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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 29.06.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 825/98
Rechtsgebiete: UrhG, BVerfGG, ZPO, GG
Vorschriften:
UrhG § 97 | |
UrhG § 15 Abs. 1 | |
UrhG § 16 | |
UrhG § 17 | |
UrhG § 51 | |
UrhG § 24 | |
UrhG § 51 Nr. 2 | |
UrhG § 45 ff. | |
BVerfGG § 93 b | |
BVerfGG § 93 a | |
BVerfGG § 34 a Abs. 2 | |
ZPO § 66 | |
GG Art. 5 Abs. 1 | |
GG Art. 5 Abs. 3 | |
GG Art. 5 Abs. 3 Satz 1 | |
GG Art. 14 Abs. 1 | |
GG Art. 14 | |
GG Art. 2 Abs. 1 | |
GG Art. 1 Abs. 1 |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 825/98 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über die Verfassungsbeschwerde
1. der Frau M...,
2. des Verlags K... GmbH & Co. KG
- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Dr. Peter Raue und Koll., Rankestraße 21, Berlin -
gegen
das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 26. März 1998 - 29 U 5758/97 -
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Hömig am 29. Juni 2000 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 26. März 1998 - 29 U 5758/97 - verletzt die Beschwerdeführerin zu 2) in ihren Rechten aus Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin zu 2) die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
A.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein zivilgerichtliches Verbot der Vervielfältigung und Verbreitung der Buchausgabe eines Theaterstücks des im Dezember 1995 verstorbenen Dramatikers und Dichters Heiner Müller, solange darin Passagen aus Werken von Bertolt Brecht enthalten sind.
I.
1. Die Beschwerdeführerin zu 1) ist die Witwe und Alleinerbin von Heiner Müller. Von der Beschwerdeführerin zu 2) wird die Buchausgabe seines letzten, im Jahre 1996 veröffentlichten Theaterstücks "GERMANIA 3 GESPENSTER AM TOTEN MANN" verlegt. Das Theaterstück im Gesamtumfang von 75 Textseiten ist in neun Szenen untergliedert, die - abgesehen von der Anfangs- und Schlussszene - chronologisch aufgebaut sind und sich mit der politisch-gesellschaftlichen Situation im Zeitraum von 1941 bis 1956 beschäftigen. In der Szene "Massnahme 1956" (Umfang etwa 18 Textseiten) werden Textpassagen aus Bühnenwerken Bertolt Brechts wiedergegeben, ohne dass dafür eine Genehmigung von dessen Erben vorliegt. Es handelt sich dabei um eine Szene aus dem "Leben des Galilei" ("Parabel des kleinen Mönchs", Umfang etwa zwei Textseiten) sowie um Szenen aus "Coriolan" (Umfang zusammen etwa zwei Textseiten). Sie werden - wie alle Fremdtexte - durch Kursivdruck hervorgehoben. Im Anhang des Buches wird unter der Überschrift "Textnachweise" in allgemeiner Form auf die Quellen verwiesen.
2. Die Inhaber der Rechte an den Werken Bertolt Brechts haben sich zunächst im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erfolglos gegen die Verwendung der Brecht-Passagen und gegen ein Textstück "Stimme Brecht" gewandt. Im Hauptsacheverfahren hat das Oberlandesgericht München hingegen mit der vorliegend angegriffenen Entscheidung der Klage hinsichtlich der Brecht-Passagen stattgegeben und der Beschwerdeführerin zu 2) unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten, das Buch "GERMANIA 3 GESPENSTER AM TOTEN MANN" von Heiner Müller zu vervielfältigen oder zu verbreiten, solange diese Passagen darin enthalten sind.
Das Klagebegehren sei gemäß § 97 in Verbindung mit § 15 Abs. 1, §§ 16, 17 Urheberrechtsgesetz (UrhG) begründet, weil die Inhaber der Urheberrechte der wörtlichen Text-Wiedergabe nicht zugestimmt hätten und diese weder durch die Zitierfreiheit nach § 51 UrhG gedeckt sei, noch eine nach § 24 UrhG zulässige freie Benutzung vorliege.
Der sachliche Umfang des in § 51 Nr. 2 UrhG geregelten so genannten Kleinzitats bestimme sich durch den konkreten Zitatzweck im Rahmen des zitierenden Werks. Die Zitierfreiheit solle der Freiheit der geistigen Auseinandersetzung mit fremden Gedanken dienen und auch in der Form stattfinden können, dass politische, wissenschaftliche oder geistige Strömungen durch die wörtliche Wiedergabe einzelner Stellen aus den geschützten Werken verschiedener Autoren deutlich gemacht würden. Zulässig sei ein Zitat aber nur, wenn es als Beleg für eigene Erörterungen des Zitierenden erscheine. Der Zitierende solle durch die Zitierfreiheit in die Lage versetzt werden, Entlehnungen als Hilfsmittel der eigenen Darstellung zu benutzen, sei es, dass er das fremde Werk kritisch beleuchte, sei es, dass er es als Ausgangspunkt und insbesondere zur Bekräftigung und Erläuterung des eigenen Gedankengangs auswerte, oder sei es, dass er es in Gestalt von Leseproben zur Veranschaulichung eines selbständigen Berichts verwenden wolle. Es müsse also eine innere Verbindung mit den eigenen Gedanken hergestellt werden; denn Sinn und Zweck von Zitaten sei stets nur die Unterstützung der eigenen Ausführungen oder die Auseinandersetzung mit fremden Gedanken.
Im Streitfall könne nicht festgestellt werden, dass die durch Heiner Müller übernommenen Zitate als Belege für eigene Darlegungen zu beurteilen seien. Zum Wesen des Zitats gehöre zunächst, dass es nicht ununterscheidbar in das zitierende Werk integriert sei, sondern als fremde Zutat ersichtlich gemacht werde. Es könne dahingestellt bleiben, ob allein die Kursivschrift die fremden Textstellen ohne weiteres erkennbar vom eigenen Werk abzuheben vermöge; denn die Erkennbarkeit unterstellt, komme den fremden Werkteilen im Streitfall nicht lediglich eine Belegfunktion zu. Die übernommenen Textteile aus "Leben des Galilei" und "Coriolan" seien nicht nur Hilfsmittel für die Zwecke des zitierenden Werkes, sie träten vielmehr dergestalt an die Stelle eigener Darlegungen des Autors, dass sie nicht lediglich als Beleg im genannten Sinne dienten, sondern eigene Ausführungen ersetzten. Wie weitgehend die übernommenen Textteile die Szene "Massnahme 1956" selbständig trügen, werde deutlich, wenn die beiden Brecht-Texte weggedacht würden: Zumindest dieser Teil des Werks sei dann praktisch nicht mehr existenzfähig, die Szene falle in sich zusammen. Wenn auch wohl nicht verlangt werden könne, dass das Zitat eine völlig untergeordnete Rolle spielen müsse, setze doch die erforderliche Selbständigkeit des zitierenden Werks voraus, dass der Schwerpunkt auf der eigenen geistigen Leistung liege. Davon könne aber nicht mehr gesprochen werden, wenn ein wesentlicher Teil des Werks oder das Werk insgesamt mit den Fremdteilen stehe und falle. Die fremde Textstelle sei jedenfalls dann kein Beleg mehr, wenn sie nicht nur in sich geschlossene eigene Ausführungen untermauere, sondern ein Werk, das sonst ein Torso bliebe, abrunden, ergänzen oder sonst vervollständigen solle.
Die übernommenen Texte Brechts seien zwar szenisch eingearbeitet, sie dienten Müller aber als eigenständige Darstellungsmittel und nicht als Erläuterung oder Vertiefung eigener Ausführungen. Damit sei die nach § 51 Nr. 2 UrhG zulässige Grenze für Kleinzitate eindeutig überschritten. Im Zweifel sei ohnehin schon wegen des Ausnahmecharakters des § 51 UrhG gegen den Zitierenden zu entscheiden. Ob Müller die Kunstform der Collage verwendet habe und ob für Collagen unter Umständen das Zitatrecht im Sinne des § 51 UrhG in Anspruch genommen werden dürfe, könne dahingestellt bleiben, weil eine "Technik der zitierenden Kombination" in der hier vorliegenden Weise ein Stilmittel, aber noch keine Auseinandersetzung mit den zitierten Werken darstelle.
Bei der Einarbeitung der Texte Brechts in das Werk Müllers handele es sich auch nicht um eine freie Benutzung im Sinne des § 24 UrhG. Für die Beurteilung, ob in freier Benutzung eines geschützten Werkes ein selbständiges neues Werk geschaffen worden sei, komme es auf den Abstand an, den das neue Werk von den eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werkes halte, wobei kein milder Maßstab anzulegen sei. Das geschützte Werk müsse derart zurücktreten, dass es nur noch als Anregung zu neuem, selbständigen Werkschaffen erscheine. Bei einer weit gehenden Übernahme der Formgestaltung des älteren Werkes sei dieser innere Abstand nur gegeben, wenn sich das neue Werk mit dem älteren auseinander setze. Bei der Beurteilung sei dabei von einem Betrachter auszugehen, der das benutzte Werk kenne, aber auch das für das neue Werk erforderliche intellektuelle Verständnis besitze. Bei Anwendung dieser Maßstäbe sei eine freie Benutzung nicht feststellbar.
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung der Art. 5 Abs. 1 und 3 GG und Art. 14 Abs. 1 GG.
Die angegriffene Entscheidung verstoße gegen die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Mit dem Verbot des Galilei-Zitats werde eine Schlüsselszene des Werks - die Szene "Massnahme 1956" - zerstört. In dieser Szene setze sich Heiner Müller mit dem Unrechtsstaat der Deutschen Demokratischen Republik auseinander. Gleichzeitig handele es sich um eine hochartifizielle Auseinandersetzung mit Bertolt Brecht. Die Szene beschreibe die Proben zu Brechts letzter Inszenierung am Berliner Ensemble, dem "Coriolan". Diese Proben fänden statt, während das Land von dem Ungarn-Aufstand erschüttert werde und die Staatsmacht der Deutschen Demokratischen Republik gegen Intellektuelle vorgehe. Müller greife diese historisch belegten Proben kurz vor Brechts Tod auf und verfremde sie. Eine zentrale Rolle spielten die beiden damaligen Brecht-Assistenten, die bis heute gleichsam die politischen Antipoden des Brecht-Theaters seien. In der Szene "Massnahme 1956" verschränkten sich damit historische, politische, persönliche und ideologische Tatsachen und Auseinandersetzungen. Vor dem historischen Hintergrund und mit diesem historischen Personal lasse Müller die Auseinandersetzung mit Brecht und seiner politischen Situation im Verhältnis zu den Machthabern der Deutschen Demokratischen Republik sich entwickeln. Er bediene sich dazu in einer Art Collage der Texte Brechts und stelle die "Parabel des kleinen Mönchs" aus dem "Leben des Galilei" dem "Coriolan" gegenüber. Durch die aus diesem Stück übernommenen kurzen Passagen führe Müller die menschenverachtende Rede des Aristokraten Coriolan vor, der seine Machtträume am Ungenügen der Masse scheitern sehe. In das vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse im damaligen Ost-Berlin fiktional gestaltete Gespräch während der "Coriolan"-Probe müsse auch deren Gegenstand - der Text des "Coriolan" - eingearbeitet werden. Sie bilde den Antipoden zu der "Parabel des kleinen Mönchs". Das Verbot der Zitate dieser beiden Passagen bedeute einen groben Eingriff in die Integrität des von Heiner Müller geschaffenen Kunstwerks und damit in Art. 5 Abs. 3 GG.
Damit einher gehe eine Verletzung des Rechts auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG. Die Szene "Massnahme 1956" sei nicht nur Kunstwerk, sondern auch eine hochbrisante politische Auseinandersetzung Müllers mit Brecht. Dabei sei nicht nur die inhaltliche Position Müllers durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt, sondern im konkreten Fall auch die besondere Form, die er mit seiner künstlerischen Gestaltung dieser Auseinandersetzung gebe.
Schließlich verletze das angegriffene Urteil auch das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerinnen. Das Recht, das Werk in vollständiger Form zu nutzen und zu verwerten, sei ein durch Art. 14 GG geschütztes vermögenswertes Recht. Heiner Müller habe die Verlagsrechte an seinem Werk an die Beschwerdeführerin zu 2) übertragen. Die Beschwerdeführerin zu 1) erhalte aus dem Verkauf der Werke Tantiemen. Mit dem Verbot des Werks in der Originalfassung werde das Vermögen beider Beschwerdeführerinnen verletzt.
III.
Zur Verfassungsbeschwerde haben das Bayerische Staatsministerium der Justiz, die Kläger des Ausgangsverfahrens, der Vorsitzende des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes und das P.E.N. Zentrum Deutschland Stellung genommen.
B.
I.
Die Kammer nimmt gemäß § 93 b BVerfGG die zulässige Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung ihrer Rechte aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde ist stattzugeben. Die Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.
1. Prüfungsmaßstab ist vorrangig Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, auf den sich die Beschwerdeführerin zu 2) als Verlegerin der Buchausgabe des Theaterstücks von Heiner Müller berufen kann (vgl. BVerfGE 30, 173 <191, 200>). Art. 5 Abs. 1 GG tritt dahinter zurück, da die Kunstfreiheit bei der vom Autor gewählten Form das speziellere Grundrecht darstellt (vgl. BVerfGE 30, 173 <200>; 75, 369 <377>).
Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits hinreichend geklärt (vgl. etwa zur Kunstfreiheit BVerfGE 30, 173 <191, 200>; 83, 130 <145 f.>; zum Urheberrecht BVerfGE 31, 229 <238 ff.>; 81, 208 <214>). Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht konkret zur Frage des Verhältnisses zwischen Kunstfreiheit und Urheberrecht noch nicht geäußert, jedoch lässt sich die vorliegende Fallgestaltung anhand der zu beiden Bereichen aufgestellten Grundsätze und der Rechtsprechung zu den sich aus der Werteordnung des Grundgesetzes ergebenden Schranken lösen.
a) Bei dem Stück "GERMANIA 3 GESPENSTER AM TOTEN MANN" handelt es sich um ein Kunstwerk im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Es ist Teil der herkömmlichen Kunstform Theater und - auch hinsichtlich der hier einschlägigen Szene "Massnahme 1956" - das Ergebnis freier schöpferischer Gestaltung des Dramatikers Heiner Müller, in der Eindrücke, Erfahrungen und Phantasien des Autors zum Ausdruck kommen (vgl. BVerfGE 30, 173 <188 ff.>; 67, 213 <226>; 83, 130 <138>). Von der Kunsteigenschaft sind offensichtlich auch die Gerichte des Ausgangsverfahrens ausgegangen. Sie haben dazu zwar keine näheren Ausführungen gemacht, aber hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, dass sie das Theaterstück als Kunstwerk ansehen.
b) Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend, geschützt sind Werk- und Wirkbereich. Sinn und Aufgabe dieses Grundrechts ist es dabei vor allem, die freie Entwicklung des künstlerischen Schaffensprozesses ohne Eingriffe durch die öffentliche Gewalt zu garantieren (vgl. BVerfGE 30, 173 <190>). Dabei wird der durch die Kunstfreiheit gewährte Schutz nicht dadurch beseitigt, dass es sich um ein künstlerisch vorgebrachtes politisches Anliegen handelt (vgl. BVerfGE 67, 213 <227 f.>).
Die Kunstfreiheit ist dabei zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos gewährleistet. Die Schranken ergeben sich aus den Grundrechten anderer Rechtsträger (z.B. dem Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG: BVerfGE 30, 173 <193>; 67, 213 <228>), aber auch aus sonstigen Rechtsgütern mit Verfassungsrang (z.B. dem Jugendschutz: BVerfGE 83, 130 <139>). Eine solche Schranke kann sich auch aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG ergeben, die den Schutz des geistigen Eigentums und hier insbesondere des Urheberrechts erfasst. Auch das Eigentum ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gebietet im Bereich des Urheberrechts lediglich die grundsätzliche Zuordnung der vermögenswerten Seite dieses Rechts an den Urheber. Damit ist aber nicht jede denkbare Verwertungsmöglichkeit verfassungsrechtlich gesichert, sondern der Gesetzgeber hat im Rahmen des Urheberrechts sachgerechte Maßstäbe für die Grenzen zu finden (grundlegend BVerfGE 31, 229 <240 f.>). Solche Maßstäbe ergeben sich beispielsweise aus den Schrankenbestimmungen der §§ 45 ff. UrhG, deren Wirksamkeit vorliegend nicht im Streit steht.
Treffen mehrere grundrechtlich geschützte Positionen aufeinander, so ist es zunächst Aufgabe des Richters, im Rahmen der Anwendung der einschlägigen einfachrechtlichen Regelungen die Schranken des Grundrechtsbereichs der einen Partei gegenüber demjenigen der anderen Partei zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 30, 173 <197>).
c) Das Oberlandesgericht München hat bei der Auslegung und Anwendung des § 51 Nr. 2 UrhG Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit grundlegend verkannt. Es setzt sich mit dem künstlerischen Anliegen nicht hinreichend auseinander und lässt die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gebotene kunstspezifische Betrachtung des von Müller geschaffenen Werkes vermissen (vgl. BVerfGE 30, 173 <188, 198>).
aa) Die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geforderte kunstspezifische Betrachtung verlangt, bei der Auslegung und Anwendung des § 51 Nr. 2 UrhG die innere Verbindung der zitierten Stellen mit den Gedanken und Überlegungen des Zitierenden über die bloße Belegfunktion hinaus auch als Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung anzuerkennen und damit dieser Vorschrift für Kunstwerke zu einem Anwendungsbereich zu verhelfen, der weiter ist als bei anderen, nichtkünstlerischen Sprachwerken.
Dabei ist grundlegend zu beachten, dass mit der Veröffentlichung ein Werk nicht mehr allein seinem Inhaber zur Verfügung steht. Vielmehr tritt es bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und kann damit zu einem eigenständigen, das kulturelle und geistige Bild der Zeit mitbestimmenden Faktor werden. Es löst sich mit der Zeit von der privatrechtlichen Verfügbarkeit und wird geistiges und kulturelles Allgemeingut (BVerfGE 79, 29 <42>). Dies ist einerseits die innere Rechtfertigung für die zeitliche Begrenzung des Urheberschutzes, andererseits führt dieser Umstand auch dazu, dass das Werk umso stärker als Anknüpfungspunkt für eine künstlerische Auseinandersetzung dienen kann, je mehr es seine gewünschte gesellschaftliche Rolle erfüllt. Diese gesellschaftliche Einbindung der Kunst ist damit gleichzeitig Wirkungsvoraussetzung für sie und Ursache dafür, dass die Künstler in gewissem Maß Eingriffe in ihre Urheberrechte durch andere Künstler als Teil der sich mit dem Kunstwerk auseinander setzenden Gesellschaft hinzunehmen haben. Zur Bestimmung des zulässigen Umfangs dieser Eingriffe dienen die Schrankenbestimmungen des Urheberrechts (§§ 45 ff. UrhG), die ihrerseits aber wieder im Lichte der Kunstfreiheit auszulegen sind und einen Ausgleich zwischen den verschiedenen - auch verfassungsrechtlich - geschützten Interessen schaffen müssen. Dem Interesse der Urheberrechtsinhaber vor Ausbeutung ihrer Werke ohne Genehmigung zu fremden kommerziellen Zwecken steht das durch die Kunstfreiheit geschützte Interesse anderer Künstler gegenüber, ohne die Gefahr von Eingriffen finanzieller oder inhaltlicher Art in einen künstlerischen Dialog und Schaffensprozess zu vorhandenen Werken treten zu können.
Steht - wie vorliegend - ein geringfügiger Eingriff in die Urheberrechte ohne die Gefahr merklicher wirtschaftlicher Nachteile (z.B. Absatzrückgänge, vgl. hierzu BGH, GRUR 1959, S. 197 <200>) der künstlerischen Entfaltungsfreiheit gegenüber, so haben die Verwertungsinteressen der Urheberrechtsinhaber im Vergleich zu den Nutzungsinteressen für eine künstlerische Auseinandersetzung zurückzutreten.
bb) Daran gemessen tragen die Grundsätze, von denen das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung über die Zulässigkeit einer Verwendung von Zitaten im Rahmen eines eigenständigen Kunstwerks ausgeht, der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung. Insgesamt differenziert es nicht genügend zwischen der Verwendung von Zitaten in künstlerischen Werken einerseits und sonstigen Sprachwerken andererseits, zu denen die vom Oberlandesgericht angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergangen sind (BGH, a.a.O. und BGH, GRUR 1982, S. 37 <40>; vgl. zum Zitatzweck allgemein: Vinck, in: Nordemann/Vinck/Hertin, Urheberrecht, 9. Aufl., 1998, § 51 Rn. 4 <zustimmend zur angegriffenen Entscheidung> und 7; Rehbinder, Urheberrecht, 10. Aufl., 1998, § 36 I; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 1997, Rn. 487 bis 489; Schricker, Urheberrecht, 2. Aufl., 1999, § 51 Rn. 10, 17, 22, 40 ff.; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl., 1980, § 67 I und II). Durch diese Handhabung verkennt das Oberlandesgericht grundlegend den durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gebotenen Schutz des Künstlers vor Beschränkungen, die nicht durch kollidierende Grundrechte Dritter zwingend geboten sind.
Im Kontext einer eigenständigen künstlerischen Gestaltung reicht die Zitierfreiheit über die Verwendung des fremden Textes als Beleg, d.h. zur Verdeutlichung übereinstimmender Meinungen, zum besseren Verständnis der eigenen Ausführungen oder zur Begründung oder Vertiefung des Dargelegten, hinaus. Der Künstler darf urheberrechtlich geschützte Texte auch ohne einen solchen Bezug in sein Werk aufnehmen, soweit sie als solche Gegenstand und Gestaltungsmittel seiner eigenen künstlerischen Aussage bleiben. Wo es, wie hier, ersichtlich darum geht, den fremden Autor (Brecht) selbst als Person der Zeit- und Geistesgeschichte kritisch zu würdigen, kann es ein von der Kunstfreiheit gedecktes Anliegen sein, diesen Autor, seine politische und moralische Haltung sowie die Intention und Wirkungsgeschichte seines Werkes dadurch zu kennzeichnen, dass er selbst durch Zitate zu Wort kommt. Ob das Zitat - auch in dem gewählten Zuschnitt - einer solchen Würdigung und nicht bloß der Anreicherung eines Werkes durch fremdes geistiges Eigentum dient, ist auf Grund einer umfassenden Würdigung des gesamten Werkes zu ermitteln.
Darauf verstellt das Oberlandesgericht sich den Blick, indem es sich bei seiner Wertung auf die Szene "Massnahme 1956" beschränkt, ohne diese im Rahmen des gesamten Stückes zu bewerten. Der Hinweis, dass diese Szene ohne die streitigen Zitate in sich zusammenfallen würde und nicht mehr existenzfähig sei, wird der künstlerischen Bedeutung der Zitate im Zusammenhang des Theaterstücks nicht gerecht. Das Oberlandesgericht verkennt Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit auch insofern, als es eine Verwendung der Zitate als künstlerisches Stilmittel nicht näher in Betracht zieht, weil in einer solchen Verwendung keine Auseinandersetzung mit den zitierten Werken liege; so werden die Zitate von Ausschnitten aus Kleist, Prinz Friedrich von Homburg und anderen Werken nicht in die Gesamtbetrachtung eingestellt. Damit verschließt sich das Gericht der Erkenntnis, dass Heiner Müller die Verschränkung fremder und eigener Texte als durchgängiges Stilmittel gewählt hat, und dass er über die ausgewählten fremden Themen und Texte zugleich deren Geschichte, Kolorit und Rezeption sowie ihren politischen Hintergrund in sein eigenes Werk zu einem neuen Ganzen einfügt. Die künstlerische Verarbeitung fremder Texte ist eben nicht auf eine kritische Erörterung der darin enthaltenen Aussage beschränkt, sondern kann sich in verschiedenen Formen vollziehen, die der Künstler nach seinen ästhetischen Vorstellungen auswählt. Die Zulässigkeit der Verwendung des fremden Textes im Rahmen eines Kunstwerks hängt nicht davon ab, ob der Künstler sich damit "auseinander setzt", maßgeblich ist vielmehr allein, ob es sich funktional in die künstlerische Gestaltung und Intention seines Werks einfügt und damit als integraler Bestandteil einer eigenständigen künstlerischen Aussage erscheint. Die Einordnung des Zitats als (bloßes) Stilmittel führt bei der im Streitfalle gebotenen kunstspezifischen Betrachtung des zitierenden Werks allein nicht weiter; diese formale Kategorie, der im angegriffenen Urteil Begriffe wie "Kollagetechnik" oder "Technik der zitierenden Kombination" zugeordnet werden, sagt über die künstlerische Bedeutung des Zitats nichts Wesentliches aus. Zwar berücksichtigt das Oberlandesgericht bei seiner Bewertung, dass Müller die Zitate Brechts in sein eigenes Werk szenisch eingearbeitet hat. Es geht aber auf die fragliche Szene "Massnahme 1956" und ihren Aussagegehalt nicht näher ein und misst ihrer szenischen Einarbeitung und ihrem Standort im Stück - anders als die Vorinstanz - künstlerisch keinen besonderen Wert zu.
2. Ob sich die Beschwerdeführerin zu 2) vorliegend erfolgreich auf eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG berufen könnte, kann dahinstehen, da sich aus Art. 14 Abs. 1 GG für sie jedenfalls kein weiter gehender Schutz ergeben würde.
II.
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Annahmevoraussetzungen gemäß § 93 a BVerfGG nicht vorliegen. Auch ihre Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
Die Beschwerdeführerin zu 1) war am Ausgangsverfahren nicht beteiligt; sie ist allerdings von der angegriffenen Entscheidung unmittelbar betroffen (vgl. BVerfGE 15, 256 <262 f.>; 24, 289 <295>; 51, 386 <395>), da es ihr unmöglich gemacht wird, insoweit ihr Verwertungsrecht am streitgegenständlichen Theaterstück zu nutzen. Der unmittelbaren Erhebung der Verfassungsbeschwerde steht jedoch der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser gebietet, vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde alle bestehenden prozessualen Möglichkeiten gegenüber den Fachgerichten zu nutzen, um es gar nicht erst zu dem behaupteten Verfassungsverstoß kommen zu lassen.
Die Beschwerdeführerin zu 1) hätte vorliegend die Möglichkeit gehabt, sich gemäß § 66 ZPO bis zur Rechtskraft des angegriffenen Urteils auf Seiten der Beschwerdeführerin zu 2) am Ausgangsverfahren zu beteiligen, ihre möglicherweise verfassungsrechtlich begründeten Rechtspositionen geltend zu machen und die ihr als Nebenintervenientin zustehenden prozessualen Mittel (§ 67 ZPO) auszuschöpfen (vgl. BVerfGE 81, 97 <102 f.>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1998, 1 BvR 329/98, NJW 1998, S. 2663 f.). Da sie dies nicht getan hat, besteht keine Veranlassung, nunmehr die unmittelbare Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zuzulassen.
III.
Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts München ist aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Das Oberlandesgericht wird bei seiner neuen Entscheidung § 51 UrhG im Lichte der verfassungsrechtlichen Erwägungen zur Kunstfreiheit auszulegen haben.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung gegenüber der Beschwerdeführerin zu 2) beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Ende der Entscheidung
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