Art. 103 I Rn. 62).

Es entspricht zudem allgemeiner Meinung in der verfassungsrechtlichen Literatur, dass das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde hin nur bei der Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht eingreifen kann. Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung am einfachen Recht gemessen objektiv fehlerhaft ist. Deswegen vermag die Behauptung, der Richter habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, grundsätzlich keinen Verstoß gegen Verfassungsrecht und im Besonderen gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu begründen (vgl. nur Leibholz/Rinck, GG, Art. 103 Rn. 571; Schmidt-Aßmann, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 103 Rn. 98). Auch danach ist die unterbliebene Zulassung der Berufung sowie die Nichtvorlage an den Europäischen Gerichtshof - trotz des zweifelhaften Ergebnisses, Art. 234 Abs. 3 des EG-Vertrages sei nicht einschlägig - nicht geeignet, schlüssig eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu begründen.

cc) Die zur einfachrechtlichen Norm des § 321 a ZPO vertretenen Meinungen führen zu keiner anderen Bewertung.

Überwiegend wird aus dem Gesetzeswortlaut gefolgert, Rügegegenstand nach § 321 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO könne nur die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sein (vgl. Musielak, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 321 a Rn. 6; aber auch Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 321 a Rn. 3 a). Soweit erwogen wird, § 321 a ZPO könne auch auf die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter analog angewendet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2006 - I ZR 151/02 -, NJW 2006, S. 1978 f. m.w.N.), oder dass sogar "eine Ergebniskorrektur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit zu ermöglichen" sei (vgl. Vollkommer, a.a.O., Rn. 11), hat dies nicht zur Folge, dass für die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall die Offenkundigkeit der Unzulässigkeit ihrer Anhörungsrüge in Frage gestellt würde.

Ungeachtet der Frage, ob die - mit den insoweit schwerlich aussagekräftigen Gesetzesmaterialen zur Revisionszulassung (vgl. BTDrucks 14/4722, S. 67) begründete - Zulassung einer Anhörungsrüge für Fälle offensichtlicher Unrichtigkeit gerichtlicher Entscheidungen (vgl. Vollkommer, a.a.O., Rn. 11) mit der bereits angeführten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsmittelklarheit (vgl. BVerfGE 107, 395 <416>) in Einklang zu bringen ist, kann sich die Beschwerdeführerin auf die genannte Literaturansicht nicht berufen. Sie hat nämlich den damit angesprochenen objektiven Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) mit ihrer Anhörungsrüge im Ausgangsverfahren nicht geltend gemacht. Entsprechendes gilt auch für die vom Bundesgerichtshof in Erwägung gezogene Auslegung des § 321 a ZPO, die den Anwendungsbereich der Anhörungsrüge auf die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 GG erweitern soll. Mit ihrer Anhörungsrüge hat die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht behauptet und auch deren Voraussetzungen entgegen § 321 a Abs. 2 Satz 5 ZPO nicht dargelegt. Es bedarf daher hier keiner Entscheidung, ob eine Anhörungsrüge, die nicht die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, sondern aufgrund einer erweiternden Auslegung des § 321 a ZPO insbesondere durch die Fachgerichte zur Rüge der Verletzung anderer Verfassungsrechte genutzt werden soll, die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG offen hält.

2. Konnte die Beschwerdeführerin danach über die Unzulässigkeit ihrer Anhörungsrüge nicht im Ungewissen sein, so hätte sie mit Blick auf die von ihr nunmehr gerügte Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Anlass gehabt, zumindest vorsorglich innerhalb der Monatsfrist Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts einzulegen (vgl. BVerfGE 48, 341 <346>; Sperlich und Heusch/Sennekamp, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 90 Rn. 123 und § 93 Rn. 35).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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